Meine Frau und ihr Mann. Eine Beichte. Pavel Kohout

Meine Frau und ihr Mann. Eine Beichte - Pavel Kohout


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an die Adresse unserer Hausmeisterstochter gerichtet sagten, die zu Beginn des Schuljahres erneut in die Ferien fuhr.

      «Die hat so lange in unserer Durchfahrt rumgeknutscht, daß sie jetzt ein Lediges kriegen wird!»

      Als ich endlich begriffen hatte, um was es ging, hätte das tragische Folgen haben können. Da ich kurz zuvor von der Hopfenernte heimgekehrt war, verbrachte ich die folgenden paar Monate in der unaussprechlichen Furcht, ich würde mit der Paulová ein vaterloses Kind haben. Dieser Irrtum wurde noch bestätigt, als die Paulová eine Woche vor ihrem Abitur tatsächlich niederkam. Bis ich zum Zwecke des Selbstmords ausreichend Streichholzköpfchen abgekratzt hatte, die ich mir, da ich kein Taschengeld bekam, Stück für Stück bei den Mitschülern zusammenschnorren mußte, benannte die Paulová zum Glück den Mathematiklehrer als Kindesvater, was jener auch zugab, wofür er strafweise zum Handarbeitslehrer degradiert wurde. Damals hatte ich schon für immer die Möglichkeit verpaßt, die mir nachträglich als das Natürlichste vorkommt, nämlich meine Kameraden zu fragen. Aus ihren Anmerkungen zum Fall Paulová, die von fremdsprachigen, mir leider völlig unbekannten Begriffen wimmelten, wie Vagina, Koitus und Interruption, gewann ich jedoch die Überzeugung, daß sie bei weitem aufgeklärter waren als ich und obendrein über unvergleichlich größere praktische Erfahrungen verfügten. Feinfühlig wie ich war, hätte ich ihren Spott kaum überlebt. Und so wandte ich mich wieder und wieder dringlich an meine Eltern. Endlich hatte ich offenbar mein Ziel erreicht, denn eines Nachts vernahm ich, wie immer an die undichte Schwelle ihres Zimmers gepreßt, in der vergeblichen Hoffnung, sie würden mich vielleicht durch ihr eigenes Beispiel aufklären, ein leises Zwiegespräch.

      «Ich glaube», sagte Paps hörbar besorgt, «wir werden es ihm wirklich sagen müssen!»

      «Aber Vilibald!» widersetzte sich Mutsch unglücklich, «er ist doch noch so jung, wozu ihm so früh die Illusionen rauben?»

      «Seine Illusionen kann er anders und viel schlechter verlieren», erwiderte Paps, «die erstbeste Nutte, die sich verheiraten will, hängt ihm einen Bastard an, und er weiß noch weniger als die Jungfrau, wie er zum Kind gekommen ist!»

      Obwohl ich längst nicht alle Worte verstand, war mir klar, daß seine Sorge um mich weitaus größer war als sonst.

      «Aber wer wird es ihm sagen?» meinte Mutsch wieder. «Ich, Baldi, lade mir das nicht auf die Seele. Und du, antworte mir aufrichtig, würdest du dich nicht schämen?»

      Diese völlig ungewöhnliche Anrede zeugte davon, daß sie außer sich war, während das Ächzen des Bettes, auf dem er sich unruhig wälzte, den quälenden Zwiespalt in seinem Inneren wiedergab. Ich wollte schon ganz und gar verzweifeln, als erneut sein vorsichtiges Flüstern vernehmbar wurde.

      »Ich glaube, ich weiß, wie wir das machen. Wir werden es so einrichten, daß er sich langsam und ohne Gewalt selber aufklärt. Ich besorge ihm ...»

      Die letzten Worte flüsterte er ihr leider offenbar ins Ohr. Vor Ungeduld konnte ich nicht einschlafen. Am nächsten Morgen ließ sich Paps zum Frühstück nieder, mit dem ich mir besonders Mühe gegeben hatte, und während Mutsch eifrig den Ofen heizte, obwohl wir wenig später alle weggehen mußten, patschte er mir ungewöhnlich freundschaftlich auf die Schulter und stellte eine ebenso ungewöhnlich leutselige Frage.

      «Na, wie steht’s Vilém ...?»

      «Ich weiß nicht, was Sie meinen, Paps«, antwortete ich aufgeregt.

      Er hielt einen Moment inne, fuhr dann aber doch fort.

      «Ich denke, in absehbarer Zeit erwartet dich das Ende der Schule, was auch den Beginn des praktischen Lebens bedeutet. Es ist also an der Zeit, daß du mehr über das Geheimnis des Lebens erfährst.»

      Wider Willen lief ich rot an, und Paps wechselte augenblicklich das Gesprächsthema.

      «Übrigens, es brennt nicht. Hast du alle Aufgaben gemacht, mein Junge?»

      «Ja, Paps», stieß ich hastig hervor, «aber bitte, ich hätte dieses Geheimnis so gern gekannt ...!»

      Forschend musterte er mich, beruhigte sich dann aber wieder.

      «Na schön, schön ... wenn du gut lernst, bekommst du von uns etwas zu Weihnachten, was dich bestimmt sehr, sehr interessieren wird!»

