Nell Gwyn. Charles Beauclerk
würde.
Doch was bekamen diese schneidigen Gentlemen, die ins Theater strömten, denn nun eigentlich zu sehen, wenn sie ihre Augen auf die bezaubernde Orangenverkäuferin richteten, die dort mit dem Rücken zur Bühne stand? Nell war sicherlich klein und zierlich (mit den winzigsten und hübschesten Füßchen im ganzen Land), besaß aber dennoch durchaus weibliche Formen und scheute sich nicht, diese auch zur Geltung zu bringen. Ihr Gesicht war oval, sagt Dryden, der sie in der Rolle der Florimel beschreibt, sehr hell ihr Teint, die Augen haselnussbraun unter kräftigen braunen Brauen, was einen wunderhübschen Kontrast zu dem warmen, von goldenen Strähnen durchzogenen Kupferrot ihres Haars bildete. Ihr Biograph Arthur Dasent meint, dieser Gegensatz »mache vielleicht den größten Reiz ihres Antlitzes aus« und behauptet, solche Züge seien »bei Menschen plebejischer Herkunft nur selten oder gar nicht anzutreffen«. Wenn sie lachte, bildeten sich Grübchen in ihren Wangen, und der Schalk stand ihr ins Gesicht geschrieben. Auch ihre Porträts offenbaren, dass sich hinter diesen großen Augen, die den Betrachter dahinschmelzen lassen, noch etwas Tieferes verbirgt: die Melancholie des Narren.
Auf einem Stich nach einem Porträt, das Peter Cross von Nell gemalt hat, und auf dem sie nackt – bis auf ein Paar Amorsflügel – dargestellt ist, ist folgendes Epigramm zu lesen:
Hätt’ Paris diese Helena gekannt,
die Goldfrucht wäre nun in ihrer Hand.
Wunschtraum des Volkes, dem Monarchen teuer:
Das zweite Troja brennt in ihrem Feuer.
Geist, Schönheit, Güte, freundlicher Humor
Hebt über jede Venus sie empor.3
»Diese Helena« ist natürlich eine launige Anspielung auf ihren Namen, Ellen Gwyn, und aus den beiden letzten Zeilen geht ganz deutlich hervor, dass es ihr Geist, aber auch ihre Güte und ihr freundlicher Humor waren, die sie beim Publikum so beliebt machten. Samuel Pepys, ein tatkräftiger Bewunderer weiblicher Schönheit, schätzte sich glücklich, eine Kopie dieses Stichs über seinem Schreibtisch in der Admiralität hängen zu haben.
Wir sollten uns nun aber ebenfalls vorstellen, was Nell erblickte, wenn sie mit ihrem Korb voller Orangen, den Rücken zur Bühne, ins Parkett schaute. Sollte sie gute Manieren und anständiges Betragen erwartet haben, so wurde sie bitter enttäuscht. Das Parkett unterschied sich nur unwesentlich von einem besseren Viehmarkt. So ließen etwa die Gecken keine Gelegenheit aus, ihren rauen Charme spielen zu lassen und mit den hinter ihren seidenen Gesichtsmasken, den vizards, verborgenen Damen zu plaudern, auch wenn das bedeutete, dass sie dem Geschehen auf der Bühne den Rücken zuwenden mussten. Oft waren sie auch angetrunken und stiegen auf die Sitze, um sich noch ostentativer in Pose zu werfen. Sie kauten Obst und knabberten Konfekt, rauften mit Rivalen und fochten gelegentlich sogar hier, auf dem mit Sägemehl eingestreuten Boden des Parketts, ihre Duelle aus. Sie fanden nichts dabei, mitten in die Vorstellung hineinzuplatzen und das ganze Haus mit ihrem ungebührlichen Auftritt zu unterhalten. Und wenn sie der Meinung waren, der Autor sei nicht witzig genug, scheuten sie sich nicht, ihre eigenen »Kommentare« dazwischenzurufen, um die Lacher auf ihre Seite zu ziehen. Oder aber das Stück missfiel ihnen, und auch die maskierten Damen wollten nicht so recht anbeißen, dann inszenierten sie ihren großen Abgang, und zwar zu den unpassendsten Augenblicken. In seinem Stück The English Friar schildert uns der Dramatiker John Crowne, wie einer dieser Wichtigtuer im Parkett herumkrakeelt:
Oh ja, Sir, Ihr seid der Herr des ganzen Hauses, und niemand soll mehr etwas anderes hören als das, was Eurem lauten Gebaren beliebt; Ihr nehmt sechs Plätze in Anspruch und räkelt Euch darauf herum, ohne jedoch auch nur für einen zu zahlen; streitet mit den Leuten und unterhaltet die Damen hinter ihren Larven mit Euren Zoten, so dass man es überall in den Logen hört! Ihr rangelt mit den Orangenmaiden, werft sie zu Boden, küsst sie und lasst die Damen von Stand sitzen ...
