Abenteuer im Sibirien-Express. Lisa Honroth Löwe

Abenteuer im Sibirien-Express - Lisa Honroth Löwe


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seine Tochter war. Vielleicht ahnte sie die Einsamkeit der Mutter, und mit dem Instinkt der Frau, die zur Frau hielt, gab sie dem Vater schuld an der Kühle der Ehe, die sie vor Augen sah.

      Rodenhausen hatte versucht, das Kind an sich heranzuziehen — aber da war ein trotziger Widerstand gewesen. Dann hatte er es aufgegeben, ungeduldig, schon wieder der Ferne und dem Leben draussen zugewandt. — Nun sollte es also wieder beginnen. Er fürchtete sich beinahe. Lieber wäre er hier allerlei Gefahren entgegengegangen. Denn das hier war ein Kampf, den Männer führten. Gegen das Weibliche kam er so schwer an. Hier konnte er aktiv sein, auf Gefahren zugehen, sie anpacken. Daheim war es ein leises, unangreifbares Ausweichen. Er wurde in die Passivität gedrängt, ehe er sich’s versah. In die Passivität — und ins Unrecht. — Ein richtiges Frauenregiment war es. Der einzige, der ihm Stütze sein konnte, Alexander, der Aelteste, war im Ausland. Und der kleine Robby, — hier musste er lächeln, dieses kleine Menschlein, war jetzt wohl gerade knapp aus den Windelhöschen herausgewachsen. —

      Da war er, weiss Gott, mit seinen Gedanken doch schon zu Hause — verträumte hier die Zeit, indessen er noch Eiliges zu erledigen hatte.

      Der Transsibirien-Express stand schon wartend. Durch die Rauchschleier, die die Maschine ungeduldig ausstiess, sah man einen Teil der Landschaft jenseits der Bahngleise hügelig und weiterhin zum Horizonte bergig aufsteigend, Waldlisieren, dann wieder ebene Strecken, — jetzt stumm und öde im Winterschnee. Wie ein Leichentuch breitete sich der Schnee über das unermessliche Land — wie ein Leichentuch, musste Rodenhausen plötzlich denken — wieviele Menschen würde es noch decken, dies dichte, weisse Tuch. Es war doch gut, dass er hier herauskam, ehe der Krieg das Land und die Menschen frass.

      Bald hatte er sich in seinem Abteil eingerichtet. Man musste ja viele Tage hier verbringen. Aber der Transsibirien-Express war selbst für europäische Bedürfnisse bequem, hell, sauber. Der chinesische Zug, in dem man den ersten Teil der Reise bis zur Grenze zurücklegte, war zwar nicht ganz so komfortabel wie der dann folgende russische, aber immerhin hatte man seinen behaglichen Platz, sein gutes Bett, seine Verpflegung, den unvermeidlichen Tee, der von lautlos auf weichen Schuhen gehenden chinesischen Kellnern durch die Gänge getragen wurde. Man hatte Bücher und seine Schreibmaschine, auf der man die letzten Aufzeichnungen, die man nicht mehr ausarbeiten konnte, beendete.

      Rodenhausen war schon so zum Globetrotter geworden, dass ihm Reisen von wochenlanger Dauer nichts ausmachten. So war er denn bald installiert und legte sich, sowie es dunkel wurde, zum Schlafen hin.

      Vom Kriegsgebiet, durch das man fuhr, spürte man nicht viel. Nur dass längs der ganzen Bahnlinie russisches und chinesisches Militär die Strecke bewachte. Hier konnte man Typen der verschiedensten Art sehen. Rodenhausen trat auf die Plattform hinaus und registrierte die verschiedenen Rassen, die aus diesen Gesichtern sprachen. Nur für den Kenner war die russische und chinesische Rasse voneinander zu trennen. Und selbst für Rodenhausens erfahrenes Auge waren die Uebergänge oft genug verwischt. Diese breiten, mongolischen Gesichter mit den platten Nasen, den dicken, aufgeworfenen Lippen, stumpfsinnig teils, oft freundlich grinsend, verschwanden fast unter den grossen Fellmützen. —

      Stunden reihten sich an Stunden. Rodenhausen schlief. Die bekannten Stationen, die die Schaffner in monotonem Dialekt ausriefen, flogen schattenhaft an seinen Gedanken vorüber. Er war doch sehr ermüdet und spürte, dass die letzten Tage nicht spurlos an ihm vorübergegangen waren. Er war nicht mehr der Jüngste. Und Forscherjahre zählen, wie er zu sagen pflegte, doppelt, wie Kriegsjahre.

      Der Entschluss zur Abreise war ja auch so plötzlich und überstürzt gekommen. In der übergrossen Eile war mit Pässen, Besorgungen, Besprechungen doch noch viel zu erledigen gewesen. Seine letzten Tage waren in einer atemberaubenden Hast vorübergegangen. So leicht konnte man doch nicht die Brücken hinter sich abbrechen. Solange man noch im Schwung war, hatte man die Ueberarbeitung der letzten Wochen nicht gemerkt. Jetzt, da er in Ruhe war, kam die Reaktion. —

      Zweites Kapitel

      Tage um Tage war man gefahren. Rodenhausen hatte im Zuge mancherlei Bekanntschaften gemacht. Da waren ein paar europäische Kaufleute, die sich vor den Unsicherheiten in der Mandschurei in Sicherheit brachten, russische Pelzhändler, Vertreter europäischer Firmen, die vor Ausbruch der Feindseligkeiten noch Abschlüsse in Sojabohnen, Reis und Getreide gemacht. — Und allerlei Menschen von chinesischem und russischem Typ, deren Lebensberuf nicht klar war.

