Meine Frau und ihr Mann. Eine Beichte. Pavel Kohout

Meine Frau und ihr Mann. Eine Beichte - Pavel Kohout


Скачать книгу
die Vögel sie mit ihren flinken Schnäbeln im Flug erhaschten, brachte mir meine Frau bei, was ich dem Chef und den Kollegen zu sagen hätte. Das war der richtige Augenblick, ihr meine größte Sorge zu gestehen.

      «Und meinen Eltern ...?» fragte ich unsicher.

      «Zu deinen Eltern geh ich mit», erwiderte sie geradeheraus. «Damit sie wissen, daß ich es ernst mit dir meine.»

      Damit fiel mir der schwerste Stein vom Herzen.

      «Und jetzt», sprach sie, «müssen wir uns für kurze Zeit trennen. Ich soll schon seit einer Stunde im Rundfunkorchester sitzen, wo ich mit angeklebtem Schnurrbart heimlich für Jungs einspringe, die krankmachen, um sich auf Beerdigungen was dazuzuverdienen.»

      Vor Schreck fiel mir die Tüte mit dem restlichen Gebäck aus der Hand. Ein Gekreisch setzte ein, und auf dem Wasser entbrannte eine Schlacht des Federviehs. Mich interessierte das jedoch nicht mehr.

      «Aber warum haben Sie mir das nicht gesagt??» rief ich verzweifelt. «Ich will nicht, ich will auf keinen Fall, daß Sie meinetwegen Scherereien kriegen! Ich möchte Ihnen im ganzen Leben nur Freude bereiten!»

      «Aber die bescheißen sich doch nicht!» sagte sie ohne einen Schatten von Zweifel ungewohnt scharf, und ich konnte nicht anders, als erneut ihr natürliches Selbstvertrauen bewundern. «Die eine Hälfte ist mir schon was schuldig, und die andere ist noch geil auf mich.»

      Ich fühlte, wie mir das Blut aus dem Gesicht wich. Bestimmt war ich kreidebleich, denn sie hielt augenblicklich inne und legte mir besänftigend den Arm um den Hals.

      «Entschuldige, mein Goldstück, das war natürlich wieder nur ein schlechter Witz ... das hast du davon, wenn du vorwiegend in einer Damenkapelle malochst, unter Mädchen redet man schon gar nicht mehr anders. Ich hab das wirklich nicht so gemeint, ich verzichte seelenruhig auf die zweite Hälfte. Höchste Zeit, daß ich dich kennengelernt hab, du mein Schatzi!»

      Sie wartete noch so lange, bis in meine Wangen wieder Farbe zurückgekehrt war. Ich beschwor sie mehrmals, ich sei schon wieder da, doch sie ließ meine Hände nicht los, ehe sie nicht völlig sicher war, daß ich wirklich fest auf den Beinen war. Dann begleitete sie mich noch zur Haltestelle, bestieg mit mir die Straßenbahn, zog mir aus dem Automaten einen Fahrschein und küßte mich zum Abschied leidenschaftlich, ohne sich darum zu scheren, was der Fahrer und die Fahrgäste dazu sagten. Unterdessen rollte der Wagen an.

      «Sie fahren in die falsche Richtung!» hauchte ich.

      «Nur keine Angst!» antwortete sie mit heller Stimme, die durch die ganze Tram schallte, «ich geh schon nicht verloren. Komm von der Arbeit gleich zu mir!» Und mit lautem Flüstern, als teile sie mir etwas Vertrauliches von einem gegenüberliegenden Berg mit, setzte sie hinzu: »Ich freu mich riesig, mein Süßer! Ich will dich schon wieder!»

      Dann winkte sie mir freundschaftlich, riß mit Gewalt die Tür auf, sprang behend von der schnell fahrenden Bahn ab, kam mit der Sicherheit einer Olympiasiegerin auf, steckte die Hände in die Taschen ihres Hosenanzugs und entfernte sich, ohne sich nur ein einziges Mal umzudrehen, wie eine echte Dame, die genau weiß, daß sich alle nach ihr umdrehen.

      Mein Chef, von Gewissensbissen und Angst gepeitscht, war die Güte und Huld in Person. Zunächst versuchte er zwar, mir ein Gefühl moralischer Mitschuld zu suggerieren, indem er bedeutungsvoll an meinen Astern schnupperte und fragte, ob sie wohl der Lohn dafür seien, daß ich die schwere Last getragen habe, oder ob ich nicht vielleicht selber zur süßen Last geworden sei. Ich antwortete, getreu der Anweisung meiner Frau, daß die diensttuenden Polizisten das Geld für die Blumen untereinander gesammelt hatten, damit ich schneller vergäße, daß ich in einem Staate der Werktätigen, dessen Stützen sie seien, eine so schandbare Form der Ausbeutung hatte erleben müssen. Darauf setzte der Chef zu der Behauptung an, er leide seit einer gewissen Phase der letzten Nacht an Gedächtnisschwund, und die Folge davon sei zum Beispiel, daß er den Heimweg gar nicht erst gefunden und seine Ankunft im Büro nur dem wundersamen Zufall zu verdanken habe, morgens in einem abgelegenen Stadtviertel der Sekretärin des Generaldirektors begegnet zu sein. Dann teilte er mir eifrig mit, er habe alle zwei Stunden seinen Fahrer zu meinen Eltern geschickt, um ihnen zu versichern, daß die Feier noch immer andauere, und schloß ganz aufgeregt das Gespräch, indem er meinem Antrag auf Gehalterhöhung stattzugeben versprach, den ich nie gestellt hatte. Was die übrigen Kollegen betraf, die kamen nach der durchsumpften Nacht allesamt erst mühsam wieder zu sich, so daß sie meinen Zustand überhaupt nicht wahrnahmen. Trotzdem verbrachte ich die restlichen Bürostunden in unablässiger Spannung.

