Abenteuer im Sibirien-Express. Lisa Honroth Löwe

Abenteuer im Sibirien-Express - Lisa Honroth Löwe


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durch das Zimmer und öffnete die Tür.

      Der kleine Robby stürzte eilig ins Zimmer herein.

      „Omi, Blümchen“, lachte er und warf der Fürstin ein paar zerknitterte Märzveilchen in den Schoss.

      „Robby fottelauft“, verkündete er strahlend.

      Aber schon kam die alte Erzieherin, Fräulein von Brock, atemlos angekeucht.

      „Das gute Kind, das gute Kind! Wie sein Lauf beschwingt ist, wenn es Durchlaucht eine Freude machen kann. Und sei es mit diesen bescheidenen Frühlingsboten“, sagte sie in überschwänglichem Ton.

      Die Fürstin und Viky konnten sich kaum das Lachen verbeissen. Sie konnten eigentich an Fräulein von Brocks Komik längst gewöhnt sein. Aber es war immer wieder so unendlich erheiternd, wenn sie in blumiger Romansprache ihre Lebensweisheiten von sich gab.

      Man musste sie nun einmal nehmen, wie sie war, mit all ihren komischen und doch so liebenswerten Eigenschaften.

      ― ― ― ― ― ― ― ― ― ―

      Fünftes Kapitel

      An der Rezeption in der Halle des Königsberger Hotels stand Rodenhausen.

      „Sehr wohl, Durchlaucht“, sagte der Geschäftsführer zuvorkommend, „die Koffer zum Berliner Zug. Der Träger mit dem Handgepäck erwartet Durchlaucht eine Viertelstunde vor Abfahrt mit den Platzkarten und den Billets an der Schranke.“

      Rodenhausen nickte und verglich seine Armbanduhr mit der grossen Uhr im Vestibül. Dann sah er sich suchend um.

      „Fräulein Sjörberg, ist sie noch nict zurück?“

      „Das gnädige Fräulein lässt Durchlaucht sagen, dass sie im Schreibzimmer auf Durchlaucht wartet.“

      Rodenhausen durchschritt rasch die Halle. Das Schreibzimmer lag gleich nebenan. Astrid sass am Schreibtisch. Rodenhausen umfasste für einen Moment ihre Gestalt und das zarte Gesicht, das jetzt, im Eifer des Schreibens, eine leichte Röte zeigte. Er musste lächeln. Sie schrieb wie ein Kind, die Zunge leicht zwischen den Lippen hin und herschiebend, als sollte sie den Zug der Feder unterstützen.

      „Nun, Astrid, noch nicht fertig? In zwanzig Minuten geht der Zug.“

      „Schon fertig.“

      Astrid setzte rasch die Unterschrisft unter den langen Brief. Es war eine eigentümlich energische Handschrift, die zu dem sonst so zarten Mädchen eigentlich gar nicht passte.

      „Es ist nur ein Brief an Ingenieur Redderson“, plauderte sie, während sie sich jetzt von Rodenhausen in den Mantel helfen liess. „Ich habe Angst, dass er schon in Sorge um mich ist.“

      „Aber Sie haben ihm doch ein Telegramm geschickt, Kind.“

      „Das allerdings, Durchlaucht.“

      Rodenhausen drohte lächelnd mit dem Finger. „Schon wieder ,Durchlaucht‘, kleine Astrid? Haben Sie denn unsere Abrede ganz vergessen, nach der ich für Sie ,Onkel Rodenhausen‘ bin? Aber soviel haben Sie diesem Ingenieur Rederson mitzuteilen, stehen Sie denn so besonders nah mit ihm?“

      „Ja, Onkel Rodenhausen, ich habe ihm doch unendlich viel zu danken. Er ist wie ein Bruder zu mir gewesen. Und der einzige Kamerad, der mit mir jung, und der mit mir heiter war, der ein wenig zu mir passte. Ich glaube, er wird mich sehr vermissen.“

      „Und Sie ihn auch, kleine Astrid?“ fragte der Fürst mit einem leichten Ton. Aber der Ausdruck, mit dem er auf Astrid blickte, war forschend.

      Astrid sah versonnen vor sich hin.

      „Ich weiss es eigentlich nicht, Onkel Rodenhausen — aber — vielleicht doch.“

      Sie hatte den Mund noch ein wenig offen, als wollte sie noch etwas hinzufügen. Aber plötzlich lief ein ganz helles Rot über Stirn und Wangen. Und sie schloss die Lippen so unvermittelt, als wäre beinahe aus ihr etwas herausgedrungen, was sie erschreckt hätte, und was sie nicht sagen wollte.

