Nell Gwyn. Charles Beauclerk
wie wir ja schon gesehen haben, überaus aktiv. Selbst wenn er auf einem Ball die halbe Nacht durchgetanzt hatte, war er schon vor Sonnenaufgang wieder auf den Beinen, um sich nach einem ausgiebigen Spaziergang seiner Arbeit zu widmen. Doch täglich kursierten in der Hauptstadt neue Gerüchte über den skandalösen Lebenswandel des Königs. Charles weigerte sich, diese Geschichten ernst zu nehmen, auch wenn es den Anschein hatte, als würden sie das Vertrauen der Öffentlichkeit in seine Regierung untergraben.
Charles’ Raffinesse, sein Esprit, frappieren uns noch heute. Es kann durchaus sein, dass er die Nachwelt mit demselben Geschick überlistet hat, mit dem er auch seine Zeitgenossen verblüffte und ihnen trotzte, denn noch heute fragen wir uns: Inwieweit hat Charles das Bild von sich als unnützem Schürzenjäger gefördert, um seinen Widersachern zuvorzukommen? Wir werden es wahrscheinlich niemals erfahren, doch fest steht, dass die meisten seiner politischen Gegner ihn unterschätzten und dabei den Kürzeren zogen.
Mit seinem Witz und seiner Neugier, mit seiner Vorliebe für Luxus, seiner Leidenschaft für Frauen, das Theater, die Wissenschaften und die Seefahrt hat Charles, der Mann, den Geist seiner Zeit in außerordentlichem Maß geprägt. Im England Charles’ II. treten Frauen ganz allgemein ins Blickfeld, und Nell Gwyn war eine von jenen, die bewiesen, welch neue Unabhängigkeit talentierte Frauen von nun an für sich in Anspruch nehmen konnten. Vor allem im künstlerischen Bereich taten sie sich hervor, als Schriftstellerinnen und Schauspielerinnen. Ein ganz besonders leuchtendes Beispiel ist die Dramatikerin und Romanautorin Aphra Behn, von der Virginia Woolf einmal gesagt hat, sie sei die erste Frau in England gewesen, die sich ihren Lebensunterhalt mit dem Schreiben verdiente.4 Behn war eine Bewunderin von Nell Gwyn (das Gefühl beruhte auf Gegenseitigkeit) und hat ihr das Stück The Feign’d Courtesans gewidmet. In ihrer Widmung weist Behn ganz bewusst auf Nells lebendige Redeweise hin und hebt den weiblichen Mutterwitz hervor: »Eben dies sollte euer Geschlecht stolz genug machen, die böswillige Welt zu verachten, die den Frauen keinen Geist zugestehen will ...« Aphra führte ein bohèmehaftes Leben, wie es zu früheren Zeiten undenkbar gewesen wäre. Und obwohl es ihr selber nie möglich war, sich durch und durch zügellos zu gebärden, so schuf sie doch in der Figur der Hellena in The Rover eine ungebundene, selbstbewusste Frauengestalt, die ihren angebeteten Helden mit ihrem Witz und Verstand verfolgt und ihn schließlich für sich gewinnt.
Hellena oder Eleanor – es ist wohl kaum ein Zufall, dass Behns Figur (die eingesteht, sie »habe eine seltsame Vorliebe für alles Schalkhafte«) den gleichen Namen trägt wie die Heldin unserer Geschichte, eine geistreiche Komödiantin, der es beschieden sein sollte, den größten Frauenhelden von allen für sich einzunehmen.
Kapitel 5
Schritt für Schritt nach oben
Das Schicksal sparte seine Kräfte nicht
Und hob sie vom Parterre ins Rampenlicht.
A Panegyrick, 1681
Das neue Theater, das Killigrew zwischen der Bridges Street und der Drury Lane errichtete und das am 7. Mai 1663 seine Tore öffnete, stellte für viele Frauen das Eingangstor zu einer anderen, verheißungsvolleren Welt dar. Für Nell jedenfalls bot es die Möglichkeit, sich sowohl von Duncan zu befreien als auch den Klauen von Madam Ross zu entkommen, denn sie gehörte mit zu den Ersten, die in die erlesene Truppe der Orangenverkäuferinnen aufgenommen wurde. Einige Wochen vor der Eröffnung des Theaters hatte Killigrew’s Company (genauer gesagt »The King’s Company«) einer gewissen Mary Meggs, Witwe, folgende Genehmigung erteilt: »Sie ist als Einzige befugt, frei und uneingeschränkt Orangen, Zitronen, Obst, Leckereien und allerlei Arten von Früchten und Zuckerwaren feilzubieten, zu verkaufen und unter die Leute zu bringen.« Meggs, ehemals Bordellwirtin und allgemein bekannt unter dem Name »Orange Moll«, war eine gute Freundin von Mrs Gwyn, und so gingen zwei der drei Stellen, die sie für Hilfskräfte bereithielt, an die Schwestern Rose und Nell Gwyn. Später formulierte es der Verfasser von A Panegyrick folgendermaßen:
Ein Korb war ihrem hübschen Arm beschieden,
mit Äpfeln und dem Obst der Hesperiden.
Das staunende Parterre hat sie besucht,
bot feil die lächelnd goldgestreifte Frucht.
