Meine Frau und ihr Mann. Eine Beichte. Pavel Kohout
Angst vor dem Chef, das zweite Liebeserlebnis, die erste Eifersuchtsqual, das dritte Liebeserlebnis, die Fußwanderung vom Hradschin bis hinunter zur Moldau, die zweite Eifersuchtsqual, die schmerzliche Depression, die selige Ekstase und zu allem der wilde Lauf von der Moldau bis hinauf zum Hradschin – das alles war nicht ohne Folgen geblieben. Das vierte Liebeserlebnis blieb ein frommer Traum, der zu meiner Schande zerstob. Es war mir eine harte Lehre, daß auch eine junge weiße Möwe nicht hopp schreien kann, ehe sie nicht übersprang. Zu meinem maßlosen Erstaunen setzte meine Frau mich nicht etwa vor die Tür, sie verurteilte mich nicht einmal mit spöttischem Gelächter. Ganz im Gegenteil! Kaum hatte sie festgestellt, daß mein seltsames Gebaren nicht der Ausdruck fehlender Liebe war, sondern die schlichte Folge körperlicher und geistiger Überanstrengung, tat sie etwas, wozu keine andere fähig wäre. Sie drehte die kalte Brause auf und setzte mich mit einer Selbstverständlichkeit in die Wanne, als hätte ich nicht meine Geliebte besucht, sondern ein Dampfbad. Auf dem Wannenrand sitzend, hielt sie in der einen Hand die brennende Zigarette und in der anderen eine Bürste.
«Du darfst nicht alles auf einmal haben wollen, du Brummbär», besänftigte sie mich, mir den Rücken schrubbend. «Vergiß nicht, du bist nur ein Mann. Bedenk, wie wenig Männer sich von der Liebe ernähren können.»
«Aber ich liebe Sie!» flehte ich unter dem Wasserschwall.
«Gerade deshalb darfst du dich nicht übernehmen, damit du mich möglichst lange beglücken kannst.»
«Aber wenn ...» würgte ich.
«Wenn was?» ermunterte sie mich.
«Wenn ich doch Angst hab, Liliane!»
«Wovor denn, du mein Närrchen?»
«Daß ich ... ich Ihnen ... Ihnen nicht werde bieten können, was die anderen Ihnen geboten haben ...»
Ich nahm die eiskalte Peitsche nicht mehr wahr und richtete meine unglücklichen Augen auf die Hügel ihrer steilen Brüste, auf denen ich wie auf zwei gleichzeitig eroberten Gipfeln so stolz die Siegesfahnen hatte aufpflanzen wollen und von denen ich in so peinlicher Weise hinunter bis in diese Wanne gestürzt war. Sie schien nachdenklich. Weiß Gott, wäre der Abfluß nur ein wenig größer gewesen, ich hätte den Metallstöpsel herausgerissen und wäre auf ewig in der trüben Kanalisation verschwunden. Doch da begann meine Frau zu sprechen.
«Weißt du, Läuschen», sagte sie mit ungewöhnlichem Ernst, der die männliche Schönheit ihres Gesichts unterstrich, «als ich fünfzehn, zwanzig und fünfundzwanzig war wie du, da glaubte ich wie so viele, der menschliche Körper wäre nichts anderes als eine einzige große Drüse in zwei verschiedenen Ausführungen. Denn es ist kein Zufall, daß von allen Musikinstrumenten, die es gibt, mein Schicksal ausgerechnet die Flöte und das Helikon wurden, die Symbole beider Pole, aus deren Vereinigung das Leben entsteht. Ich war immer schlank, begehrlich, sorglos und frech wie die Flöte, ich wollte mich überall durchsetzen, jede Komposition mit meiner unermüdlichen Melodie beherrschen. Doch die Zeit verging, und ich reifte zu der Frau heran, die meinem neuen Instrument gleicht. Das ist keins, das mit vibrierenden Läufen besticht, mit hurtigen Passagen oder melodischen Solfeggien, vielmehr ist sein gewaltiger Korpus dazu angetan, den Klang des ganzen Orchesters zu verschlucken und mit sekundierenden Kanonenschüssen zu repetieren, die allein schon imstande sind, Festungsgemäuer zum Einsturz zu bringen. Die Flöte ist ein braver kleiner Soldat, der tapfer von Sturmangriff zu Sturmangriff läuft, dazwischen aber oft pausiert. Das Helikon ist ein Feldherr, der Stunde und Ort der Schlacht ankündigt, der Siege und Niederlagen verkündet. Ein Feldherr kennt keine Pausen und darf daher auch keine Erschöpfung kennen. Unermüdlich lockt er immer neue Gegner an, um sie in immer weiteren Schlachten zu schlagen, denn sonst hörte er bald auf, ein Feldherr zu sein. Er trägt eine weit größere Last als der Soldat, was am Ende oft nicht einmal gewürdigt wird. Schließlich gibt es reichlich Gräber unbekannter Soldaten, doch nicht ein einziges Grab eines unbekannten Feldherrn. Und trotzdem bin ich gern einer geworden, an der Front der Musik und der Liebe.»
