Gott singt. Ulrike Gadenne
Interviews mit Politikern und Vertretern verschiedenster offizieller Ämter finden gewöhnlich an frischer Luft auf dem Platz vor dem Tempel in Kurnool statt. Wurden wir dazugerufen, mussten wir auf der Hut sein vor Fragen, die Visa- oder Aufenthaltsgenehmigungen angingen, denn oft war, was ein lockeres Gespräch schien, ein verkapptes Verhör.
Ein Interview mit einem hohen Vertreter der Schulaufsichtsbehörde zog sich bis weit nach Mitternacht hin. Wie immer war Baba ein perfekter Gastgeber gewesen und hatte Tee, Snacks und schließlich noch ein Abendessen servieren lassen. Solche Treffen wirkten nie steif oder offiziell – im Gegenteil –, in Babas Anwesenheit schien es keine »ernsten« Gespräche zu geben. Von weitem schien es, als würde der Abend nur aus Essen, Lachen und Vergnügen bestehen. Die sachlichen Punkte wurden gewöhnlich lebhaft, aber kurz diskutiert und dank Babas Charme und Humor wie »nebenbei«, ohne strategische und diplomatische Umwege, gelöst. Der Gesprächspartner fühlte sich willkommen geheißen und verstanden, seine Anliegen erfüllt und gesegnet …
Der Beamte von der Schulaufsicht genoss offensichtlich die Gastfreundschaft und Unterhaltung des Avatars und machte erst zu vorgerückter Stunde Anstalten zu gehen. Obwohl Baba danach deutlich müde und erschöpft aussah, setzte Er sich noch eine Weile mit uns zusammen, erzählte, dass es um medizinische Projekte an Schulen ging, erklärte, wie viel Programme laufen müssten, um die ärgste Not zu lindern, wie viel Aufklärungsarbeit es koste, dass alle Ideen, alle Organisation von Ihm erwartet werde, betonte ungewöhnlich eindringlich, wie viel selbst die geringste Summe Geld bedeute und dass Er ohne die Hilfe der Menschen nichts bewirken könne. Ganz physisch-menschlich schien Er verzweifelt über die vielen Probleme, die Ihm »Kopfweh« machten, und dass Er dabei so tun müsse, als hätte Er no problems. Dabei müsse er einen langen Atem haben und er schaue händeringend nach oben, weil dies ein »ewiges« Problem sei. Gott sei ein Waisenkind, das ganz allein da steht. »Jeder wird von Gott überschüttet, aber wer gibt Gott etwas zurück und hilft Ihm bei Seiner Arbeit auf der Erde?«
Ein Bild aus diesen Tagen, das mir unvergesslich ist: Baba sitzt mit Mr. Rama Rao, der seit vielen Jahren Sein Hauptmanager ist und fachmännisch alle sozialen Projekte betreut, auf einer Plastikmatte vor dem Haus Seines Bruders im Ashram von Kurnool. Wie ein Kind, das sich vertrauensvoll in den Schoß eines Erwachsenen schmiegt, legt Baba Seinen Arm auf dessen Oberschenkel und stützt entspannt den Kopf in die Hand, umfangen von Mr. Rama Raos mächtiger Gestalt: Gott sucht Schutz und Halt bei Seinen Devotees.
Zum ersten Mal hatte Baba über diese zutiefst menschliche Seite Seines Daseins gesprochen. Wir hatten es wie selbstverständlich genommen, dass Baba uns so viel von Seiner Zeit gab, dass Er uns das Zusammensein mit Ihm so kurzweilig und unterhaltsam wie möglich gestaltete, damit wir uns auf dem Weg zu Gott nicht langweilen, sondern Seine Glückseligkeit teilen können! Zusätzlich arbeitete Er mit jedem individuell und für niemanden außerhalb erkennbar auf inneren Ebenen, und das alles gleichzeitig. Nur in solch seltenen Momenten wie an diesem Tag konnten wir eine Ahnung bekommen, welches göttliche »Dienstprogramm« Baba täglich und nächtlich auf sich nimmt. »Bei aller Arbeit muss ich auch noch dafür sorgen, dass ihr nicht eifersüchtig aufeinander seid, wenn ich zum Beispiel mal mit jemandem allein sitze!« Mit dieser Aufgabe zur inneren Erforschung schickte Er uns schließlich ins Bett.