Auch Aphra Behn beschreibt diese jungen Herren im Prolog zu ihrem Stück The Débauchée als Flegel, die »sich über die Bankreihen hinweg laute Flüche zurufen und den Orangenmädchen Derbheiten entgegenschleudern«. Die Gecken und ihre Mätressen waren im Grunde genommen beides, Schauspieler und Zuschauer in einem, und unterhielten das Theater mit ihren ungeprobten Skandalszenen. Im Februar 1664 hält Pepys in seinem Tagebuch fest, dass »der König neulich sein Theater besuchte, um The Indian Queene zu sehen (ein Stück, das er für sehr gelungen hält). Lady Castlemaine hatte bereits in der Nachbarloge Platz genommen, bevor er eintraf; eine Weile lang lehnte sie sich über die anderen Damen hinweg, um mit dem König zu tuscheln, erhob sich dann, verließ ihre Loge und begab sich in die des Königs. Dort ließ sie sich zur Rechten des Königs nieder, zwischen ihm und dem Herzog von York; was ... den König selber sowie alle anderen ganz aus der Fassung brachte ...«. Barbara, die des Königs Geduld in letzter Zeit etwas strapaziert hatte, tat dies, wie Pepys meint, »um aller Welt zu beweisen, dass sie, entgegen allen Gerüchten, immer noch in seiner Gunst stand«.
Zwischen Bühne und Parkett verlief eigentlich keine genaue Trennungslinie: beides zusammen bildete eine einzige Manege für die Anmaßungen der besseren Herren. Wenn es doch einen Unterschied gab, so stellt man sich die Bühne wohl am besten als einen großen Spiegel vor, vor dem die beau monde ihr Gefieder plusterte. Sir Carr Scrope, einer von Nells späteren Verehrern, benutzt dieses Bild des Spiegels, um in seinem Prolog zu Etheredges Komödie The Man of Mode die Eitelkeit des Parketts aufs Korn zu nehmen:
Weisheit ist heute nicht en vogue, zum Glück,
denn Eure Possen formten unser Stück.
Uns Mimen füttert Eure Unvernunft,
so wie die Zipperlein die Ärztezunft.
Wenn jedes Jahr ein neues Leiden bringt,
ist’s hochwillkommnen, da die Kasse klingt.
Und keimt bei Euch ein neuer Typus Narr,
ist er Tags drauf schon Bühneninventar.
Euch selbst zuliebe seid nicht gar zu strikt,
verdammt nicht hier, was Euch daheim beglückt.
Denn jeder liebt sein hässliches Gesicht –
Wir halten Spiegel nur: Zerbrecht sie nicht!
Und an Eitelkeit und prachtvoller Kleidung stachen die nach der neuesten französischen Mode ausstaffierten Männer die Damen bei weitem aus, auch wenn Richard Ames darauf hinwies, dass auch die Damen im Parkett dem Stück an sich ebenso wenig Aufmerksamkeit zollten wie die Herren der Schöpfung:
Da sitzen sie maskiert und kichern dumm
und gaffen tückisch im Parterre herum,
den Text des Schauspiels ignoriert man ganz.4
Das Theater machte alle gleich. Die seidene Gesichtsmaske sorgte dafür, dass die Weiblichkeit im Parkett, Damen wie Prostituierte gleichermaßen, zu einer einzigen Ware reduziert wurde. Ob sie sich nun zurückhaltend Luft zufächelten oder aber schamlos herumflirteten, für den Galan auf Beutezug waren sie alle eins. Der folgende Dialog aus dem Beginn des IV. Aktes von The Man of Mode fängt diese neue Art männlicher Eitelkeit gut ein:
Lady woodvill: Nun, dies ist wahrlich nicht das Zeitalter der Frau, da kann man sagen, was man will. Heute ist Lüsternheit angesagt, zu meiner Zeit war es Liebe.
Dorimant: Fürwahr, Frauen haben heutzutage an den jungen Herren wenig, was sie schätzen könnten; im Allgemeinen sind diese nur stumpfsinnige Bewunderer ihrer selbst und machen lediglich ihren Perücken und Halstüchern den Hof. Und sollten diese einmal verrutschen, selbst wenn die Gründe dafür die angenehmsten wären, so bereitet ihnen das mehr Sorge als einem jungen Mädchen, wenn es den Kopf oder sein Taschentüchlein verliert.
Doch lassen wir die derben Späße einmal beiseite. Die Welt des Theaters, zu der Nell zunächst nur indirekt im Alter von vierzehn Jahren Zutritt erlangte, wurde von einer wohlhabenden Londoner Klientel gefördert, und die setzte sich sowohl aus Angehörigen des Hofes zusammen als auch aus der wachsenden Schicht der Kaufleute und City-Finanziers (geringschätzig »cits« genannt). Der Handel florierte, und der schier endlose Zufluss