Gott singt. Ulrike Gadenne

Gott singt - Ulrike Gadenne


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      Alles hatte so harmlos angefangen – nur jeweils eine halbe Stunde Meditation! Aus dem Kinderauge Ganeshas sind verwirrende und herausfordernde Schmerz-, Gedanken- und Konzentrationsübungen geworden, deren Sinn ich nicht verstehen kann. Vor deren Eigendynamik habe ich sogar Angst, ganz zu schweigen davon, dass ich mich immer wieder für verrückt halte. Außerdem habe ich nicht die Absicht, ein Yogi zu werden, geschweige denn mich zu quälen. Ich sah niemanden, der ein ähnliches Problem zu haben schien und den ich dazu hätte fragen können. Systematisch zu meditieren, hatte ich mir zwar immer gewünscht und auch mehrfach begonnen, aber aus Mangel an Disziplin und Durchhaltekraft wieder aufgehört. Mit dem östlichen Hintergrundwissen von Meditation hatte ich mich niemals befasst und konnte daher die Phänomene nicht einordnen. Es hätte nahe gelegen, Baba selbst zu fragen, auch was es mit den »Dachbesuchen« auf sich hatte, aber ich hatte oft genug beobachtet, dass Baba so genannte »ernsthafte« Fragen während der Zeiten, die dem Spiel und der Unterhaltung gewidmet waren, nicht zu hören schien oder ignorierte. Außerdem konnte ich nicht völlig ausschließen, dass ich im Begriff war, verrückt zu werden – das wollte ich mir lieber nicht bestätigen lassen … Und – hatte ich nicht immer wieder erlebt, dass meine Zweifel sich auflösten?

      Durch Düfte, durch Bilder, die andere teilten, oder sogar durch Baba selbst?

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       Die nickende Ente

      Babas Art und Weise zu lehren ist in jeder Minute beabsichtigt und methodisch: Je spielerischer, witziger und unterhaltender Baba die Situation gestaltet, umso entspannter und abgelenkter der Mind1 des Einzelnen ist, desto mehr ist der Gedankenweg frei und Er kann jedem das geben, was er braucht. Zeigt Er dem einen Seine Liebe und Fürsorge, weiß Er genau, wessen Eifersucht und Neid Er damit aktiviert, bewusst macht und eventuell auflöst.

      Lässt Er jemanden eine längere Zeit links liegen und bietet ihm dann überraschend Seinen Tee an, weiß Er, was Er bei demjenigen möglicherweise an Einsicht und Selbstheilung aktiviert hat.

      Was nach außen wie oberflächliches Geplänkel aussieht, ist in Wirklichkeit der Gefühls- und Gedankenstoff, auf den Baba mit lockeren und meisterhaften Pinselstrichen Seine universelle Liebe und Allwissenheit aufträgt und das innere Chaos und Unglück jedes einzelnen Besuchers schrittweise in Mut und Lebensfreude verwandelt.

      Am Morgen habe ich mit M. Bhajans geübt. Jetzt lehne ich entspannt und müde an einer Säule, schließe die Augen und lasse die Bilder des gestrigen Abends vorbeiziehen. Der offizielle Darshan in Hyderabad war zu Ende gegangen. Baba trug ein dunkel-pinkfarbenes Kleid, verwöhnte alle mit Milk-Sweets und stand noch lange im Gespräch mit einigen Inderinnen. Auch nach mehreren Stunden Darshan und anstrengenden Gesprächen, nimmt Er sich jede Zeit der Welt, damit auch diese Frauen glücklich nach Hause gehen können. Wie Krishna gibt Er jeder Devotee das Gefühl, Ihn allein für sich zu haben: der einen legt Er die rechte Hand auf den Oberarm, mit der zweiten spricht Er, die dritte sieht Er vielsagend an und sie lächelt verzückt zurück und die vierte darf die ganze Zeit Seine linke Hand halten … Jede Geste ist liebevoll und persönlich, gleichzeitig leicht, anmutig und natürlich.

      Ab und zu nickt Er der Gruppe der ausländischen Besucher zu, die wegen der vorgerückten Stunde übermüdet am Boden sitzt, um sich sofort wieder mit voller Aufmerksamkeit den Frauen zuzuwenden.

      Innerlich klinke ich mich in die imaginäre Gesprächsrunde ein und in mir entsteht ganz spontan die Frage: »Ist das wohl richtig mit den Schmerzen? Und den Runden auf dem Dach?« Im gleichen Moment höre ich ein ungewöhnliches Geräusch und öffne die Augen: eine grüne, rundbauchige Plastikflasche ist umgefallen, schaukelt auf und nieder und bewegt sich dabei im Kreis. Eine Ente, die eifrig nickt! So lebendig wie aus einem Walt Disney-Film! Ich muss lachen – ein typischer Baba-Einfall!

