Abenteuer im Sibirien-Express. Lisa Honroth Löwe

Abenteuer im Sibirien-Express - Lisa Honroth Löwe


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wo die Lichter sind, es wird nicht weiter als zehn Minuten sein. Stützen Sie sich nur fest auf mich.“

      „Es geht schon wieder“, sagte sie beinahe munter, „Herr Rodenhausen, was wäre ohne Sie mit mir geschehen?“

      Kind, jetzt mal gar nicht rückwärts denken, das hat eben alles so sein sollen. Wir wollen nur froh sein, dass wir überhaupt noch leben und sogar mit heilen Knochen ― diese kleinen, lieben, aufgerissenen Hände machen wir auch ganz rasch wieder heil“, dabei nahm er sie ganz zart und vorsichtig in die seinen, „und nun überlassen Sie mir auch erst mal die weitere Sorge für alles. Das dort scheint ein Bauerngehöft zu sein. Sie wissen ja, der russische Bauer ist gutmütig, man wird uns sicher gern beherbergen.“

      Aber sie waren kaum eine Viertelstunde gewandert, als Rodenhausen fern auf dem Bahngleise einen Gegenzug in rasender Eile herankommen sah. Er bestand nur aus einer Maschine und zwei Wagen.

      Rodenhausen nahm den Feldstecher vor die Augen:

      „Tatsächlich, ein Militärzug, ich sehe Maschinengewehre, die Banditen scheinen die Telegraphenlinie nicht zerstört zu haben, und einer der Zugbeamten hat Hilfe signalisieren können. Wir werden noch ein wenig abwarten, dann können wir uns langsam wieder an die Eisenbahnlinie heranpirschen. Mut, bald kommen Sie zur Ruhe, Fräulein ―“ er stockte.

      „Astrid“, ergänzte das junge Mädchen, „Ich heisse Astrid Sjörberg.“

      Rodenhausen blickte sie voll und so erstaunt an, als ob er sie zum ersten Male sähe, dann aber nickte er langsam mit dem Kopf, als hätte er diese Worte erwartet. „Karen?“ er flüsterte es fast lautlos, ohne dass er es musste.

      „Karen?“ Astrid sah ihn erschreckt an. „So hiess meine Mutter. Woher wissen Sie es?“

      „Ich habe Ihre Mutter ― ― das erzähle ich Ihnen später, wenn wir erst zur Ruhe gekommen sind.“

      Rodenhausen riss sich zusammen: hier galt es, eine junge Seele zu schützen und ihr die Ereignisse der Vergangenheit zu schildern, dass man sie nicht erschreckte.

      „Nun kommen Sie, mein Kind ―.“ Er führte sie sorgsam wieder der Bahnstation entgegen.

      Dort war alles, wie er vermutet. Die Behörden hatten von dem Ueberfall auf den Sibirien-Express erfahren und einen bewaffneten Zug gesandt. Die Banditen hatten daraufhin die Flucht ergriffen, und nach einigem Schiessen, Lärm und Tumult war der Transsibirien-Express zur Aufnahme der Reisenden bereit.

      Drittes Kapitel

      Wenige Stunden später fuhr man bereits wieder, als wäre nichts geschehen, dem europäischen Russland entgegen.

      In Astrids Seele brannten die Fragen nach dem Zusammenhang zwischen Rodenhausens Leben und dem ihrer Eltern. Es war, als ob sie während der letzten Stunden an nichts anderes gedacht hätte.

      „Sie sprachen von meiner Mutter, Herr Rodenhausen?“

      „Ja, ich habe Ihre Eltern gekant, Astrid. Ich habe Ihnen erzählt, dass ich Forscher bin, es hat mich merkwürdig oft nach diesem Land hier gezogen, weiter hinein nach China mit seinen geheimnisvollen Menschen. Vielleicht ist es dem Forscher eigen, alles Geheimnisvolle ergründen zu wollen ― so zogen mich ausser dem Land hier auch dessen Bewohner an in ihrer Undurchdringlichkeit. Vor fünfzehn Jahren war es, ich war damals zwei Jahre lang in der Mandschurei, da hatte ich von den Bergwerken Jhres Vaters gehört und hatte ihn schriftlich gebeten, sie besichtigen zu dürfen. Er antwortete mir freundlich und lud mich ein. Er zeigte wohl immer mit Stolz seinen Besitz?“

      Astrid nickte.

      „Aber am ersten Tag gleich, als ich mit Ihrem Vater von dem einen Werk zum anderen ritt, stürzte ich mit dem Pferd und erlitt einen Knöchelbruch. Es war mir sehr peinlich ― zum erstenmal bei fremden Menschen. Ihre Mutter hat mich rührend gepflegt, Astrid ― Sie waren damals ein ganz kleines Mädchen, so zwei oder drei Iahre. Sie müssen jetzt siebzehn oder achtzehn Jahre sein ― stimmt es?“

      „Im nächsten Monat werde ich achtzehn“, sage Astrid träumend und ebenso weiter: „Haben Sie gleich gewusst, wer ich bin? Alle sagen ich sähe Mutter so ähnlich. Und Sie waren gleich so ― so merkwürdig ― so gut zu mir?“