In symbolischer Hinsicht ist es interessant, dass die Orange so stark mit Nell Gwyn und insbesondere mit ihrem lebhaften Wesen und ihrer Großzügigkeit assoziiert wurde. Chesterton erinnert daran, dass »noch lange nachdem der Letzte, der sie mit eigenen Augen gesehen hatte, verschieden war, an der Sitte festgehalten wurde, bei der Austeilung von Almosen in der Savoy-Kapelle einen Teller mit einer Orange neben die Tür zu stellen«, als eine Art Tribut an Nells Mildtätigkeit.1 Die Orange war in allererster Linie ein Symbol für die Sonne, ganz bildlich gesprochen, aber auch für den Geist, der alles Leben durchdringt. Die Orangen – oder goldenen Äpfel – im Garten der Hesperiden am äußersten westlichen Ende der Welt waren der höchste Preis, den der Geist des Menschen erstreben konnte: das Erstrahlen der Seele. Zu Nells Zeiten galten sie als exotisch, beinahe als Früchte aus einer anderen Welt, und wurden stark mit dem Königtum in Verbindung gebracht. Charles’ Großmutter, Maria von Medici, Königin von Frankreich, hatte eine berühmte Orangerie besessen, und sein Vetter Ludwig XIV., der Sonnenkönig, war geradezu vernarrt in Orangenbäume. Bezeichnenderweise sind es Orangen, die Aschenputtel ihren garstigen Schwestern zum Geschenk macht, als Zeichen dafür, dass sie nun nicht mehr länger das Aschenputtel ist, sondern sich zur Prinzessin gewandelt hat; man könnte wohl sagen, dass die Orangen auch am Anfang von Nells Eintritt in das Leben des Königs standen.
Die Mädchen arbeiteten sechs Tage in der Woche und erhielten ein Sechstel ihrer Einnahmen als Lohn. Sie standen in der vorderen Reihe des Parketts mit dem Rücken zur Bühne, hielten ihre mit Weinlaub bedeckten Obstkörbe vor sich und riefen in der Pause zwischen den einzelnen Akten: »Orangen gefällig! Möchte jemand Orangen?« Wilson zufolge bestand ihre Kleidung, die vermutlich von Orange Moll gestellt wurde, aus einer weißen Bluse, Korsett, Unterrock und einem Kleid aus grobem Stoff. Um den Hals hatten sie ein Tüchlein gebunden. Für die kleinen, süßen »Chinaorangen« zahlten die Gentlemen Sixpence, doch zusätzlich gab es auch Trinkgelder, denn die Mädchen übernahmen Botengänge für die Herren und überbrachten den maskierten Damen im Publikum oder aber den Schauspielerinnen hinter der Bühne kleine Liebesbillets. Auf diese Weise lernten sie den Umgangston und die Gepflogenheiten der besseren Gesellschaft kennen. Manchmal gab es auch unerwartete Aufgaben, so etwa als Orange Moll höchstpersönlich einem Mann während der Aufführung von Heinrich IV. das Leben rettete. Der hatte sich nämlich an seiner Orange verschluckt, und sie steckte ihm den Finger in den Hals und »brachte ihn so ins Leben zurück«. Pepys befand sich zu dem Zeitpunkt im Publikum und vertraute den Vorfall seinem Tagebuch an. Die Orangenverkäuferinnen kamen auch in Kontakt mit den Schauspielern und Schauspielerinnen, denn häufig trotteten sie mit ihnen mit, wenn die sich nach der Vorstellung noch in eine der nahe gelegenen Schenken zurückzogen.
Meggs suchte sich ihre Mädchen nicht allein nach äußeren Kriterien aus, sie mussten auch in der Lage sein, mit den Kunden zu schäkern. Schon sehr bald waren sie dafür bekannt, dass sie sich im Theater in allen Intrigen auskannten und genau wussten, wer sich mit wem traf. Wenn ein Gentleman sie danach fragte, konnten sie ihm wertvollen Klatsch weitertragen. Von Meggs selber hieß es, sie sei »eine private Umschlagstation für Skandalnachrichten« gewesen. In Rawlins’ Stück Tunbridge Wells, or A Day’s Courtship sagt eine der Personen: »Ihr Kuppeleigeschäft versteht sie besser als jede Orangenmaid im Theater.« Diese Anstellung war sicherlich eine gute Lehre für die spätere Karriere auf der Bühne, wo der gekonnte Umgang mit der Kuppelei geradezu zur Kunst erhoben wurde, und die Leiter der Truppe haben wahrscheinlich sehr rasch erkannt, wenn die Stimme eines Mädchens Talent verhieß, wenn es selber witzig und schlagfertig reagierte und andere zum Lachen bringen konnte. Manche dieser Tändeleien müssen ziemlich derb gewesen sein, denn die Orangenmädchen selbst galten den jungen Burschen in der Stadt als Freiwild. Viele Jahre später hat Nells große Rivalin, die Herzogin von Portsmouth, einer Dame erwidert, als diese Nells geistreiche Bemerkungen lobend erwähnte, an der Art, wie sie fluche, könne doch jedermann gleich erkennen, dass sie einmal Orangen verkauft habe.
Ob nun derb oder nicht, für ein Mädchen