Meine Frau und ihr Mann. Eine Beichte. Pavel Kohout
und die Soldatenuniform, die mich noch mehr in einen Mann verwandelte, machte sogar einen solchen Eindruck auf Mutsch, daß sie sich selber erkühnte, ohne Umschweife zu den Vögeln überzugehen. Leider trat genau zu dieser Zeit jener unselige Oberstleutnant an dem Schwanenseeteich auf den Plan. Obwohl er, wie ich meinte, die ganze Sache offensichtlich nur als pazifistische Demonstration gegen den Warschauer Pakt beurteilte, glaubte Mutsch in ihrem tödlichen Schreck, er durchschaue vielleicht deren wahren Sinn. Das erachtete sie als einen weiteren Fingerzeig von oben, und so betete sie den ganzen Heimweg über reumütig und flehte nächtens Paps an, die Sorge um mein weiteres Heranreifen ganz dem Allerhöchsten zu überlassen, der mich schon nach seinem Willen zurechtstutzen werde.
Damals sah ich mich genötigt, einen letzten Versuch auf eigene Faust zu unternehmen. Aus den Gesprächen meiner Waffengenossen, denen ich immer begieriger lauschte, und auch aus den Aufschriften an den Wänden der öffentlichen hygienischen Einrichtungen erriet ich, daß so etwas wie eine Organisation von Frauen existierte, die gegen geringes Entgelt weniger erfahrenen Werktätigen des anderen Geschlechts praktische Lektionen erteilten. Da dieselben mit einer besonderen Bezeichnung belegt wurden, die auch mein Paps in dem Gespräch mit Mutsch verwendet hatte, faßte ich Vertrauen zu ihnen. Diese Aufklärerinnen, so hieß es, stünden an späten Abendstunden vor verschiedenen gesellschaftlichen Zentren herum, und ansprechen dürfe sie auch derjenige, der ihnen nicht vorgestellt worden sei. Die Schwierigkeit bestand darin, daß ich abends ohne meine Eltern nicht aus dem Haus durfte. Wie ich die Burschen beneidete, die in normalen Einheiten Dienst taten und in den Kasernen wohnen durften, wo sie ab und zu Ausgang bis Mitternacht erhielten! In der größten Not kam mir jedoch ein glücklicher Zufall zu Hilfe. Mein Vorgesetzter, Leutnant Lánsky, kriegte eines Tages von Hauptmann Kverková den Befehl, sie abends in ihrer Wohnung aufzusuchen, da der Divisionskommandeur plötzlich zu einer Stabsübung abgereist war. Weil der Leutnant ausgerechnet an diesem Tag Aufsicht im Magazin für ‹Halbliter› genannte Stiefel hatte, befahl er mir, den Dienst für ihn zu übernehmen, was meine Eltern ungern gestatten mußten. Zu seinem Pech handelte es sich jedoch nur um einen kurzen Probealarm. Oberst Kverek kam um neun Uhr nach Hause, und bereits um zehn erschien Leutnant Lánsky im Magazin, wonach er mich fortschickte, um ungestört den Selbstinfarkt begehen zu können.
Das konnte ich nicht ahnen und beschloß deshalb sogleich ohne Gewissensbisse, die unverhoffte Gelegenheit für mein Vorhaben zu nutzen. Im Gewaltmarsch klapperte ich ein paar Konzerthäuser und Vortragssäle ab, doch niemand stand davor herum. Eine momentane Eingebung brachte mich auf den Gedanken, daß auch Massenunterkünfte gesellschaftliche Zentren sein könnten. Vom Smetana-Theater aus steuerte ich deshalb auf das Hotel Esplanade zu. Als ich die bescheidene Grünanlage durchquerte, pochte mir das Herz vor Freude. Auf dem Gehsteig, unter einer hellerleuchteten Markise, stand wahrhaftig eine Frau im besten Alter, die nach Erscheinung und Kleidung meinen Vorstellungen entsprach. Ich kannte mich viel zu gut, um nicht zu wissen, daß ich nie mehr den Mut fände, wenn ich zögerte. Ich sah nach, ob meine Knöpfe alle geschlossen waren, holte Luft, brachte die paar Schritte, die mich von ihr trennten, rasch hinter mich, legte vorschriftsmäßig die Hand an den Rand der Militärmütze und sprach sie höflich an.
«Verzeihen Sie, Genossin, sind Sie eine Nutte?»
An das Folgende denke ich bis heute wie an einen bösen Traum zurück. Nach einer Ohrfeige, die mich regelrecht von den Füßen hob, begann sie unwahrscheinlich laut zu zetern, und ehe ich es mich versah, wurde ich brutal von dem hünenhaften Portier angefallen, der mich wie einen Ranzen am Koppel bis vor die Rezeption schleppte. Wie sich herausstellte, war die betreffende Dame die Postministerin für die Tschechoslowakische Volkspartei, ihr Gatte war gerade um die Ecke gegangen, den Wagen zu holen. Das war einfach zuviel für mich. Die schlotternden Beine trugen mich nicht mehr, also hockte ich mich auf den roten Teppich und schwamm in Tränen. Der Anblick des herzzerreißend weinenden Soldaten war anscheinend für alle Anwesenden überraschend, denn der Empfangschef unterließ es, die Polizei zu rufen, gleichermaßen die Ministerin ihren Mann. Meine Angst war größer als die Scham, und so sah ich keinen anderen Ausweg, als schluchzend den Sinn meines Tuns zu erläutern. Als ich fertig war, trat Stille ein. Der Portier schaute zu Boden, der Empfangschef putzte sich die Brille, und die Ministerin zog ein Batisttüchlein aus der Handtasche.