      Rodenhausen schwieg. Da war offenbar irgend etwas, was besser unberührt blieb. Ueberdies war man inzwischen am Bahnhof angekommen. Die Halle war erfüllt von Menschen und Lärm. Dort, an der Schranke, stand auch schon der Hoteldiener mit abgezogener Mütze neben Rodenhausens neuen Koffern, die er für sich und Astrid an Stelle der verlorengegangenen angeschafft.

      Mit kindlicher Freude musterte Astrid das Schlafwagenabteil erster Klasse, in das Rodenhausen sie führte.

      „So bin ich noch nie gefahren, Onkel Rodenhausen“, meinte sie.

      „Nun also, kleine Astrid, dann machen Sie es sich bequem. Schlafen Sie gut und träumen Sie etwas recht, recht Schönes. Morgen früh find wir in Berlin und nachmittags dann zu Hause.“

      Rodenhausen schüttelte Astrid herzlich die Hand und wartete, bis sie die Tür des Schfwagenabteils hinder sich geschlossen. Er selbst vermochte noch nicht zu schlafen. Vergangenheit und Zukunft begegneten sich in seinen Gedanken. Er ging in den Speisewagen und sass noch lange bei einem Glase Wein. Der Gedanke, wie ales sich zu Hause gestalten würde, wie sein Schützling aufgenommen werden, und wie er sich in das Leben Rodenhausens hineinfügen würde, erfüllte ihn mit einer gewissen Bangnis. Er dachte an Dorothee, der er nun nach so vielen Jahren der Trennung gleich wieder ein fremdes Element ins Haus brachte. Würde sie gütig genug sein, um seinen Wunsch zu erfüllen? Er hatte in all den Jahren viel an Entsagung von ihr verlangt. Sie hatte es immer geleistet.

      Freilich, nie durfte sie erfahren, dass er ihr in Astrid die Tochter jener Frau ins Haus brachte, der seine erste leidenschaftliche Mannesliebe gehört hatte. Karen — er sah sie wieder vor sich in ihrer zarten, beseelten Fraulichkeit. Wie hatte er sie geliebt! Er hatte geglaubt, es nicht ertragen zu können, dass sie an einen anderen gebunden gewesen, als er sie fand. Er hatte es ertragen müssen, aber die Liebe zu Karen hatte immer zwischen ihm und Dorothee gestanden. Die Liebe zu Karen war stärker gewesen als sein Wille, zu Dorothee zu finden.

      — — — — — — — — — —

      Die Reise und der ganze Aufenthalt in Berlin waren an Astrid wie im Fluge vorbeigegangen. An die Einsamkeit der russischen Heimat gewöhnt, war Berlin wie ein verwirrender Fiebertraum, der sich über sie geworfen. Und sie war glücklich, als sie mit Rodenhausen im Zuge nach Thüringen sass. Astrid konnte sich nicht satt sehen an der Landschaft, die sich vor ihren Blicken veränderte. Die Ebene, in der sich die Grossstädte mit ihren Schloten und Fabriken gedehnt, war in bewegteres Hügelland übergegangen. Diese Landschaft in ihrer Lieblichkeit, hügelig, langsam zu Bergen ansteigend, von Bächen und Flüssen durchzogen, war ihr vertraut.

      „Wie schön ist Ihre Heimat, Onkel Rodenhausen“, sagte sie ein über das andere Mal. „Hier ist alles so licht und heiter. Ich glaube, hier müssen auch die Menschen froh sein.“

      „Ja, schön ist es hier.“ Rodenhausen sah mit Freude Astrids Entzücken.

      „Mir ist, als ob auch ich heute die Lieblichkeit des Landes doppelt genösse. Das macht, weil ich es durch Ihre Augen mitsehe, kleine Astrid. Man wird wieder jung neben einem so jungen Menschenkind.“

      Astrid lächelte, und dies schelmische Lächeln veränderte das ernste Gesichtchen in rührender Weise:

      „Aber Sie sind doch noch jung, Onkel Rodenhausen. Sie sind so jung wie — wie — manchmal kommen Sie mir so jung vor wie Redderson.

      „O, das ist ja ein grosses Kompliment.“

      Rodenhausen machte eine kleine, lächelnde Verbeugung.

      Aber Astrid fuhr schon harmlos fort, ohne zu wissen, wie sie sich selbst mit diesen Worten verraten hatte:

      „Und es ist ja kein Wunder, dass Sie jung sind, denn Sie haben ja Viky, von der Sie mir so sehr viel erzählt haben. Aber von Ihrer Frau haben Sie mir noch so wenig erzählt, Onkel Rodenhausen, und sie ist doch neben Ihnen die Hauptperson im Hause. Wie ist sie eigentlich? Wird sie mich gern haben können?“

      Astrids klare,


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