Nell Gwyn. Charles Beauclerk
eh man erhört wird, wird man lang verachtet.
Diese Natürlichkeit ist das Eigentliche, was Nell mit an den Hof brachte. Unabhängigkeit ist ein weiterer Wesenszug der Cydaria, denn sie verwehrt sich dagegen, dass ihr Vater ihr denjenigen aussucht, den sie lieben soll. Auch Nell ließ sich von ihrer Liebe leiten und sprengte die Fesseln ihrer Geburt. Das Liebesthema im Stück erhielt für das Publikum noch einen zusätzlichen, besonders prickelnden Reiz, wusste doch jedermann, dass die Liebenden auf der Bühne, also Charles Hart und Nell Gwyn, auch im wirklichen Leben ein Paar waren. Kein Blick und keine Geste zwischen den beiden entging dem Zuschauer, denn das lieferte den Stoff für das Tagesgespräch.
Die Bewunderer von The Indian Emperor hielten das Stück für ein Kronjuwel des Heldendramas, und es wurde auch fünfundzwanzig Jahre lang immer wieder aufgeführt. Kritiker gab es aber ebenfalls, vor allem in den Reihen der Höflinge. Die schärfsten Angriffe gingen von John Wilmot, Earl von Rochester, aus, der darin vom Jugendfreund des Königs, George Villiers, Herzog von Buckingham, unterstützt wurde. Das Heldendrama bot diesen scharfzüngigen Satirikern ein leichtes Ziel, und so wie Hunde über einen Hasen herfallen, verrissen sie mit ihren Spottversen ganze Passagen daraus. Es spielte dabei auch eine gewisse Portion Neid mit, denn Rochester, den das Theater eigentlich faszinierte, war es selber nie gelungen, ein erfolgreiches Stück zu schreiben. Zudem besaß er eine Schwäche für Schauspielerinnen, wobei er sich keinen Deut um deren soziale Herkunft scherte. Vielleicht hat Wycherley ja Rochester vor Augen gehabt, wenn er die Mrs Squeamish aus seinem Stück The Country Wife über die feinen Herren herziehen lässt, die sich und ihr Vermögen verschwenden, nur um »kleine Theaterkreaturen auszuhalten«.
Es ist durchaus möglich, dass Nell seine erste Bühneneroberung war. Im Victoria and Albert Museum befindet sich ein langes, skurriles Gedicht, das überschrieben ist: »Ein Brief in Versen vom Earl von Rochester an Nell Gwyn« (es stammt aus einer Broschüre mit dem Titel Ein echter Brief des Earl von Rochester an Nell Gwyn, eine Abschrift des Originalmanuskripts aus der Bibliothek des französischen Königs). Die erste Zeile lautet: »Nelly, mein Leben, obwohl Ihr nun schon fünfzehn Jahre alt ...« Das Ganze ist ein lüsternes Loblied auf die noch kindliche Sexualität der Adressatin. Nell sei, so der Verfasser, obschon fünfzehn Jahre alt, noch nicht in die Pubertät gekommen, und er bietet ihr an, ihr ein ganz besonderes Rezept zukommen zu lassen, damit sie sich diesen Zustand der Unschuld noch lange bewahren könne. »Dieses Rezept«, so sagt er, habe er »auf den Inseln der Paphia gefunden, die Aphrodite sich erwählt«. Rochester verhehlt allerdings keineswegs, dass ihre Unschuld mit sexueller Unberührtheit nicht das Geringste zu tun hatte:
Das Lot versenkte ich neunmal pro Nacht
in schwarzer Tiefsee; gleich Leander lacht’
mir Wonne neuer Meere. Eng umschlungen
haben wir Lust um Lust, nie satt, errungen.
Auch wenn die Echtheit dieses Gedichts von mancher Seite angezweifelt wurde, trägt es doch die charakteristischen Züge von Rochesters Stil. Es wurde offensichtlich erst viele Jahre nach 1665 verfasst, zu einer Zeit, als die Beziehung zwischen Nell und dem König schon begonnen hatte, denn er vergleicht sie darin mit Kleopatra. Doch sollten die in diesem Gedicht geäußerten Behauptungen tatsächlich wahr sein, dann war Rochester einer von Nells ersten Liebhabern, und wenn dem so ist, hat sein Einfluss wohl auch dazu beigetragen, sie für die Bühne vorzubereiten, so wie er zehn Jahre später auch seiner langjährigen Geliebten Elizabeth Barry dabei behilflich war. In den 1752 erschienenen Memoirs of the Life of Eleanor Gwinn wird Nell von einem Galan namens Deveil weggeschnappt, und lange Zeit meinte man, das sei eine verdeckte Anspielung auf ihren ersten Liebhaber Duncan gewesen. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass Rochester gemeint war und nicht der eher unbedeutende Kaufmann. Dorimant, Etheredges Abbild von Rochester in The Man of Mode (1676), wird in einer bekannt gewordenen Passage von Mrs Loveit als »ein Teufel [devil]« beschrieben, dem »immer noch etwas von dem nicht gefallenen Engel anhaftet«. Die Methode der Verführung jedenfalls weist eindeutig auf Rochester hin: »Eines Tages, als sie [Nell] sich ihren Geliebten [Hart] in seiner erfolgreichsten Rolle auf der Bühne ansah, in der des Creon in Drydens Oedipus, trat ein Herr in ihre Loge und flüsterte ihr, ganz der vollendete Beau, leise Komplimente ins Ohr; es dauerte nicht lange, und sie entsann sich ihres alten Bekannten Deveil ...«
Als Nell seine Angebote ablehnt, lässt er sie beim Verlassen des Theaters in seiner Kutsche entführen. Wieder eine Vorgehensweise, wie sie für Rochester typisch ist, denn im Frühjahr des Jahres 1665 sorgte er mit der Entführung seiner späteren Ehefrau Elizabeth Mallet für einen Skandal. Durch Rochester ist Nell wahrscheinlich auch in die Welt der Höflinge eingeführt worden, und ihre Affäre mit ihm darf man getrost als ein Vorspiel zu ihrer Liaison mit Rochesters Gefährten Lord Buckhurst von 1667 ansehen, die so viel Stoff für Gerede bot. Und er hat ihr vermutlich auch beigebracht, wie sie sich als ungebundene Geliebte oder femme d’esprit zu gebärden hatte, eine Rolle, in der sie zum Bühnenstar avancierte. Sehen wir Nell als Eliza Doolittle, so war er sicherlich eher ihr Professor Higgins als Charles Hart. Im Fall von Elizabeth Barry hat Rochester doch wirklich mit den Leitern der Duke’s Company gewettet, dass er innerhalb von sechs Monaten eine großartige Schauspielerin aus ihr machen könne. Und er hat die Wette gewonnen.