      „Ob ich es gleich gewusst habe? Ich weiss es nicht, die Erinnerung ― ja, ich ahnte es wohl. Ich wäre wohl jeder Dame gegenüber ritterlich gewesen“, lächelte Rodenhausen, „aber ja, Sie haben recht, Sie haben das sicherlich empfunden, zu Jhnen zog es mich besonders. Es muss wohl irgend etwas in usn sein, ― ― ich bin Jhren Eltern zu grossem Dank verpflichtet“, sagte er plötzlich fest und bestimmt, als fürchte er, sich in Sentimentalität zu verlieren. „Es war ein aufregender Tag heute für uns beide“, meinte Rodenhausen jetzt väterlich, „wohl am aufregendsten durch die Erinnerungen, die in uns aufgewühlt wurden. Viel, viel müssen Sie mir noch erzählen, mein Kind. Ich hoffe, Sie werden es jetzt mit vollstem Vertrauen tun, besonders, wenn ich Ihnen über meine Person volle Aufklärung gegeben habe. Aber wenn Sie es zu sehr erregt, viel von der Vergangenheit zu sprechen, ― dann sagen Sie mir nur kurz die letzten Ereignisse und in welcher Lage Sie jetzt sind. Vor allem möchte ich aber wissen, wie Sie sich Ihre Zukunft gedacht haben, ob Sie wieder in Ihre Heimat zurück wollen, Denken Sie nicht, dass dieser fremde Mann hier sich in Ihr Vertrauen drängen will, Astrid“, er fasste ihre Hände, und sie liess es ergriffen geschehen, ―„ich fühle mich Ihnen nicht fremd, und ich spüre, dass Sie einen Menschen brauchen. Aber jetzt gehen Sie schlafen, Kind, Sie brauchen dringend Ruhe, morgen wollen wir alles besprechen.“

      Astrid schüttelte den Kopf. „Nein“, sagte sie, „ich kann jetzt doch nicht schlafen, Herr Rodenhausen, ich bin nach allem, was gewesen ist, und was Sie mir erzählt haben, zu erregt. Kein Mensch kann je besser zu mir sein, als Sie es heute zu mir waren, ― Sie haben meine Eltern gekannt, meine Mutter. Sie müssen mir von meiner Mutter erzählen. Aber vorher will ich Ihnen erzählen, was ich vorhabe. Sie sollen mir sagen, ob ich recht tue. Dann will ich auch gleich schlafen gehen, und ich glaube, ich werde so gut schlafen, wie seit langem nicht.“

      Lange sassen die beiden noch zusammen in dem Abteil des D-Zuges. Und Astrid erzählte. Erzählte, wie die Erinnerung an die Mutter sie nie verlassen, und wie sie sich immer nach ihr gesehnt hatte. Gewiss, sie hatte den Vater sehr lieb gehabt, und der Vater liebte sie, aber er hatte sie innerlich doch allein gelassen. Er was überzeugt gewesen, dass es seinem Mädel gut ginge, seinem Jungen, wie er sie immer nannte. Sie hatte ja alles, was sie wollte, ― und er war sehr stolz darauf, wie mutig sie war, wie forsch, wenn sie mit ihm durch die Wälder ritt. Dass sie mehr brauchte, dass dem Kinde die wetche, führende Hand fehlte, das später diese junge Frauenseele litt, an sich und ― an anderen, das fühlte er nicht. In den letzen Monaten hatte sie den Vater kaum gesehen. Sorgen waren zu ihm gekommen, eines der grössten seiner Werke lag still. Er war viel in die alte Heimat nach Schweden, um wegen Weiterausnutzung des Bodens im Ural wirtschaftliche Verhandlungen zu führen. Sie war oft in Angst. Man sagte, dass die Arbeiter, die Vater entlassen hatte, ihm Rache geschworen hätten. Vor zehn Tagen brachte man ihr den Vater erschossen ins Haus. Ein junger Ingenieur, Torsten, Redderson, auch ein Schwede, der dem Vater treu bis zuletzt zur Seite war, hatte ihr versprochen, alles so gut wie möglich zu ordnen. . . Ja, wenn Torsten Redderson immer im Hause gewesen wäre! Aber er hatte ja die Aufficht über die anderen Werke, während der Vater das Hauptwerk geleitet, in dessen Nähe sie wohnten. Redderson kam allerdings oft für viele Tage, um dem Vater Bericht zu erstatten oder Pläne mit ihm auszuarbeiten, und das waren immer Lichtblicke für sie gewesen. Denn Torsten verstand sie in vielem, sie waren eigentlich richtige Kameraden geworden. Und sie war immer trauig, wenn er wieder fortfuhr.

      Der Fürst hatte Astrid bis jetzt nicht unterbrochen, er fühlte, dass sie sprechen musste, dass sie sich freisprach, ja, ― und seine Gedanken gingen zurück zu Karen, ― so hatte ihre Tochter gelitten, so, wie sie selbst. Er seufzte auf: O, hätte er Karen doch geben dürfen, was ihr Mann ihr verwehrt hatte, das Sichausgeben in Liebe und Weichheit, die ganze Leidenschaft eines reichen Gefühls! Aber es hatte nicht sein dürfen. So war ihre gegenseitige Liebe wie eine Blüte gewesen, die nie zu voller Entfaltung gelangt. Kurz war ihr Zusammensein nur gewesen. Er erinnerte sich, er hatte damals Familienverhältnisse


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