Meine Frau und ihr Mann. Eine Beichte. Pavel Kohout

Meine Frau und ihr Mann. Eine Beichte - Pavel Kohout


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Ton fort, «und ich habe sie mit Weihwasser besprengt. Haben Sie ein Bildnis der Muttergottes da?»

      «Ja, bitte sehr ...» sagte Paps heiser und mußte sich räuspern, «im Schlafzimmer ...»

      «Dann wollen wir sie dort gleich hinstellen, nicht wahr?» schlug meine Frau vor und trat sicher ins Schlafzimmer. Paps und Mutsch folgten ihr wie Traumwandler. Als ich jedoch ebenfalls mitwollte, schüttelte meine Frau entschieden den Kopf und wandte sich zu Paps um.

      «Haben Sie auch eine Küche?»

      «Ja, bitte sehr ...» sagte Paps erneut, «in der Küche ...»

      «Dann lauf hin, Vilémek», befahl mir meine Frau, «und nimm dir brav was zu lesen. Ich hätte mit deinen elterlichen Herrschaften gern unter vier Augen gesprochen!»

      Die Stunde, die nun folgte, möchte ich kein zweites Mal erleben. Ich saß an dem alten Küchentisch und starrte mit blicklosen Augen auf die Seiten eines Buches, in dem ich erst lange Zeit später ein altes Kursbuch erkannte. Ich erstarb vor Begierde, mein Ohr an die Schlafzimmerschwelle zu drücken, wo sich durch mein jahrelanges heimliches Lauschen schon eine kleine Vertiefung gebildet hatte. Doch seltsam: Was ich mich meinen gestrengen Eltern zum Trotz immer wieder getraut hatte, wagte ich meiner liebevollen Frau nicht anzutun. Nein, ihr Vertrauen gedachte ich nicht im geringsten zu enttäuschen. Und so ließ ich nur den Blick von einem Gegenstand zum andern wandern, bis mir bewußt wurde, daß ich von meinem Stuhl aus die ganze Landschaft meines bisherigen Lebens überschaute. Da der Winkel, in dem ich für meine Versehen von der ersten bis zur fünften Klasse der Volksschule auf Erbsen gekniet habe, hier das Bügelbrett, an dem man mich festband, damit ich mich in den Pubertätsjahren nicht herumtriebe, und dort das Regal mit dem kleinen Klappult, auf dem ich zuletzt nach dem Selbstmord meines Vorgesetzten hundertmal kalligraphisch geschrieben habe:

      «Ich darf Mutsch und Paps nicht ärgern, um sie nicht wie den Genossen Leutnant zu verlieren», und noch vorher zum Beispiel: «In der Schule nicht sagen, daß die Eltern sagen, daß die Kommunisten lügen, daß der Mensch vom Affen abstammt!»

      Manch einer mag glauben, besagte Landschaft gemahne mich eher an eine Folterkammer. Doch das wäre ein Irrtum! Schließlich war da ja auch der Herd mit der Backröhre, in der ich jedes Jahr so gerne meine Weihnachtswichtel und Osterlämmchen buk, die Lada-Nähmaschine, auf der ich meinen Eltern beim Besäumen von Bettbezügen und Hefteln von Kappnähten geholfen hatte, und vor allem das Bett, auf dem ich mich so oft mit dem Gefühl eines rechtschaffen verbrachten Tages niedergelegt hatte, den lieben Gott bittend, mich am kommenden Tage nicht minder folgsam und nützlich sein zu lassen. Es war ein schmales, hochbeiniges Eisenbett aus jener Zeit, da mein Paps die Mutsch genommen hatte, und ich mochte es schon deshalb gern, weil ich darin, obwohl es hart war, geboren wurde.

      Wie immer beobachtete ich es mit einem zärtlichen Lächeln, das mir aber buchstäblich auf den Lippen gefror. Hatte ich etwa nicht gerade letzte Nacht am eigenen Leibe erfahren, daß das Bett, dieser Unschuld vortäuschende Gebrauchsgegenstand, der in fast jedem Haushalt steht, nicht auch zu ganz anderen Verrichtungen als zu Beten und Ruhen dienen kann? In meiner Seele keimte ein fürchterlicher Verdacht. Sprach nicht etwa alles dafür, daß Paps mit Mutsch seinerzeit hier auf diesem Stück Möbel etwas ganz Ähnliches getrieben hat wie meine Frau heute nacht und heute morgen mit mir? Und war ich nicht womöglich zufällig selber dank der Ironie des Schicksals der lebende Beweis ihrer Unkeuschheit? Ich schüttelte mich vor Abscheu. Wenn dem wirklich so war, konnte ich sie da jemals wieder achten?? Hatte ich vor wenigen Minuten noch mein kindliches Reich mit dem wehmütigen Gefühl betrachtet, es könne mir bald genommen werden, so packte mich nun das Entsetzen, ich könnte lebenslänglich daran gefesselt sein. Die fleischliche Begierde der Eltern nahm mir nicht nur ihrer Ungeheuerlichkeit wegen den Atem, sondern zog auch vor allem ihre sämtlichen Verbote, Gebote und Strafen in Zweifel. Für einen Augenblick war mir sogar die Kommunistische Partei näher, da sie offenbar immer und in allem log, so daß sie niemanden je einem solchen Kardinalirrtum aussetzen konnte. Ich verspürte den dringenden Wunsch, meine Frau möge mich so früh wie möglich, am besten jetzt gleich, von hier wegbringen. Und da fiel mir ein, daß ich schon über eine halbe Stunde keinen Sterbenslaut aus dem Schlafzimmer vernommen hatte.

