Abenteuer im Sibirien-Express. Lisa Honroth Löwe

Abenteuer im Sibirien-Express - Lisa Honroth Löwe


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Hause sein sollte neben dem Mann, zeigte sie ihm unbemusst, auf welchen Platz er Dorothee hätte stellen müssen. Im Hause hatte er das wohl getan. Aber in seinem Herzen hatte er ihr niemals den Platz gegeben, der ihr gebührte. Heute, nach vielen Jahren, schien es ihm, als wäre es doch falsch gewesen, hierhin und dorthin zu streben, solange das seelische Fundament der Ehegemeinschaft nicht unverrückbar begründet war. Wie sollte er Dorothee diesem kleinen Mädchen schildern? Vielleicht würde sie mit ihrer Hellhörigkeit und dem vollkommen Unverbogenen ihres Charakters das heraushören, was er sich selbst bis jetzt nicht voll eingestanden hatte.

      „Nun“, sagte er in das Schweigen hinein, „Sie werden ja selbst sehen, kleine Astrid. Sie haben ein so unmittelbares Empfinden, dass ich Ihnen gar nichts sagen möchte. Sie sollen selbst sehen, selbst fühlen. Dann werden Sie auch wissen, dass zwischen Ihnen und meiner Frau der Kontakt sich leicht finden wird.“

      Astrid schwieg. Dann sagte sie sehr leise und wie demütig:

      „Das ist ein grosses Vertrauen, Onkel Rodenhausen, das Sie in mich setzen. Wenn ich es nur erfüllen kann.“

      Rodenhausen wollte etwas erwidern, als er sich plötzlich angerufen fühlte. Eine Dame stand hinter ihm.

      „Ah, Fürst, welch freudige Ueberraschung. Bin ich die erste, die das Glück hat, Ihnen in der Heimat zu begegnen?“

      Ein rascher Blick züngelte zu Astrid hin.

      „Ah, wie ich sehe, sind Sie in Gesellschaft, Fürst. Da störe ich wohl?“

      Aber es war etwas in dem Ton, was den Fürsten peinlich berührte. Das war immer noch die alte Melitta von Stenglin. Eigentlich hätte er sagen wollen, dass sie wirklich störte. Denn es passte ihm durchaus nicht, dass sich für Astrid die Heimat zuerst in der Person Melittas präsentierte. Er sah sehr wohl, dass Astrid wie ein Pferdchen, das scheut, bei Melittas Ton etwas zurückzuckte. Aber es half nichts. Und so sagte er denn mit weltmännischer höflichkeit:

      „Durchaus nicht, Baronin. Wie geht es Ihnen?“

      Er küsste ihr die Hand. „Darf ich Ihnen meinen kleinen Schützling vorstellen, Fräulein Sjörberg, Frau Baronin von Stenglin.“

      Astrid legte zögernd ihre schmale Hand in die ringblitzende, rosige, betont gepflegte der rassigen, überlegenen Frau, deren Sicherheit sie einschüchterte. Auf dem ein wenig zu stark gepuderten Gesicht mit den lebensgierigen, irrlichternden Augen lag eine unverblümte Neugier.

      Unwillkürlich strich Astrid an ihren Sachen herunter und schlug den Reisemantel enger zusammen. Sie hatte ein unangenehmes Gefühl dieser Frau gegenüber, so, als ob diese glänzenden, zudringlichen Vlicke sie gleichsam entkleideten.

      „Ah, vermutlich eine Reisebakanntschaft. Was führt Sie hierher in unseren verlorenen Winkel, Fräulein Sjörberg? Dem Namen nach sind Sie doch Nordländerin?“

      Rodenhausen mischte sich schnell ein.

      „Wir kennen uns schon lange, Baronin. Ausserdem werden wir ja das Vergnügen haben, Sie recht bald bei uns zu sehen. Denn Fräulein Sjörberg wird für längere Zeit unser Gast sein.“

      Er lehnte sich aus dem Fenster.

      „Aha, da ist ja schon die Blockstation. Wir werden gleich da sein.“

      Astrid lief schnell an Melitta vorbei in ihr Abteil. Er nahm die Koffer herunter.

      „Ach, dann muss ich ja auch wohl . . . “, sagte Melitta. „Wir sehen uns ja nachher.“

      Sie neigte den Kopf und verschwand in ihrem Abteil.

      Rodenhausen sah ihr mit einem halb ärgerlichen, halb amüsierten Lächeln nach:

      „Na, da haben wir ja gleich den richtigen Willkommen gehabt, Kind“, sagte er. „Ich hätte es mir für Sie zwar anders gewünscht. Aber unseres Herrgotts Menagerie ist gross.“

      — — — — — — — — — —

      Auf dem Bahnhof stand der Diener und begrüsste mit einem respektvollen und erfreuten Gesicht Rodenhausen.