«Ach», fuhr meine Frau fort, «du hast Angst, Frätzchen», und hielt mich immer kräftiger unter der Dusche fest, die mir rasch die letzten Kräfte raubte, trotzdem muckste ich nicht, denn einerseits wollte ich ihre Beichte nicht unterbrechen, andererseits hätte ich schwerlich mein Zähneklappern übertönt, «vor denen, die bei mir vor dir waren. Was für eine Torheit! Ich bin wie das große China, äußerlich eine wehrlose Beute, die sich trotzdem der Vielzahl ihrer Freibeuter einfach dadurch erwehrte, daß sie sie restlos verschlang. Keiner von denen ist dir mehr gefährlich. Keiner, nur ich. Denn ich hab dich überfallen. Ich bin deine Li-Liane geworden, nicht etwa, um dich in meiner Umschlingung zu ersticken, sondern im Gegenteil, um dich vor allen Gefahren der weltlichen Dschungel schützend abzuschirmen. Aber du wirst nicht mein Fußsoldat sein und ich dein Feldherr, denn dir verdanke ich die Erkenntnis, daß der Körper auch ein Herz hat. Ich will anders leben, als ich bisher gelebt habe. Und deshalb erwarte ich nicht von dir, daß du dich in vergeblichen Versuchen erschöpfst, es denen gleichzutun, welche die Liebe mit mir wie ein Kriegshandwerk betrieben haben. Denn die Liebe, mein Teuerster, die Liebe ist doch nicht allein dieses zerwühlte Bett, sondern auch eine Menge anderer Sachen, wie nur du sie mir geben kannst, nämlich Vertrauen, Aufrichtigkeit, Freundschaft, Hilfe und wechselseitige Zusammenarbeit oder sogar Schweigen ... ja, auch das Schweigen! Denn du bist, daß du’s weißt, der erste Mann in meinem ganzen Leben, der die einmalige Bereitschaft bewiesen hat, mir schweigend zuzuhören, und wenn das soviel bemerkenswerte Bilder, Gleichnisse und sonstige Gedanken in mir weckt, ist das vor allem dein Verdienst ...»
Bei diesen Worten warf sie endlich wieder einen Blick auf mich und konnte deshalb das Maß ihrer edlen Taten krönen, indem sie im letzten Augenblick die Dusche abdrehte, meinen blaugefrorenen Leib zurück zur Couch trug, mich durch Mundbeatmung zum Leben erweckte und so lange mit einem Leinenlaken abrieb, bis meine Haut wieder durchblutet war und nur noch ein paar weiße Flecken aufwies.
«Na siehst du, du mein Eiszäpfchen», meinte sie lachend, als jegliche Gefahr vorüber war, «ist das nicht hübscher als die lächerlichen Bewegungen, die jeder kann? Wie schön das der einzige ausgedrückt hat, der es mir nicht besorgt hatte, weil er ein Dichter war und die ganze Nacht an Versen arbeitete, die sich als unvergeßlich erwiesen, ich zitiere: ‹Zu schlaff zum Schlaf / scheint dir mein Glied? / Er will nicht stör’n / des Herzens Lied!›»
Nachdem sie den schwarzen Kaffee in mich hineingeschüttet hatte, den sie aus verschiedenen Tassen zusammengoß, welche ich beim Abwasch gestern übersehen hatte, da sie irrtümlich im Kohlenkasten abgestellt worden waren, war es endlich an der Zeit, zu meinen Eltern zu gehen. Trotz meiner ehrlichen Versicherung, ich sei schon wieder völlig auf dem Damm, ließ meine Frau nicht locker und bestellte ein Taxi. Im Wagen legte sie sich meine Hand auf den Schoß und nutzte jedes Klappen des Taxameters, um mir ein Küßchen zu geben. Mit Stolz registrierte ich, daß der Fahrer mich beneidete, denn er drehte nach einer Weile wütend den Rückspiegel herunter und rülpste widerlich. Auf dem Wenzelsplatz ließ meine Frau plötzlich anhalten und zog ihre Geldbörse.
«Wart hier!» forderte sie mich auf, ähnlich wie schon am Morgen.
Ich war sicher, daß sie mir wieder Hörnchen bringen würde, doch zu meiner Überraschung kam sie mit einem riesigen Blumenstrauß zurück.
«Teerosen?» rief ich erstaunt.
«Die Kaffeerosen waren leider alle», erwiderte sie scherzend, «doch vielleicht mag deine Mammi auch Tee.»
Die liebe, liebe Liliane! Sie dachte wirklich an alles. Doch obwohl ich ihr grenzenlos vertraute und mich an ihrer Seite völlig in Sicherheit wiegte, verfiel ich, als vor der Frontscheibe des Wagens unser Haus in Sicht kam, dennoch fast in Panik. Ich versuchte einen epileptischen Anfall vorzutäuschen, um die Begegnung mit meinen Eltern wenigstens um ein paar Tage hinauszuschieben. Leider hatte ich keine schauspielerischen Anlagen, denn meine Frau zog mich nur vom Boden hoch, hielt mir mit einer Hand den Mund zu, damit mein Geschrei nicht ihre Verständigung mit dem Fahrer behinderte, und drohte mir, nachdem sie bezahlt hatte, fröhlich mit dem Finger.
»Ja doch, ja doch! Solange wirst du, mein Biberle, schon noch warten können! Das ist ganz typisch für dich, erst salopp und dann hopphopp!»
Obwohl