      Du mein Gott! Wenn nun etwas Gräßliches passiert ist!! Wenn nun Paps und Mutsch, um die Familienehre reinzuhalten, die Verführerin ihres einzigen Kindes mit dem Gürtel erwürgt haben und nun beratschlagten, ob sie sie zur Strafe dafür, daß die Juden den Herrn Jesus gekreuzigt haben, bei Roubíčeks im Keller vergraben sollten, oder bei den Urbans, die zwar ebenfalls Christen waren, aber von Mutsch einmal sagten, sie sei eine Himmelsziege. Diese grauenhafte Vorstellung nagelte mich fürs erste am Stuhl fest. Sogleich riß ich mich aber mit Gewalt los, durcheilte mit zwei Sätzen den Gang und raste, ohne anzuklopfen, so wild ins Schlafzimmer, daß eine Glasscheibe aus der Türfüllung fiel. Der Krach machte erstaunlicherweise keinem meiner beiden Eltern etwas aus, die hinter dem Stuhl meiner Frau standen und gespannt zusahen, wie flink sie glänzende bunte Karten umwandte und umlegte. Nur meine Frau warf mir einen kurzen strafenden Blick zu, widmete sich aber sogleich wieder ihrem eigenartigen Tun. Noch ein paar Minuten raschelten und klatschten die kleinen Kartonblätter leise, bis meine Frau plötzlich triumphierend den Blick zu meinen Eltern hob.

      «Nun?» fragte sie knapp.

      «Es ist Gottes Wille!» hauchte Mutsch.

      «Amen!» fügte jetzt Paps hinzu und bekreuzigte sich mit einem Blick zur Zimmerdecke.

      Daraufhin drehten sich beide zu mir um.

      «Komm herein, Vilémek!» sagte Mutsch friedlich, wodurch sie mir zu verstehen gab, daß sie mir mein schlechtes Benehmen für diesmal verzieh, «aufräumen wirst du das später.»

      Nach der ungeheuren Anspannung setzte logischerweise bei mir die Erschöpfung ein. Mit letzter Kraft ging ich über den Scherbenteppich. Paps lächelte verlegen, während Mutsch feierlich dreinschaute. Weil sie sah, wie mir die Knie schlotterten, winkte sie mir, mich zu ihr auf den Schoß zu setzen.

      «Stell dir vor, Söhnchen», sagte sie behutsam, da sie offenbar befürchtete, mich zu verschrecken, «das Fräulein Jámová hier hat um deine Hand angehalten. So nennt man das nämlich, wenn eine Frau dem Manne den heiligen Ehebund anbietet oder umgekehrt. Vati und ich waren anfangs dagegen, denn wir meinten, daß du noch viel zu jung für derlei Sorgen bist, außerdem willst du erst einmal auf eigenen Füßen stehen. Fräulein Jámová hat uns aber ihre Gehaltsstreifen vorgelegt, die zweifelsfrei beweisen, daß sie gut und sogar mehrere Ehemänner ernähren könnte. Als wir trotzdem immer noch schwankten, schlug sie schließlich vor, das Schicksal zu befragen. Und stell dir vor, Kind, dreimal hintereinander sind am Schluß Herzdame und Herzbube rausgekommen!»

      Vor Erleichterung atmete ich geräuschvoll auf. Anscheinend deuteten sie das als Schreck, denn Paps begann, wie es seine Gewohnheit war, vom anderen Ende her.

      «Du mußt keine Angst haben, mein Sohn. Selbstverständlich haben wir Fräulein Jámová mitgeteilt, daß wir in dieser so gewichtigen Angelegenheit auch dich anhören möchten. Nicht etwa, daß sich dadurch etwas änderte, denn ich habe ihr bereits mein Wort gegeben, sondern damit sie direkt aus deinem Munde erfährt, ob du sie aus Liebe heiratest oder unter Zwang.»

      Wenn mir auch nach seiner Mitteilung, er habe sein Wort gegeben, das Herz hüpfte, denn Paps hat noch nie seine Worte gebrochen, sogar damals nicht, als er bei einer zufälligen Begegnung einem früheren Kommilitonen versprach, ihn nach Hause zu begleiten, nicht ahnend, daß der Betreffende im fernen Pilsen wohnte, worauf er sich einen Wolf lief, so hatte seine Aufforderung, einen eigenen Standpunkt zu äußern, doch zur Folge, daß ich blitzschnell nüchtern wurde. Die Frage war listig gestellt, und ich wußte genau, daß eine falsche Antwort die Erfüllung unseres Traums um eine beträchtliche Zahl von Jahren hinausschieben konnte.

      «Ihre Frage, Papa», sagte ich laut, das Beben in meiner Stimme mit aller Gewalt unterdrückend, «ist zwar lauter und geradlinig wie die Heilige Schrift, aber dennoch kann ich sie nicht mit einem einfachen Ja ja, Nein nein beantworten. Wie könnte ich ohne weiteres erklären, daß ich das Fräulein Jámová aus Liebe heiraten werde, wo doch mein Herz selbst in diesem frohen Augenblick bis in den letzten Winkel von der Liebe zu Gott und zu meinen geliebten


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