      Bei meinen bescheidenen Erfahrungen hatte ich keinen triftigen Grund anzunehmen, daß mein Glück wirklich und wahrhaftig war. Einige Bemerkungen meiner Frau, vor allem die letzte, hatten bewirkt, daß der nagelneue Stachel, der plötzlich in meinem Herzen steckte, immer stärkere Zündnadelsalven von Eifersucht abfeuerte. Obwohl ich von Zeit zu Zeit Rundfunk hörte, wäre es mir nie in den Sinn gekommen, er könnte so etwas wie eine Hinterbühne haben. Für mich steckte er ausschließlich in dem kleinen Kästchen, das seit Urzeiten auf dem Wandbord über unserem Küchentisch stand. Seit dem Tage, da es für meine Kinderfinger erreichbar war, hing an seinem Hauptknopf ein schweres Vorhängeschloß, das Paps nur an jenen Feiertagen abnahm, wenn Partei und Regierung ausnahmsweise die heilige Messe genehmigt hatten, in der Regel nach mißglückten Aufständen in den Nachbarländern. Zu dieser Maßnahme hatte er gegriffen, als er auf seine Bitte, ihm aus Gründen meiner Erziehung die Texte aller Sendungen vorher zuzuschicken, keine Antwort erhalten hatte. Ein einziger Satz meiner Frau fügte dem Rundfunk jetzt riesige und rätselhafte Räume hinzu, aus denen eine Kühle zog wie aus den Grotten der tschechisch-sächsischen Schweiz, die zu durchqueren ich mich auf einem Schulausflug so schaudernd geweigert hatte, daß die ganze Klasse einschließlich der Frau Lehrerin über das Felsmassiv klettern mußte, um zum Dampfer zu gelangen. Heute, nachdem ich ein paarmal vor der Pförtnerloge des Rundfunks auf meine Frau gewartet und ihr einmal sogar, selbstverständlich in Begleitung eines bewaffneten Werkschutzmannes, das vergessene Instrument bis ins Studio nachgetragen habe, macht mich meine damalige Vorstellung lachen. Damals aber, in den ersten Stunden unserer jungen Liebe, wütete meine Phantasie ohne jede Einschränkung.

      Im Geiste stellte ich mir den Rundfunk als ein großes Nachtlokal vor, als die vielfache Vergrößerung einer Bar, in die mich vor den Abschlußprüfungen meine Klassenkameraden schleppten, nachdem sie zuvor meinen Eltern eine gefälschte Anweisung des Direktors geschickt hatten. Aus Unachtsamkeit nahm ich damals einen Schluck vom gespritzten Obstwein und war davon so betrunken, daß ich in der Nacht die ganze Klasse zu uns nach Hause brachte, damit sie sich meine Eisenbahn ansähe, die durch die ganze Wohnung fuhr. Als Mutsch die zwanzig jungen Männer mit Fliegen vor ihrem Bett stehen sah, hätte das leicht ihr Tod sein können. Noch dazu stellte sich heraus, daß ich mir eine solche Eisenbahn seit Kindertagen nur vergebens gewünscht hatte, und so dachte ich noch lange voll Scham daran zurück, wie meine Schulkameraden beifällig zuguckten, als ich den Gürtel von Paps’ Hose holen und mich über den Sessel beugen mußte, um von ihm gezüchtigt zu werden. Ich entsann mich trotzdem, daß es in jenem Nachtlokal viele mit Purpursamt verhängte Séparées gab, aus denen alle Augenblicke Frauengekreisch drang. Da im Rundfunk überdies, wie ich mir weiter denken konnte, weder Gäste noch Personal vorhanden waren, sondern ausschließlich meine Frau und die Musiker, suchten mich den ganzen Nachmittag über quälende Bilder heim, wie die zweite Hälfte des Orchesters, wann immer es sein Tacet hatte, hinter einem der purpurnen Vorhänge verschwand, um meine Frau ihrer Erwartung zum Trotz für die Unpünktlichkeit geil abzustrafen. Obwohl sie mir versichert und übrigens auch überzeugend bewiesen hatte, daß die Unzahl der Liebhaber keine Schäden an ihrem Leib hinterlassen und daß sie das Schönste, ihre Seele, ausschließlich für mich aufbewahrt habe, zitterte ich bei dem bloßen Gedanken, es hätte ihr einer von ihnen allein körperlich mehr bieten können als ich.

      Ich ahnte freilich, daß die Liebe, wie jeder Bereich menschlichen Tuns, ihre Regeln, ihre Gesetze und Verordnungen, ihr Abc und ihr kleines Einmaleins hatte. Doch was für ein Jammer, daß mich keiner darin eingeweiht hatte! Meine Eltern waren allzu ehrenwerte Christen, als daß sie sich zu der lügnerischen Behauptung erniedrigt hätten, die Kinder bringe der Storch. Dennoch begingen sie nach der Episode mit Tante Eliška, offensichtlich um mich einzuschüchtern,


Скачать книгу