«Da», sagte sie beinahe mütterlich, «trocknen Sie Ihre Tränen. Ich glaube, Genosse, Sie sollten möglichst bald heiraten. Die Familie ist die grundlegende politische Zelle des sozialistischen Staates, und dort werden Sie auch alles das finden, was dieser, ja sogar die Kommunistische Partei, obwohl sie unsere führende Kraft ist, Ihnen nicht bieten kann!»
Das Taschentuch habe ich heute noch. Darin sind Sichel, Hammer und ein Telefon eingestickt.
Und das war alles, was ich erfahren, erlebt und errungen hatte in diesem Vierteljahrhundert meiner Existenz bis zu jener denkwürdigen Nacht, als mich das Schicksal in Gestalt eines Helikons in die Arme meiner Frau führte. Kein Wunder, daß ich so unvorstellbar eifersüchtig war auf die unbekannten Musiker, die bei intimer Beleuchtung hinter den unzähligen Samtvorhängen des Rundfunks mein zerbrechliches Glück allein dadurch in Frage stellten, daß sie ganze Sinfonien des Liebens wie vom Blatt beherrschten, wogegen ich zu ihr nicht einmal den Violin-, geschweige denn den Helikonschlüssel kannte.
Als die Bürostunden endlich vorüber waren, flog ich nicht wie ein freigelassener Vogel zu meiner Frau, sondern schleppte mich wie ein weidwundes Tier am Flußufer hin, vom Gedanken an meine bevorstehende Niederlage gelähmt. An der Stelle, wo ich mittags die Möwen gefüttert hatte, lehnte ich mich erschöpft ans Geländer und stierte in die trüben Wellen, so benommen, daß mich nicht einmal der übliche Schwindel überkam. In meinen Ohren tönte die liebliche Stimme meiner Frau, die so sehr an ihr Instrument erinnerte. Mein Gott, dachte ich, womit kann ich sie überhaupt fesseln, was kann ich ihr bieten, um nicht nur einer von vielen, aber wenn schon nicht der erste, so doch wenigstens der letzte von allen zu sein! Unwillkürlich tastete ich in der Tasche nach dem halben Hörnchen, das ich mir morgens zum Andenken gelassen hatte, und warf es resigniert in den Fluß. Ein paar dicke Möwen, die sich behaglich auf dem Wasser ausruhten, ruderten bedächtig darauf zu. Sie hatten offenbar Erfahrung genug, um zu wissen, daß der Happen für alle reichen würde. Da schoß aus heiterem Himmel ein Pfeil herab. Eine junge Möwe schnappte ihnen die Beute weg, die sie schon in Schnabelweite gehabt hatten, und stieg mit siegreichem Gekicher in die Höhe, ohne ihres Protestgeschreis zu achten.
Und ich, der einzige Zeuge, hatte jetzt meine Antwort gefunden. Es gibt also doch etwas, womit ich sämtliche Orchester der Welt aussteche: meine Jugend! Gegen die Virtuosität werde ich meine frische Kraft setzen. Gegen die übersättigte Völlerei meinen gesunden Hunger. Ach, Liliane! Nach den trägen Genußmenschen, die Sie als einen Dutzendbissen genommen haben, stürzt sich aus den Wolken eine junge weiße Möwe auf Sie herab! Als wollte ich nicht zehn Minuten, sondern ein Dutzend verlorene Jahre einholen, rannte ich über die Karlsbrücke, eilte die Neuen Schloßstiegen hinauf, lief über den Hradschin-Platz und rannte in das Haus, das mein künftiges Heim werden sollte. Erst auf der Treppe fiel mir ein, daß ich immer noch nicht wußte, wie meine Frau weiter hieß, doch es beruhigte mich, daß ich sie einstweilen Genossin nennen konnte. Da war ich schon nach zwei Treppen vor ihrer Tür und warf mich mit meinem ganzen leidenschaftlichen Körper gegen die Klingel, als mir der Nachname Jámová von der Visitenkarte ins Auge fiel. Noch spürte ich die Kühle, die mir aus dem Wortstamm Jáma, ‹Grube› also, entgegenschlug, doch da flog schon die Tür auf, und auf der Schwelle stand niemand anderes als meine Frau. Ihr Lächeln wich aber einem Ausdruck von Schrecken, als sie meiner Miene ansichtig wurde.
«Um Gottes willen, was ist dir passiert ...?»
Ich schlug die Tür hinter mir zu, trat ins Zimmer, warf ohne ein Wort, da ich kaum Luft zu holen vermochte, Sakko, Krawatte, Hemd ab ... Sie begriff. Das Blut kehrte in ihre Wangen zurück, und das vertraute Feuer flammte in ihren Augen auf. Mit einem Ruck riß sie sich die Bluse herunter, daß es Knöpfe regnete. Im Nu war der Fußboden von unseren Textilien bedeckt. Dann umarmte ich sie und riß sie begierig unter das Helikon, bis einige Schiffsmodelle umkippten. Eine gewisse Zeit war es still. Dann drang an mein Ohr ihr Seufzer.
«Liebling ... du willst mich nicht mehr??»
3
Das