      Ich bin nie ein schlechter Schüler gewesen. Was blieb mir auch, wo ich als einziger aus der Klasse weder Techtelmechtel mit Mädchen noch Fernsehen hatte, als zu lernen, zu beten und zu lesen, zumeist Paps’ Ereiferungen gegen Unrechtmäßigkeiten auf dieser Welt, die Mutsch an jedem Freitag verbrannte, damit sie uns bei einer zufälligen Haussuchung nicht in Schwierigkeiten brachten. Doch weder zuvor noch später habe ich je solche schulischen Triumphe gefeiert wie vom Oktober bis zum Dezember jenes Jahres. Endlich nahte der ersehnte Heiligabend heran. Wenn meine Eltern auch schon zugaben, daß nicht der Storch die Kinder bringe, so blieben sie dagegen desto zäher bei ihrer Behauptung, daß die Geschenke vom Christkind kämen. Das lag nur auf der Hand, denn die Verleugnung des Storches brachte sie nicht in Konflikt mit der Glaubenslehre, die sie trotz der Mißachtung von Kirche nach wie vor anerkannten. Obwohl ich mit der Zeit an Gott zweifelte, seit dem Augenblick, da ich meine gesamte Habe an Murmeln vergebens dem Klingelbeutel in der Sankt-Nikolaus-Kirche geopfert hatte, damit er mir Tante Eliška zur Frau gebe, wagte ich ihnen das nie einzugestehen. Ich befürchtete zu Recht, dann im Handumdrehen ein Waisenkind zu werden. Nur einmal, ich war vielleicht zwölf, schlich ich mich in die Diele und hielt das Auge an das Schlüsselloch der Guten Stube, um zu sehen, wie die Engel den Baum schmückten. Da gellte hinter mir Mutschs entsetzter Aufschrei.

      «Er guckt dir zu!»

      Und aus dem Zimmer polterte eine vertraute Stimme zurück.

      «Dann hau ihm halt eine runter!»

      Da Paps jedoch zu jener Zeit regelmäßig seine Spaziergänge unternahm, auf denen er nach immer neuen Unrechtmäßigkeiten für seine Entrüstungen Ausschau hielt, glaubte ich trotz meiner Zweifel noch ein paar Jahre, der beleidigte HErr habe in seiner Stimme gegrollt. Wieder saß ich damals also, wie dann jedes Mal seit jenem Ereignis, den ganzen Tag in der Küche, las Weihnachtsmärchen und fragte, um keinen Verdacht zu erregen, alle Augenblicke Mutsch, wann es denn klingele. Endlich hörte ich Paps’ leisen, mit den Jahren immer lauter werdenden Schritt, je mehr ihn seine erschlafften Muskeln daran hinderten, auf Zehenspitzen zu gehen, und schon tönte durch die Wohnung das Bimmeln des Glöckchens, welches das ganze Jahr über neben dem Weihnachtsbaumschmuck und der Krippe in dem alten Klappbett versteckt lag. Unter dem leuchtenden Weihnachtsbaum, wo ich bisher Jahr für Jahr frisch gewaschene Taschentücher oder neu gestopfte Socken vorgefunden hatte, lag diesmal ein rätselhaftes Päckchen, in dem ich beim ersten Hinsehen ein Buch für Erwachsene erahnte. Vor Aufregung vergaß ich die Worte der Weihnachtslieder und erntete dafür Mutschs ernste Warnung. Endlich hatten wir auch die ‹Stille Nacht› abgesungen, und ich stürzte mich ungeduldig auf mein Geschenk. Ich hatte mich nicht getäuscht! Es war das Buch ‹Die Vermehrung der Pilze›, das mir endlich das Tor zur Erkenntnis aufstieß. Noch heute, nach so vielen Jahren, erinnere ich mich an den Wortlaut des ersten Absatzes.

      «Die Vermehrung der Pilze geschieht entweder auf ungeschlechtlichem Wege, wobei sich der einzellige Keim in ein neues Pilzgeflecht (Myzelium) teilt, oder auf geschlechtlichem Wege, mittels Vereinigung zweier Geschlechtszellen (Gameten).»

      Mehr durfte ich an diesem Abend nicht lesen, denn meine Eltern befürchteten, meine Phantasie könne durch eine Überdosis an Informationen belastet werden. Zu meinem Pech bekam ich tags drauf Ziegenpeter, was Mutsch noch lange als Strafe Gottes ansah. Erst zu Frühlingsanfang, als ich ihnen hochheilig versprach, nie wieder daran zu erkranken, durfte ich die Lektüre fortsetzen. Der Plan meiner Aufklärung hatte sich durch den Mumps beträchtlich verlangsamt, so daß ich vom Sommerferienlager, aus dem die letzten beiden Mitschüler ihre erste Liebeserfahrung mit Küchenfrauen heimbrachten, unter Aufsicht der Eltern, die am Rande des Lagers ihr Zelt aufgeschlagen hatten, nur mit einem großen Beutel getrockneter Pilze wiederkam. Erst als die Eltern, die dreimal täglich meine Temperatur, mein Gewicht und meine Größe notierten, schließlich feststellten, daß mein physisches und seelisches Gleichgewicht nicht meßbar gestört worden war, setzten sie die Durchführung


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