Baba spielt alle Rollen gleichzeitig, weil Er gleichzeitig ALLE IST. Seine Göttlichkeit zeigt sich da, wo Er den Menschen am menschlichsten erscheint, und gerade das führt nicht selten zu Missverständnissen. Ich hatte Baba wiederholt sagen hören: »Ich will euch glücklich machen, aber bei allem Spiel – vergesst nicht, wer Ich bin! Ich bin nicht euer Kasper und Entertainer!« Eine Devotee drückte es klar aus: »Baba, zu wem sollen wir denn beten, wenn Du krank bist?« Das hieß: »Wer sorgt für Dich? Wer beschützt Dich, denn niemand ist über Dir im Kosmos!« Baba hatte oft betont, dass Er, obwohl Er in eine normale Familie hineingeboren wurde, keine Familiengefühle habe, sondern auch Seine Verwandten und Angehörigen als Seine Devotees ansehe. Selbst Seine Mutter, der Er lebenslang Respekt und Aufmerksamkeit entgegenbrachte, musste das erfahren, denn auch sie hatte Probleme, ihren Sohn als Gott zu sehen. Entsprechend der sozialen Erfahrungen entsteht in den meisten Menschen ein Bild von Gott als einer höheren liebenden oder bestrafenden Macht. Physisch und geistig bleibt er so abhängig von einem Gegenüber, das getrennt ist von der eigenen Person. Mit dem Wort Waisenkind drückte Baba genial einfach aus, dass Er als Gott, auch wenn Er in einer Form auf der Erde erscheint, kein Gegenüber hat, und wenn Er in der Dualität das Mitwirken der Menschen braucht, erscheint Er als Spieler in Seinem eigenen Spiel, um die verborgene Göttlichkeit in den Menschen zu aktivieren – den Weg zu zeigen in die göttliche Einheit, in der es kein Gegenüber mehr gibt.
Friedenskonferenz
Babas Meisterschaft besonders im Umgang mit so genannten »Autoritäten« erlebte ich kurz darauf in Hyderabad.
Baba gab abends offiziellen Darshan im Tempel und hatte sich eine geraume Zeit die Probleme der Besucher angehört, Rat gegeben und sie gesegnet, als eine Gruppe von etwa sechs männlichen Personen in den Tempel kam und auf der Männerseite wartete. Die Gruppe fiel auf durch gravitätisches Schreiten und ernste Schweigsamkeit. An der Kleidung war leicht zu erkennen, dass es sich um hohe muslimische und christliche Würdenträger handelte.
Baba stand auf der Frauenseite, ohne den Besuch zu beachten, scherzte und lachte weiter mit den Besucherinnen, verteilte Bonbons und Obst, bis Er in aller Ruhe auf die Männerseite wechselte und sich der neu angekommenen Gruppe zuwandte. Ein permanenter Devotee flüsterte mir zu, dass es sich um eine Abordnung bekannter religiöser Amtsträger handele, die Balasai Baba als Hauptteilnehmer zu einer interreligiösen Friedenskonferenz in Hyderabad einladen wolle. Als Zeichen der Ehrerbietung berührten einige von ihnen Babas Füße, hielten aber sonst einen formalen Respektabstand. Schließlich trat einer von ihnen vor und überreichte Baba ehrfürchtig den Umschlag mit der Einladung. Als Baba ihn scheinbar überrascht entgegennahm, Unwissenheit mimte und unschlüssig hin und her drehte, durchbrach Er offenbar das Protokoll, denn die steife Phalanx geriet in Bewegung und die Gesichter entspannten sich. Baba schritt lächelnd auf sie zu, legte dem nächsten wie vertraut Seine Hand auf den Arm, winkte den anderen näherzukommen, sprach sie lachend an und das Eis war gebrochen. Aus Würdenträgern wurden normale Hosen- und Brillenträger, Menschen, die von dem Zauber Gottes berührt wurden. Alle scharten sich immer näher um Baba, der sie anzog wie ein Magnet. Baba sprach leise, und im Bemühen, jedes Wort zu verstehen, rückten die Köpfe immer dichter zusammen – wie bei einer heimlichen Verschwörung. Im nächsten Moment brachen alle in lautes Lachen aus und redeten begeistert durcheinander und miteinander. Baba, mit der Einladung in der Hand, spielte den Dirigenten, winkte der Gruppe, wieder näher zu treten, entzündete die nächste Lachsalve, nach der Er urplötzlich in der Mitte der Gruppe stand, sich dann aber gewandt zurück in den Umkreis drehte. Pausenlos hielt Er alle in Bewegung, wie bei einem Tanz begegnete jeder jedem, alle sprachen angeregt mit unterstreichenden Handgesten miteinander und mit Baba, sie hatten alle Etikette vergessen und augenscheinlich auch, warum sie gekommen waren. Unter den großen Gestalten wirkte Baba wie ein Kind, Seine Haare, die vom langen Darshan schon etwas derangiert waren, wirkten noch verwegener – sie sahen aus wie eine Gruppe Schuljungen, die unter ihrem Anführer einen neuen Streich ausheckten. Es dauerte eine Weile, bis Baba sie segnend entließ, ihnen zuwinkte und wartete, bis die Gruppe mit leicht verrutschten Kopfbedeckungen, gelockerten Stehkragen, lachend und mit rot verschwitzten Gesichtern um die Ecke bog. Das Ganze hatte etwa fünfzehn Minuten gedauert. Baba hat an der geplanten Friedenskonferenz nicht teilgenommen, stattdessen hatte Er spontan die Friedenskonferenz in Seinem Tempel inszeniert – welcher Platz wäre geeigneter gewesen? Mit Ihm als Hauptteilnehmer hatte Er in einer Viertelstunde mehr Frieden in die Welt gebracht als es jede große Versammlung vermocht hätte. Mit allen Mitteln, die Ihm die Liebe zur Verfügung stellte, hatte Baba Angstbarrikaden aufgelöst: vor dem Amt, der Religion, vor Gott – mit der Unbefangenheit eines Kindes, der Wärme einer Mutter, dem Charme eines Liebhabers, dem Verständnis eines Freundes.