Meine Frau und ihr Mann. Eine Beichte. Pavel Kohout
einer dabei siezen würde!»
Nie werde ich dieses mein drittes Liebeserlebnis vergessen, denn dabei fiel ich zum ersten Mal nicht in Ohnmacht. Endlich lernte ich also bei vollem Bewußtsein die berühmte Wonne kennen, von der die meisten meiner Schulkameraden schon lange vor der Hopfenernte gekostet hatten, allesamt bei der Paulová. Und die wenigen, die damals ebenso verschämt und zurückhaltend gewesen waren wie ich, versetzten mich ein paar Jahre später mit der Schilderung ihrer diesbezüglichen Errungenschaften in Staunen, im Dunkel der Armeebaracke, das meine Phantasie noch stärker entfachte, obwohl meine Eltern unter den Fenstern Wache schoben. Ich litt, denn ich war nicht weniger normal als jeder andere meiner Kameraden. Wie oft fragte ich mich in schlaflosen Nächten, ob meine unbefleckte Ehre einen Bruchteil ihres Preises wert war, den mich meine Entsagung kostete. Jetzt aber, in der lustvollen Umschlingung sämtlicher Glieder meiner Frau liegend, immer von neuem überrascht, daß ich die nächste Welle ihrer Leidenschaft überlebte, wußte ich mit aller Klarheit, daß ich keinen Fehlgriff getan hatte. Lieben konnte sie mich nur deshalb so unersättlich, weil ich mir gerade für diese Festnacht die ganzen fünfundzwanzig Jahre meine Reinheit bewahrt hatte. Ja, sie hatte tausendmal recht, keine zehn Stunden waren seit jenem Augenblick vergangen, da ich ihre Schwelle übertrat, und schon war ich mir trotzdem sicher, ihr ein begehrter Liebhaber werden zu können. Der Berg meiner Zweifel schien dahinzuschmelzen wie ein Gletscher, den eine plötzliche Verschiebung der Erdmassen in die Tropen geschleudert hatte. Selbst die unzüchtigen Bilder in dem mitleidlosen Spiegel des Helikons zu unseren Häupten empörten mich nicht mehr, von Zeit zu Zeit ertappte ich mich sogar dabei, daß sie meinen Blick anzogen, obwohl ich jedesmal gleich wieder die Augen schloß, damit meine Frau ja nichts davon bemerkte. Dennoch trafen sich unsere Blicke zu guter Letzt darin. Im Nu legte sich der Sturm, und eine Ruhe breitete sich aus, die mich erschreckte.
«Seien Sie nicht böse ...» sagte ich mit schwacher Stimme, «ich ...»
Weiter kam ich nicht. Die Zunge versagte mir den Dienst. Meine Frau richtete sich rasch auf und fühlte mir mit erfahrenem Griff den Puls. Dann kniete sie sich hin, tätschelte mir leicht die Wangen und sprach dabei in eindringlichem Ton:
«Na ...! Na also ...! Hübsch atmen! Ganz tief! Ganz tief durchatmen! Wir werden hier doch nicht gleich wieder in Ohnmacht fallen!»
Die suggestive Stimme und die liebevollen Handgriffe taten ihre Wirkung. Ich spürte ihre Sicherheit auf mich übergehen, und bald stand schon fest, daß ich meine Krise überwunden hatte. Vor Stolz wollte ich aufschreien, doch meine Mattigkeit ließ nicht zu, daß ich mehr sagte als wieder nur:
«Seien Sie nicht böse ...»
«Böse sein», sagte meine Frau zärtlich, «könntest allein du, mein Käferchen, weil ich viel zu sehr an mich gedacht habe. Aber jetzt», fügte sie hinzu, munter auf den Teppich hinabspringend, «jetzt gehst du dafür hübsch in die Heia, und Liliane macht dir was zum Aufpäppeln!»
Ich nahm ohne Protest an. Ermattet auf der Couch hingestreckt, sah ich voll Rührung zu, wie gefährlich sie das Brot an ihren Busen gedrückt schnitt, wie sie mit dem Bügeleisen eine Wurstkonserve aufmachte und dann den Türkischen überlaufen ließ, alles mit einer göttergleichen Selbstsicherheit und Leitmotive pfeifend, die sie uns am Abend zum Tanz aufgespielt hatte. Ich war schwach wie nach einer Krankheit, doch stolz wie nach dem Abitur. Das änderte nichts daran, daß ich das Töpfchen nicht bis an den Mund zu bringen vermochte und meine Frau mir den Kaffee, nachdem sie auf jeden Löffel behutsam pustete, schlückchenweise einflößte. Als wäre das ganz selbstverständlich, erzählte sie mir dabei von ihrer Liebe zum Damenboxen, und ich mußte bei jedem Schluck mehr und mehr ihren Takt bewundern. Nach dem Frühstück bettete sie mich wieder auf die Couch, nahm das Helikon von der Wand und spielte mir ihre liebsten Melodien vor, von denen mir, wie meine Frau es benannte, das Aufbaulied der Schlosserstoßbrigaden, ‹Ich schraub ihn dir mal rein›, am meisten im Gedächtnis haftenblieb. Wann immer ich mich dieses Morgens entsinne, werde ich bis ans Lebensende das Helikon meiner Frau sehen, das ihr Busen umschloß, und mich, der den ohnmächtigen Wunsch verspürt, den Platz mit ihm zu tauschen. Als ich schließlich allein aufstehen konnte, half mir meine Frau beim Anziehen und ließ es sich nicht nehmen, mich wenigstens ein Stück Wegs zu begleiten. Es war Freitag, und die Hausmeisterin wischte wütend die Treppe. Diese Beschäftigung nahm sie voll in Anspruch, so daß wir unbemerkt hätten vorbeischlüpfen können. Doch meine Frau sagte:
«Freundschaft, Genossin Kovárnová, ein wunderschöner Tag heute, nicht!»