Etwa zu dieser Zeit war es auch, dass sich Barbara Castlemaine, die ihr fünftes Kind vom König erwartete, mit der jungen Schauspielerin anfreundete. Barbara fand Gefallen daran, junge Mädchen für ihr eigenes Vergnügen und für das des Königs ausfindig zu machen, und außerdem gehörte das Fördern von Künstlern zum wesentlichen Zeitvertreib einer maîtresse en titre: es steigerte ihr Ansehen. In Barbaras Fall war es auch ihrem Liebesleben förderlich, denn sie angelte sich dabei etliche Liebhaber sowohl aus den Reihen der Schauspieler als auch der Stückeschreiber. Nells Partner Charles Hart zählte ebenfalls dazu. Sogar Dryden gab sie Schützenhilfe, nachdem sein erstes Stück durchgefallen war. Für Nell machten so einflussreiche Gönner wie Rochester und Castlemaine die lange Unterbrechung ihrer Karriere, die bald einsetzen sollte, mehr als wett.
Der Zufall wollte es, dass Nells Theaterdebüt mit dem Ausbruch des Ersten Holländischen Krieges zusammenfiel, einer Seeschlacht, in der sich Rochester unerwartet als Held erwies. Das Donnern der Schiffskanonen war bis nach London zu hören. Killigrew klagte darüber, dass die Reihen im Parkett leer blieben, weil so viele junge Herren draußen auf See waren, doch als London dann unmittelbar nach dem Krieg von der Beulenpest heimgesucht wurde, mussten am 5. Juni 1665 die Theater ihre Tore ganz schließen. Alle Theateraufführungen, ja eigentlich sämtliche Vergnügungen, bei denen Menschen zusammenkamen, waren auf Anordnung des Bürgermeisters und des Rates der Stadt London streng untersagt worden. Die siegreichen Kommandanten und ihre Matrosen kehrten »alle fett, lüstern und sonnenverbrannt« heim aus der Schlacht, aber das London, das sie vorfanden, erwies sich als bedrückend still. Viele Häuser waren verrammelt, und die Menschen flohen mit voll beladenen Karren aufs Land. In seinem Tagebucheintrag vom 7. Juni schreibt Pepys:
Heute habe ich, sehr gegen meinen Willen, in Drury Lane zwei oder drei Häuser mit einem roten Kreuz an der Tür gesehen, und »Gott erbarme sich unser« stand dazugeschrieben – ein trauriger Anblick, das erste Mal, dass ich so etwas gesehen habe. Mir wurde richtig übel, und ich bildete mir ein, dass ein sonderbarer Geruch von mir ausgehe; war gezwungen, mir etwas Tabak zum Riechen und Kauen zu kaufen; danach war mir gleich besser.
Es war dies das letzte Mal, dass eine der mittelalterlichen Plagen über England hereinbrach, und eingeschleppt hatten sie die mit Flöhen verseuchten Ratten, die mit den Schiffen in die Stadt gelangt waren. Als die wöchentliche Zahl der Opfer anstieg, begann ein Exodus aus der Hauptstadt in die außerhalb Londons und entfernter gelegenen Dörfer. Am Stadtrand entstanden Zeltstädte, aber auch dort blieb man nicht vor Ansteckung gefeit. Männer und Frauen krümmten sich unter Schmerzen, wenn die grauenhaften Schwellungen unter der Haut aufbrachen, und verendeten schließlich wie die Tiere am Straßenrand, auf dem Feld, in den Gräben, Wäldern und Flüssen. Mit dieser furchtbaren Seuche ging ein kurzes Wiederaufflackern der Endzeitstimmung einher, und in ihrem Entsetzen machten die Leute den Hof und sein lasterhaftes Treiben für das Elend verantwortlich. Am nächtlichen Himmel tauchte ein leuchtender Komet auf, in den Straßen wimmelte es nur so von falschen Astrologen und »üblen Gestalten, die sich als magiekundig ausgaben«. Die raue Stimme