Nell Gwyn. Charles Beauclerk
wenig daraus. Prinz Rupert und seine Mithelden aus dem Bürgerkrieg waren für die neue Generation intelligenter, zynischer junger Männer nur noch Witzfiguren.
Die neue Begeisterung für das Heldenhafte auf der Bühne führte dazu, dass es nur noch wenige Rollen für die niederen Stände gab, denn die waren ja vom Begriff der Ehre ausgeschlossen. Das Theater war nichts weiter als ein kuscheliger Ort, an dem sich die oberen Klassen der Nostalgie hingeben konnten, es war der letzte Traum vom untergegangenen Rittertum, das sich hier im Glanz grellbunter Farben noch ein allerletztes Mal erhob. Das Exotische war zu neun Zehnteln falsche Leidenschaft, hatte man es doch mit nichts anderem zu tun als mit einem zynischen, wollüstigen Klüngel, der selber nur in geringem Maße über wahre eigene Gefühle verfügte. Das war ganz sicher auch der Grund, weshalb Nell Gwyn das Heldendrama nicht ausstehen konnte, obwohl auch sie um ihrer Karriere willen gezwungenermaßen dabei mitwirkte. Pepys brachte sie an den Rand der Verzweiflung, wenn sie ihre tragischen Rollen verhunzte, doch Nell selber sagt im Epilog zu Robert Howards Duke of Lerma:
Der Dichter heute hat uns schlimm behandelt.
Wir zieh’n an einem Strick. Ich weiß, Sie wollen
kein ernstes Stück; ich hasse ernste Rollen!
Die Darstellung tragischer Rollen verlangte die Einhaltung einer ganzen Reihe von Regeln. Für die unterschiedlichen Gefühlslagen waren Tonfall, Gestik und Gesichtsausdruck genau vorgeschrieben, alles war äußerst stilisiert, und dadurch wirkte das Ganze viel bedeutungsvoller – und gekünstelter – als in der Komödie, in der man sich meistens an die Sprache und die Gesten des ganz normalen Alltagslebens hielt. In der Tragödie war nicht das Gefühl an sich wichtig, sondern dass es entsprechend einer allgemeingültigen und professionellen Art zum Ausdruck gebracht wurde, und deshalb gab es auf der Bühne viel Getöse, verzerrte Gesichter und Händeringen. Wie John Crowne es so treffend in der Widmung zu seinem Stück Henry the Sixth (1681) formuliert: »Benimmt sich ein Schauspieler vernünftig, schläft das Publikum ein, bringt ihn eine unnatürliche Leidenschaft jedoch dazu, Grimassen zu schneiden und zu schreien, als erleide er gerade einen Anfall, dann wacht es sofort auf, hört zu und ist gebannt.« Hamlet wäre in seinem Innersten verletzt gewesen (»Oh, es ärgert mich in der Seele, wenn solch ein handfester haarbuschiger Geselle eine Leidenschaft in Fetzen, in rechte Lumpen zerreißt, um den Gründlingen im Parterre in die Ohren zu donnern ...« Hamlet, III, 2), Nell hingegen hat vermutlich nur mit Mühe ihr Kichern unterdrücken können.
In der Komödie durfte Nell sich viel freier ausdrücken, nicht nur, weil der Stil ein sehr natürliches Spiel verlangte, sondern auch weil ein großes Maß an Improvisation und Geplänkel mit dem Publikum dazugehörte. Wie viele berühmte Schauspieler und Schauspielerinnen ihrer Tage spielte Nell auf der Bühne weit mehr als nur ihre Rolle – sie spielte sich selber. Vor allem die Pro- und Epiloge boten Gelegenheit, die Zuschauer ins Vertrauen zu ziehen und ein Stück weit ihr eigenes Wesen zu offenbaren. Im Nachwort zu Drydens Tyrannick Love z.B., einem Stück, in dem sie sich von eigener Hand erdolcht, erinnerte Nell ihre Bewunderer daran, dass sie alles andere war als eine tugendhafte römische Prinzessin, sondern vielmehr der Inbegriff des Schalks. Mit anderen Worten, sie versicherte ihnen, dass die Person, die sie gerade auf der Bühne gesehen hatten, in Wirklichkeit immer noch quicklebendig und quietschvergnügt war. Der Epilog verdient es, in voller Länge zitiert zu werden:
Geneigte Gentlemen, ’s ist offiziell:
Ich bin der Geist der armen toten Nell.
Ein Teufelchen, ganz harmlos; denn so schnell
bekehrt der Tod mich nicht. Das Nachtgespenst
ist ganz dieselbe, die du lebend kennst.
Auf Erden spielte ich auf dem Theater,
jetzt komödiere ich im Höllenkrater.
Gespenster gibt es nicht, ihr Kavaliere?