Diese blickte auf, und just da legte mir meine Frau den Arm um die Taille. Das war eine schlichte Geste, doch sie enthielt alles. Dem erstaunten Blick der Knienden, der zugleich weich wurde, entnahm ich mit Gewißheit, daß meine Frau so etwas zum ersten Mal tat. Ich zögerte keine Sekunde und bot ihr auf der Stelle meine Lippen dar. Im Weitergehen sah ich, wie sich die Hausmeisterin mit dem Scheuerlappen die Augen wischte.
Meine Kräfte hatten sich auf wundersame Weise erneuert, deshalb lehnte ich zur Freude meiner Frau Krankenwagen wie Straßenbahn ab und schlug vor, zu Fuß zu gehen. Dafür wurden wir auf der Burgrampe mit einem herrlichen Blick auf die Hauptstadt belohnt, die uns in der durchsichtigen Herbstluft wie ein Verlobungsgeschenk zu Füßen lag. Auf den Schloßstiegen trug meine Frau mich lieber ab und zu, doch über die Karlsbrücke gingen wir wieder eng umschlungen. Mir schien, und das sprach ich auch laut aus, als sei sie seinerzeit schon, vor Jahrhunderten, nicht nur für die böhmischen Könige, sondern auch für uns zwei gebaut worden. Meine Frau stimmte voll Bewunderung zu und kaufte mir am Altstädter Brükkenturm ein Sträußchen Astern.
«Ein hübsches Söhnchen haben Sie», sagte die Verkäuferin bewundernd.
Schnell wandte ich mich ab, um meine roten Wangen zu verbergen.
«Wir haben uns gerade verlobt», entgegnete meine Frau stolz.
«Ach nein! Das bringt mir Glück!» strahlte die Verkäuferin. «Sie sind heute meine ersten Kunden.»
Sie wollte um keinen Preis Geld nehmen. Meine Frau hielt ihr jedoch nicht minder resolut das Doppelte der Summe hin, die auf dem Preisschild angegeben war. Den drohenden Streit legte die Verkäuferin bei, indem sie die Scheine nahm, mir aber noch einen Asternstrauß reichte.
«Sie werden, junger Herr, eine brave Gemahlin kriegen!» sagte sie zum Abschied. «Enttäuschen Sie sie nicht! Frauen, die ihren Verlobten heutzutage noch einen Blumenstrauß kaufen, sind schon so rar wie Safran.»
Das erste Laub raschelte unter unseren Füßen, und eine Schar hungriger Möwen umkreiste uns. Ich schnupperte an den Astern und erzählte meiner Frau, wie ich jahrelang Sonntag um Sonntag mit Mutsch Hand in Hand in den Prager Baumgarten gegangen war, um Schwäne und andere Vöglein zu füttern. Dann kam leider der Wehrdienst, und eines Sonntags machte ein Oberstleutnant unserer schönen Tradition ein Ende, der schrie, ich machte die Uniform einer sozialistischen Armee lächerlich. Damals hätte ich beinahe geweint, doch Mutsch hatte mich schnell hinter die Sträucher geführt und getröstet.
«Was soll’s, Vilémek, alles hat seine Zeit. Wenn du eines Tags heiraten und Kinder haben wirst, kannst du mit ihnen hierhergehen und weiter die Himmelsvögel füttern.»
Bei der Erinnerung an sie stieg erneut die Angst in mir hoch. Doch bevor ich mich meiner Frau anvertrauen konnte, blitzte in ihren Augen eine merkwürdige Flamme auf.
«Bleib hier!» befahl sie und lief, ehe ich’s mich versah, auf den Fahrdamm, schlängelte sich hurtig zwischen Straßenbahnen und Autos durch und verschwand in der Tür des Cafés Slavia. Einsam blieb ich zurück, und plötzlich durchzuckte mich ein schrecklicher Gedanke: Wenn sie nun nicht wiederkäme? Wenn sie mir nicht ins Gesicht sagen wollte, daß sie mich nicht mehr liebte, und lieber eine unauffällige Trennung wählte? Wie aller Sinne beraubt stand ich da, ohne zu wissen, ob ich ihr zwischen den Fahrzeugen nachrennen oder mich lieber gleich in den kalten Fluß werfen sollte. Ich war mit meiner Überlegung noch nicht ganz fertig, da war sie schon wieder bei mir.
«Auf die Schwäne und auf deinen Sproß wirst du noch ein Weilchen warten müssen», sagte sie lachend und reichte mir eine Papiertüte. «Zuerst will ich dich ein paar Jahre für mich allein haben. Bis dahin aber kannst du wenigstens die Möwen füttern!»