      Mein Gefühl akzeptiert dieses lustige Bild als Antwort, aber der Verstand ist nicht zufrieden: Spinnen wir mit unseren Vorurteilen, Wünschen und gedanklichen Vorlieben unsere eigene Wirklichkeit? Selektieren wir aus einer Unzahl von Wahrnehmungen und Möglichkeiten nur diejenigen, die unserem kleinen, unbedeutenden, subjektiven, momentanen Bedürfnis entsprechen? Kreiere ich meine eigene Interpretation? Ich finde Argumente, die dafür und dagegen sprechen – irgendwann wird es dem Verstand zu viel und er zieht sich enttäuscht zurück, aber über die »nickende Ente« muss ich weiter lachen.

      Überhaupt – wie konnte die Flasche in dem Moment umfallen? Ich setze mich kerzengerade und prüfe die Luft – es ist völlig windstill, kein Hauch bewegt sich. Auf dem Boden liegt eine grüne, gewöhnliche Plastikflasche …

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       Wie unten, so oben

      Abends gibt es eine Runde auf dem Dach. Der Mann der Köchin, ein Professor aus Delhi, beginnt ein spirituelles Gespräch und möchte wissen, welches unsere wichtigste Erfahrung mit Baba ist. Ich sage nur ein Wort: »My rebirth!«

      Als es zu regnen beginnt, gehen wir nach unten unters Tempeldach. Ganz unerwartet ruft Baba mich neben sich und zeigt mir einen Brief, in dem es darum geht, dass eine amerikanische Firma die volle Ausstattung für ein AIDS-Krankenhaus und ein Hospiz übernehmen würde, wenn der Sri Balasai Baba Central Trust die Kosten für Grundstück und Erschließung übernimmt. Das Grundstück gibt es, aber es werden noch etwa zwei Millionen DM gebraucht. Mein Kopf produziert sofort alle möglichen Ideen, wie man das Geld auftreiben könnte (später werde ich eines Besseren belehrt). Da ich nicht zu den »Insidern« gehöre, erzählt Baba mir, dass von den zahlreichen Devotees in Deutschland nur wenige etwas für Babas soziale Projekte tun. »Alle anderen nehmen nur von mir!«

      Langsam bekomme ich eine Ahnung von Gottes Problemen. Ich überschlage meine privaten finanziellen Möglichkeiten und fälle spontan eine Entscheidung, die ich aber nicht äußere. Es klingt, als ob Baba auf meine Gedanken antwortet, als Er den mysteriösen Satz sagt: »Wenn ich die Kuh eingefangen habe, kann ich magische Dinge tun!«

      Diese rätselhaften Worte beschäftigen mich die nächsten Tage. Das Wort Kuh kann nicht abfällig gemeint sein, denn in Indien ist die Kuh heilig. Man stellt sich vor, dass die verschiedenen Organe und Gliedmaßen der Kuh von den Energien der verschiedenen Götter belebt werden und hält so die Erinnerung aufrecht, dass die Kuh in besonderem Maße die Menschheit während ihrer Entwicklung begleitet hat, sie weiterhin ernährt und ihr vielfältig dient. Sind damit die Devotees gemeint, die Gott unterstützen, damit Er auf dieser Erde Seine Mission erfüllen kann, die ja nur der kleinere, sichtbare Teil Seiner eigentlichen Aufgaben innerhalb der Schöpfung ist? Und kann Er nur wenige Devotees dafür »einfangen«? Und was ist mit »magisch« gemeint?

      Spontan fällt mir ein, dass Babas Segen etwas »Magisches« ist. Er ist unsichtbar und kann nur an seinen Wirkungen erkannt werden. Diese Wirkung kann aber nur eintreten, wenn dem Segen von oben eine Reaktion von unten entspricht. »Wenn Ich euch schon segne, haltet wenigstens die Hände auf«, hatte ich Baba schon resigniert sagen hören. Scheinbar glaubt trotz langer Jahre bei Balasai Baba ein großer Teil der Devotees immer noch, Babas Segen würde »automatisch« alle Wünsche erfüllen, Gesundheit wiederherstellen, Beziehungsprobleme lösen, Charaktereigenschaften verwandeln, kurz, »glücklich« machen. Und Baba wird nicht müde zu erklären, dass zwar ohne den göttlichen Segen sich kein Blatt am Baum bewege, dass aber jeder seine eigenen Anstrengungen machen müsse, um diese energetische »Schubkraft« für sich zu nutzen. Ansonsten bleibe sie ungenutzt und versickere wie zum Beispiel der Regen, der, damit er zur Bewässerung dienen kann, aufgefangen werden muss. Mir scheint, dass Gott einen schweren Job hat – um diese Mitarbeit zu leisten, selbst wenn es um das eigene Wohl geht –, dazu müssen manche inneren heiligen Kühe geschlachtet werden, und das wiederum kann kein Segen bewerkstelligen, weil Gott niemals den freien Willen des Menschen antastet.

      »Gott ist von den Menschen abhängig!« – diese Erkenntnis erschüttert mich tief und ich betrachte daraufhin


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