      „Na, Josef“, Rodenhausen gab dem Diener die Hand, „alles gut zu Hause?“

      „Alles gut, Durchlaucht“, meldete Josef mit einem strahlenden Gesicht.

      „Na schön, also dann kommen Sir, Astrid!“

      Er nahm Astrid leicht unter den Arm und geleitete sie an dem respektvoll grüssenden Bahnhofsvorsteher vorbei die Sperre hindruch.

      „Einen Augenblick, Fürst.“

      Melitta von Stenglin, die inzwischen auch aus ihrem Abteil gestiegen war, kam eilig Rodenhausen nach.

      „Sie haben Ihren Wagen hier, dürfte ich mich bei Ihnen einladen? Ich habe meine Ankunft nicht rechtzeitig angekündigt Lokalzuge sitzen.“

      Rodenhausen überlegte einen Augenblick, als ihm der Diener respektvoll etwas zuflüsterte. Ein beinahe erleichterter Ausdruck ging über das Gesicht des Fürsten.

      „Ich bedauere tausendmal, Baronin. Soeben meldet mir der Diener, dass meine Frau und Viky in Gernrode auf uns warten. Sie haben dort die Einweihung des neuen Kinderheimes mitmachen müssen.“

      „Ach so, dann ist Ihr Wagen natürlich voll besetzt.“

      „Ja, leider. Also nochmals Verzeihung, Baronin.“

      Melitta von Stenglin verbarg ihren Aerger unter einem liebenswürdigen Lächeln. Sie hätte zu gern die Autofahrt mitgemacht, denn sie musste wissen, wer dieses junge Mädchen war, das Rodenhausen da so plötzlich mitbrachte. Sollte er wieder einmal — aber das war doch unmöglich. Er war doch inzwischen schliesslich auch älter geworden, und dies junge Mädchen hätte seine Tochter sein können. Und was sollte er schliesslich auch an solch einem jungen Ding finden? Aber die Zusammenhänge hätte sie doch zu gern gewusst und zugleich den Triumph gehabt, Rodenhausen wiederzusehen, ehe er seine Frau begrüsste.

      Rodenhausen und Astrid fuhren beide ziemlich schweigsam nebeneinander durch die schöne Landschaft. Jeder von ihnen war mit seinen Gedanken beschäftigt.

      Rodeausen war doch etwas unruhig: Wie würde das Wiedersehen mit Dorothee und Viky sein? Wie würden sie Astrid entgegenkommen?

      Und auch Astrids kleines Herz zitterte etwas vor dem, was ihr bevorstand.

      Endlich unterbrach der Fürst das bedrückende Schweigen:

      „Ich freue mich, dass Sie meine schöne Heimat im Frühling kennenlernen, liebe Astrid. Sehen Sie, wie herrlich der Kontrast! Auf den Berggipfeln liegt Schnee. Und wir hier unten im Tal fahren durch die warme Sonne.“

      Er machte sie auf besondere Schönheiten der Natur aufmerksam, nannte ihr Namen der Berge, der kleinen Dörfer, die man hier und da verstreut liegen sah, und wies plötzlich nach rechts auf eine kleine Lichtung:

      „Jetzt noch durch dieses kleine Wäldchen hindurch, das vor uns liegt, Astrid, und dann, sehen Sie dort auf der Lichtung, das ist schon Gernrode.“

      Der Kutscher fuhr, wie die Fürstin es angeordnet hatte, vor dem Hause des Pfarrers vor. Dort wollten die Fürstin und Viky nach dem kleinen Einweihungsfest den Fürsten und Astrid erwarten.

      Das kleine Pfarrerstöchterchen kam an den Wagenschlag gesprungen:

      „Die Frau Fürstin und Prinzessin Viky sind im Garten.“ sagte sie, ein über das andere Mal knixend.

      Die Pfarrersleute hatten sich taktvoll zurückgezogen, um das Wiedersehen nicht zu stören.

      „Kommen Sie, Astrid.“

      Rodenhausen legte väterlich einen Moment die Hand auf die Schulter des jungen Mädchens, als wollte er ihm Mut machen, und führte sie die Stufen zum Pfarrhaus hinauf und nach hinten in den herrlich gepflegten, echten Pfarrersgarten.

      „Ah, da sind sie“ , hörte man die frische Stimme Vikys. Und schon war sie, sehr wenig prinzessinnenhaft, wie ein junges Füllen auf Rodenhausen und Astrid zugesprungen.

      „Tag,


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