      Wenig Frauen waren im Zuge. Nur als Rodenhausen auf einer Kreuzungsstation gerade wieder aus einem tiefen Schlaf erwachte, es musste kurz vor Manschuli sein, sah er sich gegenüber einen Platz von einem weiblichen Wesen besetzt. — Die halb verdunkelte Lampe warf nur einen spärlichen Lichtschein auf die schmale Gestalt, die ihm da gegenüber in der Ecke sass und die Augen geschlossen hielt. Sie schien zu schlafen. Rodenhausen, der gern wusste, mit wem er da durch die schweigenden Nächte der Mandschurei fuhr, beugte sich leise vor und sah der Schläferin vorsichtig ins Gesicht. — Es war ein sehr schmales, sehr zart gebildetes Gesicht, durchsichtig und sah jetzt in der Stille des Schlafes beinahe ätherisch aus. Sehr weiches, blondes Haar legte sich lind um den mädchenhaften Kopf. Die Nase war fein und stand beinahe klassisch ebenmässig zwischen den hochgeschwungenen, lichten Brauen. Sie musste noch sehr jung sein, soviel erkannte Rodenhausen auch in der halben

      Dämmerung. Der Mund war noch wie der eines fast kindhaften Geschöfes, die Oberlippe ein klein wenig zu kurz, dadurch bekam das Ganze einen Zug von rührender Hilflosigkeit. Aus dem schwarzen Wollkostüm sah ein schmaler, blasser Hals heraus, der Kopf lehnte leicht gegen den weichen Pelz eines dunklen Mantels, der in der Ecke hing. Unter dem Rock zeichneten sich die Beine leicht ab, schlank mussten sie sein, und zu ihnen passten die langen, schmalen Füsse, die in englischen Halbschuhen steckten. — Siebenzehn, schätzte Rodenhausen bei sich und sah mit Wohlgefallen in dies feine Mädchengesicht, das im Schlaf seinen Blicken hingegeben war. Eine kleine, schmerzliche Falte zwischen den Brauen passte nicht recht zu der vertrauensvollen Kindlichkeit des jugendlichen Gesichtes, schien von irgendeinem Kummer zu sprechen.

      Rodenhausen war durch den Anblick des schlafenden Mädchens irgendwie innerlich gerührt. Es war etwas in der Bildung der hochgeschwungenen Brauen, in der Buchtung des Mundes, was ihm bekannt vorkam. Aber das musste eine Täuschung sein. Wie sollte er hier auf dieser fernen Strecke irgend jemanden sehen, den er kannte. — Es war wohl nur die Lieblichkeit dieses Mädchens, die Erinnerung an seine junge Tochter, die ungefähr im gleichen Alter sein musste, die dies Gefühl des Kennens und der Wärme in ihm aufwachen liess. —

      Lichter kamen näher, der Zug machte eine Kurve, der Wagen schlug hin und her — die Schläferin erwachte, sah sich verwirrt um.

      „Gleicht kommt die Grenze“, sagte Rodenhausen auf russisch und verneigte sich leicht, „Sie müssen Ihre Sachen zusammenpacken, mein Fräulein, wir müssen aus dem Zug heraus. Gestatten Sie —“

      Er grriff nach der Beschirmung der Lampe, schob sie zurück. „Darf ich Ihnen behilflich sein?“

      „Danke sehr“ , erwiderte das junge Mädchen gleichfalls russisch und sah Rodenhausen voll an. Der fuhr zurück — dieser Blick, dunkel, fast schwarz unter dem blonden Haar, war von einem frappierenden Kontrast. Wo hatte er dies schon gesehen, diesen dunklen Blick, fast schwarz unter zärtlichem Blond des Haares? Aber das war doch — nein, das war doch unmöglich.

      „Manschuli“, dieser Ruf, der plötzlich draussen ertönte, riss ihn aus seinem fassungslosen Erstaunen — aus seinen Zweifeln.

      Knirschend und quietschend zogen die Bremsen an und hemmten die Räder — der Zug stand. Schon murden auch die Türen aufgerissen. Die Gepäckträger, meist Chinesen, stürzten herein, bemächtigten sich des Gepäckes, wobei sie unterwürfig und sanft lächelten. Ein allgemeiner Aufruhr war im Zuge. In allen Sprachen schwirrte es durcheinander. Koffer rollten bereits auf niedrigen Karren über den Bahnsteig zum Zollgebäude, ein erregter Wortwechsel zwischen einem Schaffner und einigen Fahrgästen — das junge Mädchen stand hilflos und sah zu, wie einer der Kulis sich ihres Handkoffers bemächtigte.

      „Grosser Koffer?“ schrien die Träger und machten wilde Zeichen.

      „Schliessen Sie sich mir ruhig an, mein Fräulein“, ermutigte


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