Wartet, bis ich Euch nachts im Bett vexiere!
Oh, meiner Treu, Ihr glaubt an manche Sachen,
wenn ich erscheine, zwischen Schlaf und Wachen ...
Doch Hand aufs Herz: Ich spuke nur so viel,
weil man mich umgebracht im Trauerspiel.
Ein Liebestod, du dümmlicher Skribent?
Welch blöde Rolle, wenn man Nelly kennt!
Und das dann grad an Ostern zu versuchen,
wenn’s Törtchen gibt und schöne Käsekuchen?
Ich nehm’ ihn nicht in Schutz, den Galgenstrick,
für sein verfluchtes obsoletes Stück.
Wer das nur zweimal anzuschauen schafft,
ist unten durch und gilt als tugendhaft.
Lebt wohl nun, Gentlemen, besucht mich dann,
wenn man sich in Gesellschaft treffen kann –
Ich schreib’ nur schnell ein Epitaph für mich,
Dichtern misstrau’ ich nämlich fürchterlich:
»Hier liegt Nell Gwyn, die große Heroine,
Im Leben Schlampe – im Tod Sankt Katherine.«2
Mit ihrer Persönlichkeit und ihrer Herkunft, ihrer Spontaneität, ihren tiefen Emotionen und mit ihrem natürlichen Drang, aus ihrer Rolle herauszutreten, hat Nell auf der Bühne sicherlich viel dazu beigetragen, den Spiegel der Eitelkeiten zu zerbrechen, zu dem sich das Theater für die feinen Herren in den 1660er Jahren entwickelt hatte. Ihre bemerkenswerte Unbefangenheit auf der Bühne, die so wenig zur Tragödie passte, erlaubte es ihr, das Bild einer neuen Art von Frau zu vermitteln: unabhängig, selbstbewusst und ausdrucksstark, einer Frau, die es genoss, kraftvoll sie selbst zu sein. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie für einen Schauspieler, dass, wie sie bewies, es weniger darauf ankam, in eine Rolle zu schlüpfen, als vielmehr sich selber darzustellen.
Dryden schrieb The Indian Emperor (auch bekannt unter dem Titel The Conquest of Mexico) als eine Art Fortsetzung von The Indian Queen, nur dass dieses Mal die Alte Welt in die Neue eindringt, denn die spanischen Kolonialisten unter Cortez kommen als die Eroberer. Wie er im Prolog schreibt: »Das Bühnenbild ist alt, auch die Kostüme sind Euch schon bekannt; wir trugen sie im vor’gen Jahr, bevor der Spanier ging an Land.« In diesem Stück vom März 1665 bekam Nell ihre erste schriftlich belegte Rolle, die der Cydaria, der Tochter des Kaisers. Dasent vermutet, diese Rolle sei sogar extra für sie geschaffen worden, weil es darin Anklänge an Herefordshire, das Land des Apfelweines, gäbe, doch meiner Meinung nach war sie noch viel zu unerfahren für eine solche Auszeichnung, und außerdem passte der Part überhaupt nicht zu ihr. Als das Stück zweieinhalb Jahre später im August 1667 wieder aufgenommen wurde, ist Pepys mit Nells Darstellung immer noch unzufrieden. »Ging nach dem Abendessen mit Lord Bruncker und seiner Frau ins Theatre Royal und sah The Indian Emperor; Nell war wieder dabei, was mich sehr erfreute; war aber höchst unzufrieden darüber, dass man sie erneut als Tochter des Kaisers besetzt hatte; das ist eine große und ernste Rolle, der sie in keiner Weise gerecht wird.« Mit anderen Worten, sie war einfach nicht dazu geeignet, heldenhafte Gefühle zu mimen.
Im Hinblick auf Nells späteren Eintritt in die Welt des Hofes ist es interessant, dass in The Indian Emperor das Aufeinanderprallen zweier Kulturen thematisiert wird, der Neuen und der Alten Welt, die eine verkörpert durch die Indianer Mexikos, die andere durch die spanischen Eroberer. Doch der spanische General Cortez, gespielt von Charles Hart, muss sich selber geschlagen geben, als ihn seine ungeheure Liebe zu Cydaria, der Tochter des Kaisers Montezuma, übermannt. Diese Rolle spielte Nell. Und genauso, wie er sich der Reize der indianischen Prinzessin nicht erwehren kann, erlag auch das London der Restauration der Fröhlichkeit und Natürlichkeit von Nell Gwyn. Der folgende Dialog zwischen Cortez und Cydaria verdeutlicht den Hauptgegensatz zwischen den beiden Kulturen.
Cort: Gut zu lieben: Darin liegt uns’re Ehre.
Cyd: Seltsamer Weg, ein Herz sich zu gewinnen! Liebe ist hier Natur; bei Euch ist Kunst darinnen.
Cort: