Abenteuer im Sibirien-Express. Lisa Honroth Löwe

Abenteuer im Sibirien-Express - Lisa Honroth Löwe


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denn von Zeit zu Zeit schickte er Grüsse an sie und schrieb, dass es sein Ziel sei, bald wieder in den Ural zu kommen. ― Antwort hatte er nie erhalten. Und eines Tages erreichte ihn die Todesanzeige von Karen Sjörberg, die ihr Mann ihm nach Schloss Rodenhausen geschickt hatte. ―

      Astrid erzählte, und in Rodenhausen erstand neu eine kurze, klingende Strecke seines Lebens, die ein Stück zu seiner inneren Menschwerdung gewesen war. ― Jetzt aber horchte der Fürst auf:

      „Der junge Ingenieur will alles für Sie ordnen, mein Kind, und Sie fliegen jetzt einfach in die Welt, wohin? Haben Sie gar keinen Anhang, Verwandte, Freunde in Russland oder anderswo, die sich mit Rat und Tat Jhrer annehmen konnten?“

      Astrid schüttelte den Kopf:

      „Nein, der Pope aus dem Dorf in unserer Nähe hat den Vater begraben. Er ist ein guter Mensch, sonst hätte er es wohl nicht getan, denn Vater war doch nicht griechischkatholisch, wie Russen. Sonst weiss ich nichts. Vater hat sehr zurückgezogen gelebt, nur seinen Bergwerken und seiner Jagd. Ich habe, bis ich sechzehn Iahre alt war, einen Erzieher und Lehrer gehabt. Der hielt wohl auch nur bei uns in der Einsamkeit aus, weil Vater ihn gut bezahlt hat. Nachher ist er auch nach Omsk zurückgegangen. Aber ich weiss, dass wir Verwandte in Schweden haben, besonders von Mutters Seite. Da habe ich in Vaters Schreibtisch Briefe gefunden. Vater hat mir nie von diesen Briefen gesagt. Aber dort will ich jetzt hin. Ingenieur Redderson hat mir Geld gegeben, und er hofft, dass Vaters grosses Werf wieder in Gang kommt, und er mir dann immer Geld schicken kann, und dass ich wieder zum Ural zurückkomme“, sie seufzte nachdenklich, aber sie riss sich von ihren Gedanken los. „Aber denken Sie nicht, dass ich nur träume. Ich weiss, dass mein Leben unmöglich so weitergehen kann wie bisher, ich sehne mich danach, irgend etwas zu leisten, aber sicher muss ich noch sehr viel lernen. Glauben Sie nicht auch, Herr Rodenhausen, dass die Verwandten in Schweden mir da helfen und raten werden?“

      Sie blickte wie ein vertrauendes Kind zu ihm auf.

      „Ich denke es“, erwiderte der Füfst, „aber ich kenne Ihre Verwandten und deren Lebensumstände und Lebenseinstellung nicht. ― Aber diese wenigen inhaltsschweren Stunden unseres Zusammenseins genügten mir, um Sie kennen-zulernen, mein Kind.“

      Astrid sah ihn fragend an.

      „Nein, nein, nicht bis in den kleinsten Winkel Jhres Herzens, so überheblich bin ich nicht, das zu glauben“, fuhr Rodenhausen fort. „Aber Sie sind mir nicht fremd, Astrid, Ihr Wesen ist mir so vertraut, ich habe unendlich viel von Ihrer Mutter in Ihnen wiedergefunden. Lassen Sie uns nicht heute abend, nicht morgen, Ihre Zukunft endgültig besprechen, nicht hier, ruhen Sie erst einmal von der Vergangenheit aus, sammeln Sie sich innerlich, und lassen Sie uns dann zusammen die Wege beraten, die Sie in Zukunft gehen werden. Ich biete Ihnen mein Haus an, liebes Kind. Sie werden in meiner Frau eine Mutter finden, keine so weiche und zarte, wie Ihre war, aber doch eine gütige. Und dann, ich habe eine Tochter, die ein Iahr älter ist als Sie, ― ja, ja, kleine Astrid, Sie sehen mich ungläubig an, aber Ihr Ritter ist ein alter Mann, ― nicht immer“, lächelte er, als sie drollig nd energisch verneinend den Kopf schüttelte, „Ihnen gegenüber aber leider doch. Meine Vikn ― das ist nämlich meine Tochter ― ist ein recht energisches Mädchen. Ganz modern ist sie mit einem richtigen Beruf. Ich denke, Sie werden sich an sie anschliessen, sich gut mit ihr verstehen, ― ich kenne Viky zwar so wenig“, setzte er mehr für sich hinzu. Und plötzlich durchfuhr ihn ein innerlicher Schmerz: erging es Viky mit ihm nicht ähnlicht, wie es Astrid mit ihrem Vater ergangen war? Aber wer war hier der Schuldige? ― Sollte dieses Kind hier vielleicht ihm vom Schicksal in den Weg geschickt sein, sollte es das Bindeglied werden zwischen ihm und seiner Familie? Nein, nicht um ihn ging es, es ging um Astrid. „Und Ihre gewohnte Freiheit brauchen Sie bei uns nicht zu entbehren, kleine Astrid“, fügte er hinzu, „einen Ural finden Sie zwar nicht, dafür brauchen Sie aber auch nicht den Dolch im Gürtel zu tragen, wenn Sie durch unsere Wälder reiten. Sicher werden Sie ihn bald lieben, unseren schönen deutschen Wald. Meine Besitzung liegt mitten in Thüringen ― ja so, ich habe mich Ihnen nicht mal richtig vorgestellt, und darauf haben Sie doch ein Anrecht, wenn ich Ihnen meinen Schutz anbiete, nicht wahr, kleines Mädchen? Also: Fürst Theodor von Waldburg-Rodenhausen“, sagte er fast leichthin und ohne Wichtigkeit, gerade, als wolle er Astrid mit seinem Titel nicht erschrecken.

      Sie nahm auch ganz natürlich und ohne Scheu seine Vorstellung auf.

      „Wir gelten zwar heute im armen Deutschland nicht mehr viel“, sagte Rodenhausen einfach, „aber vielleicht wird es mir durch meine Beziehungen, die ich grossenteils allerdings meinem Forscherberuf zu verdanken habe, und meiner Kenntnis Ihres Vaterlandes, doch leichter als manchem anderen sein, auch Ihre wirtschaftlichen Angelegenheiten zu ordnen.

      ― Jetzt führe ich Sie aber wirklich in den Schlafwagen, ― es ist nach Mitternacht ― schlafen Sie bis in den Tag hinein. Wenn Sie aufwachen, ist ohne Ihr Zutun Ihr Schicksal schon ein Stückchen weitergerollt, ich schreibe jetzt noch an meine Frau, dass ich eine kleine Tochter mit nach Hause bringe. Darf ich es tun?“

      Astrid war zu bewegt, um sprechen zu können. Sie gab nur Rodenhausen fest beide Hände wie zu einem Bündnis.

      ― ― ― ― ― ― ― ― ― ―

      Biertes Kapitel

      Das Schloss lag überwältigend schön. Wie herausgewachsen aud dem waldigen Berg, den es krönte, beherrschte es das Land, beherrschte die kleine, bunte Stadt, deren malerische Häuser sich an seinen Fuss lehnten, als suchten sie Schutz. Auf den beschneiten Berggipfeln lag Vorfrühlingssonne. Sie spiegelte sich in den langen Fensterscheiben des Schlosses.

      Ueber eine feine Handarbeit gebeut, fass die Fürstin in dem hohen Armstuhl ihres kleinen Boudoirs. Der erhöhte Erker hier war ihr Lieblingsplatz. Man konnte über die breite Schlossterrasse hinweg, die dem Publikum freigegeben war, weit ins Land hinein sehen, in das Land, über das man einst glücklich geherrscht hatte, dessen Menschen einem zugetan waren.

      Gut, dass es Frühling wurde! Die grauen Herbst- und Wintertage hatten die Gedanken noch schwerer und lastender gemacht. Jetzt schien alles licht werden zu wollen. Oder war es nur der Wunsch in ihr, dass es lichter werden möge? ― Man musste es sich eingestehen, man sah der kommenden Zeit mit Unruhe entgegen, wenn nicht sogar mit Angst. Sehnte sie sich eigentlich nach Theodor? Sie musste es selbst nicht. Ja und nein. In ihrem Innern war ja immer die Liebe zu ihm, die sie unter ihrer angenommenen Kühle verbarg. Aber was ihr äusseres Leben anlangte, so hatte sie sich daran gewöhnen müssen, allein zu sein.

      Von Anfang ihrer Ehe an war Theodor in der Welt herumgefahren. Hätte er das wohl auch getan, wenn er eine Frau aus wahrer Liebe geheiratet hätte? Dies Wissen, dass Theodors Wahl mehr von äusseren Rücksichten auf Familie und Stellung bestimmt gewesen, als aus innerer Neigung, dies Wissen war der wunde Punkt im Leben der Fürstin. Ihr Mann schätzte sie hoch. Das musste Dorothee. Sie war ihm immer eine verständnisvolle Gefährtin gewesen. Sie hatte im Geiste teilgenommen an seinen Forschungsreisen, an den wissenschaftlichen Arbeiten, in denen er diese Reisen zusammenfasste. Im Geistigen war sie mit ihm gegangen. Aber was war sie ihm als Frau? Die Leidenschaft des Mannes in ihm, sie hatte ihr nicht gehört. Das war das Bitterste im Leben dieser Frau mit ihrem herben Stolz. Die Fürstin hatte oft darüber nachgedacht, ob es nicht doch an ihr gewesen wäre, ihrer Ehe eine andere Richtung zu geben, die Richtung, die ihr Herz von Anfang an ersehnt hatte. Mit Weichheit und Liebe war Theodor zu nehmen. Das hatte sie längst erkannt. Aber sollte sie ihm die Hand bieten? Sie wusste ja, nur Konvention hatte ihn vor fast dreissig Jahren um sie werben lassen. Wäre es nicht an ihm gewesen, das Konventionelle ihrer Beziehungen zu durchbrechen und ihr zu sagen, dass sie ihm mehr geworden? Manchmal hatte sie es zu hören geglaubt. Aber misstrauisch, wie sie gegen sich selbst war, hätte sie seine Bestätigung gebraucht. Und doch, vielleicht hatte sie falsch gehandelt. Vielleicht hatte sie sich zu sehr vor ihm verschlossen.

      Frau Dorothee seufzte. Dass diese widerstreitenden Gefühle immer noch in ihr lebten! Dass sie seit fast dreissig Jahren immer noch nicht schweigen wollten! Und doch war es ein gutes Zeichen. Besser Leben und Bewegung, Zwøifel, Sorge und Hoffnung als das Gefühl, dass alles tot in einem war.

      Ihre Gedanken wandten sich der Gegenwart zu. Wie lange würde Theodor


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