Nell Gwyn. Charles Beauclerk

Nell Gwyn - Charles Beauclerk


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      Bedenkt man, dass bis zu drei Stücke innerhalb einer einzigen Woche aufgeführt werden konnten, fällt es nicht schwer, sich vorzustellen, wie sehr der Schauspieler vom persönlichen Rollenstudium in Anspruch genommen wurde und welch eine Gedächtnisleistung das von ihm erforderte. Wen wundert es da noch, dass man in den Straßen von Covent Garden Schauspielern und Schauspielerinnen begegnen konnte, die ganz versunken vor sich hin murmelten oder gestikulierten. Über den Schauspieler Jack Verbruggen erzählt man sich folgende Anekdote: Er ging eines Morgens hinaus auf die Felder am Londoner Stadtrand, um eine Tragödie einzustudieren. Drei Straßenräuber fanden ihn, wie er wild um sich schlug, mit den Augen rollte, den Blick gen Himmel gewandt, und irgendeinem imaginären Gegner entgegenschrie: »Ich mache Euch keinen Vorwurf!« Sie hielten ihn für geistesgestört, er tat ihnen leid und sie baten ihn inständig, sich nichts anzutun. Als der tobsüchtige Mime ihnen allerdings offenbarte, er sei doch nur dabei, seine Rolle zu lernen, änderten sie ihre Meinung und beraubten ihn seiner ganzen Barschaft.1

      Verbruggen war damals eine Berühmtheit, und bei ihm gab es etwas zu holen. Die meisten Schauspieler allerdings lebten von der Hand in den Mund, durften aber wenigstens, da sie in den Diensten des Königs oder des Herzogs von York standen, nicht verhaftet werden, wenn sie sich verschuldeten. Sie führten ein Leben am Rande der Londoner Unterwelt. Neulinge mussten eine dreimonatige Probezeit absolvieren, während der sie überhaupt keinen Lohn erhielten. Wurde eine Schauspielerin danach angenommen, bekam sei ein Anfangssalär von zehn bis fünfzehn Schilling wöchentlich und damit erheblich weniger als ein männlicher Kollege. Fünfzehn Schilling, so viel musste man zur Zeit der Restauration in London für ein Paar seidene Strümpfe bezahlen. Eine erfahrene Schauspielerin verdiente dreißig Schilling in der Woche – der Preis für ein Paar Stiefel, und die Topstars, wie Elizabeth Barry und Susanna Verbruggen, brachten am Ende der Woche fünfzig Schilling nach Hause, das entspricht ungefähr 200£ heute. Die attraktiven Schauspielerinnen konnten jedoch noch mit Aufbesserungen rechnen, denn ihre Bewunderer schenkten ihnen prachtvolle Kleider, auf der Bühne und danach zu tragen, beehrten sie mit Schmuck und Spitzen und führten sie zum Abendessen aus.

      Für die Inszenierungen in der Drury Lane waren zu Nells Zeiten Tom Killigrew, John Dryden sowie dessen Schwager Sir Robert Howard zuständig. Howard und Killigrew waren die wichtigsten Anteilseigner am Theatre Royal, ihnen gehörten zusammen fünfzig Prozent, wohingegen Howard und Dryden die wichtigsten Dramenautoren waren. Beide schrieben sie wundervolle Rollen für Nell, insbesondere Dryden, der ihr komisches Talent ganz besonders schätzte. Alle drei wurden ihre Freunde und Bewunderer. Sir Robert fungierte später als ihr Treuhänder und half ihr bei der Regelung ihrer finanziellen Verhältnisse.

      Howard war ein begabter, humorvoller Stückeschreiber, ein Mann von außergewöhnlich vielseitigem Interesse, der von der Nachwelt ungerechterweise schlechtgemacht und verleumdet wurde. Schuld daran war zum großen Teil Shadwell, der ihn in seinem Stück The Süllen Lovers (1668) in der Figur des Sir Positive At-All karikiert hatte. Es ist dies das lächerliche Porträt eines sein umfassendes Wissen herauskehrenden Besserwissers, mit dem er Howard über Nacht zur Zielscheibe des Spotts in der literarischen Welt machte. Noch 1685, also siebzehn Jahre nach dem Erscheinen des Stückes, schrieb Evelyn in sein Tagebuch: »Bei Sir Robert Howard, Prüfer im Schatzamt, zu Abend gegessen, ein Mann der vorgibt, sich in allen Künsten und Wissenschaften auszukennen, weshalb er ja auch als Sir Positive zum Gegenstand der Komödie wurde; kein übler Bursche, aber ein unerträglicher Aufschneider.« An anderer Stelle nennt er ihn einen »universalen Prahlhans«.

      Howard hatte eine Affäre mit der Schauspielerin Susanna Uphill, die, wie man sich erzählte, sein ganzes Geld ausgab und ihn dann doch nicht heiraten wollte. In einer Satire aus der Zeit wird sie als »Sir Pos’ gemeines Weibsbild« bezeichnet, und Shadwell verhöhnt sie als Lady Vaine, »eine Hure, die sich Lady nennt«. Zu guter Letzt ehelichte Howard statt Ihrer ihre Verwandte Mary Uphill. Zwei seiner Brüder schrieben ebenfalls Theaterstücke, James Howard, der Autor von All Mistaken, or The Mad Couple, einem Stück, in dem Nell einen ihrer ersten Triumphe feierte, und Edward Howard. Ein vierter Bruder, Oberst Thomas Howard, der spätere Earl von Berkshire, soll der Vater der Schauspielerin Moll Davis gewesen sein, die es bis zur Mätresse des Königs brachte. Wie die Killigrews waren auch die Howards eine große, exzentrische Familie von Schriftstellern.

      John Dryden dagegen war Schriftsteller von Beruf und angestellt, um der King’s Company gegen Zahlung eines Honorars drei Stücke jährlich zu liefern. Sein wirkliches Genie bestand eigentlich im Verfassen satirischer Verse (1668 wurde er Poeta laureatus), aber dennoch zog ihn das Theater unwiderstehlich an, und er schuf eine neue Form des englischen Dramas, die sogenannten »Heldendramen«. Das Theater verhalf Dryden auch dazu, seinen Wunsch nach literarischem Ruhm und gesellschaftlichem Aufstieg zu erfüllen, allerdings zu einem sehr hohen Preis: Er wurde zur Zielscheibe unerbittlichen Spotts, ganz besonders in der Figur des Mr Bayes in der Komödie des Herzogs von Buckingham The Rehearsal. Dennoch genoss er wirkliche Berühmtheit. Er war unumstritten der literarische Mittelpunkt in Will’s Coffee House, wo er von seinem ihm vorbehaltenen Sessel am Kamin aus aufstrebenden Autoren geistreiche Ratschläge gab.

      Drydens Achillesferse war sein Neid auf die Höflinge und die Gentlemen, die nur zu ihrem Zeitvertreib schrieben. Zu gerne wäre er selber einer dieser Höflinge gewesen, und er sehnte sich danach, bei Hofe akzeptiert zu werden; doch obwohl er immer wieder einmal mit Leuten vom Hof befreundet war und obwohl mit Lady Elizabeth Howard verheiratet, wurde er dennoch nie in diesen illustren Kreis aufgenommen. In mancherlei Hinsicht stand er zwischen den beiden Welten der professionellen Schriftsteller und der vornehmen Laienpoeten. Natürlich versuchte er, sich ständig selber zu beweisen, indem er seine Rolle und seine Stellung in der Literatur immer wieder aufs Neue definierte. Doch so eitel, verdrießlich und dogmatisch, wie er war, war er vielleicht zu sehr auf seinen Ruf bedacht, um wahrhaft groß zu sein.

      Er und Sir Howard verfassten gemeinsam ein Stück mit dem Titel The Indian Queen, das im Januar 1664 uraufgeführt wurde und mit dem die Zeit des neuen Heldendramas eingeläutet wurde. Diese neuen Stücke waren stark beeinflusst durch die klassischen französischen Tragödien von Corneille (1606–1684) und hatten den Konflikt von Ehre und Leidenschaft zum Thema, allerdings in völlig übertriebener Form. Der Rahmen für die Dramen war exotisch, und auf der Bühne stolzierten die Helden – Indianerfürsten und -fürstinnen –, in knallig bunten Kostümen und mit Federschmuck auf dem Kopf einher, wie Gockelhähne, die mit ihrem Krähen den Anbruch eines neuen Tages ankündigen. Und es brach ja wirklich ein neues Zeitalter an, eine Ära, in der das Individuum immer mehr in den Mittelpunkt rückte. Dieser Bewusstseinswandel zeigte sich im Drama darin, dass die Sonne, vor allem in Gestalt der Sonnenkönige und Sonnengötter Nord- und Südamerikas, auf vielfältige Weise personifiziert wurde. In The Indian Queen ist der Inka von Peru der große Sohn der Sonne auf Erden, und in The Indian Emperor nennt Montezuma die Sonne »meinen Vater«, der ihm das Leben geschenkt hat und ihn im Tod auf seinen Strahlen heimholen wird.

      Eigentlich nimmt es nicht wunder, dass in einer so auffallend unheroischen Epoche, einer Zeit, in der Zynismus und Realpolitik angesagt waren, solch extravagantes Heldentum auf der Bühne Triumphe feierte. Samuel Butler schrieb, dass »kein Zeitalter jemals mehr an derartigen Bildern (wie man sie nennt) für Moral und Heldentum besaß und doch dabei in seiner ganzen Lebensart und seinen Sitten selber das genaue Gegenteil darstellte«. Mit ihrer nicht gerade überzeugenden Definition von Ehre demaskiert die Indianerkönigin Zempoalla selber diese Art von Heldentum, und ihre Worte wurden von den Galanen am Hofe Charles’ II. sehr wohl verstanden:

      Ehre ist nichts als Juckreiz jungen Blutes:

      »Kommt, tun wir etwas extravagant Gutes!«

      Wenn es zutrifft, dass die Seele des Menschen stets nach Ausgewogenheit und Ausgleich strebt, dann bildete die Vorliebe der Restaurationszeit für dieses süßlich exaltierte Heldentum das passende Gegengewicht zu den in der Gesellschaft herrschenden zynischen und merkantilen Tendenzen. Im Vorwort zu seinem Stück Juliana (1671) lobt John Crowne den Verfasser von Heldendramen Roger Boyle, Earl von Orrery, mit folgenden Worten: »Letztendlich ist es Eure Lordschaft, die den Geist so vieler edler Helden wieder heraufbeschworen hat, die sonst unbetrauert in ihren Gräbern ruhen würden; aber auf der Bühne erschienen sie strahlender als jemals zuvor zu


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