Abenteuer im Sibirien-Express. Lisa Honroth Löwe

Abenteuer im Sibirien-Express - Lisa Honroth Löwe


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Er war ein Mensch, der sich nie gern festlegte. Vielleicht war ihm auch etwas bange vor der Rückkehr in die Heimat, die ihm nie im vollsten Sinne des Wortes Heimat gewesen war! Heute oder morgen konnte das Telegramm kommen, das seine Rückkehr meldete. Jedenfalls würde Leben mit ihm in das stille Schloss einziehen. Theodor war ein Freund der Menschen. Er zog gern Menschen zu sich heran. Ohne dass er es wollte, wurde er durch seine Art zum Mittelpunkt eines jeden Kreises. Er war es gewesen, der den engen gesellschaftlichen Ring durchbrochen, in dem man innerhalb der Standesgenossen gelebt. Wissenschaftler und Künstler waren oft wochenlang Gäste auf dem Schloss.Und Dorothee, die klug und intelligent war, nahm die Anregungen, die diese Menschen ihr gaben, mit in die einsameren Jahre hinein, die es durch Theodors langdauernde Abwesenheit immer wieder für sie gab. Wohl unterbrach sie diese Einsamkeit durch Reisen, die ihr ihre äussere und innere Unabhängigkeit gestatteten. Aber es zog sie doch immer wieder zurück nach Schloss Rodenhausen. Sie war ein Mensch, der die innere Geschlossenheit sich nur erhalten konnte in der äusseren Geschlossenheit des Daseins. War sie allzulange unterwegs in Hotelzimmern zwischen täglich wechselnden Menschen und der Vielfachheit der äusseren Eindrücke, so überkam sie leicht erwas wie Lebensangst. Sie fühlte dann die jahrelange Trennung von Theodor um so mehr. War sie dagegen in Rodenhausen, so war es ja die auch ihm vertraute Umgebung, die sie wenigstens in dieser Weise mit ihm verband. Und sie wusste, dass seine Gedanken, wenn sie zu ihr gingen, sie in dem Rahmen fanden, den auch er kannte.

      Vikn leider hatte wohl etwas von dem unruhigen Naturell des Vaters geerbt. Es litt sie nie lange in der Stille von Rodenhausen. Kaum dass sie es zwei, drei Wochen aushielt, dann zog es sie wieder nach München in den lebhaften und freieren Kreis, den sie sich dort geschaffen hatte. Und man konnte nichts dagegen einwenden. Man hatte Viky nun einmal erlaubt, ihr malerisches Talent auszubilden. Das war in der Stille von Rodenhausen nicht möglich. Nun musste man die Folgerungen aus dieser Erlaubnis ziehen. Auch das hätte die Fürstin anders gewünscht. Wie gern hätte sie, einsam, wie sie war, ihre gesamte Liebe und Sorge auf Viky konzentriert, um in ihrer Zärtlichkeit Ersatz zu finden — Ersatz für das, was Theodor ihr nicht gab. Aber vielleicht wäre es auch gar kein Ersatz gewesen. Es gab nichts in der Welt, was für eine Frau Ausgleich schuf für die innere Verbundenheit mit einem Manne. Aber das Leben gewährte einem selten, was man ersehnte. Man hatte sich zu fügen, wenn es auch schwer war.

      Die Fürstin riss sich aus ihren Gedanken. Es war sicher noch nicht alles für die Rückkehr Theodors gerichtet. Sie liebte es, selbst an den Vorbereitungen teilzunehmen, die für jeden lieben Gast getroffen wurden. Und diesmal, wo es galt, Theodor zu erwarten, sollte alles besonders festlich sein.

      Gerade, als sie sich erheben wollte, klopfte es an die Tür:

      „Ah, Sie bringen Post, Josef?“ empfing sie freundlich den Diener, und als sie gesehen hatte, dass der Brief von Theodor war:

      „Bitten Sie die Prinzessin zu mir. Ist der kleine Robby im Hause?“

      „Nein, Durchlaucht, Fräulein von Brock ist mit Robby in den Wald gegangen.“

      „Es ist gut, Josef.“

      Die Fürstin vertiefte sich bereits in den Brief ihres Mannes.

      So ausführlich schrieb Theodor noch, wo er doch heute oder morgen schon hier sein wollte?

      Sie blätterte in den eng beschriebenen Bogen. Hatte Theodor etwa seine Rückkehr verschoben?

      Fast erschrak sie, als Viky in ihrer ungestümen Art etwas laut ins Zimmer kam.

      „Was ist los, Mama? Josef sagt, es ist Post gekommen. Ist es etwas mit Papa? Kommt er? Wann kommt er? Gott, so ein langer Brief!“

      Ein Schatten ging über ihr eben noch so sorgloses Gesicht.

      „Wie konnte ich das vergessen, mir fällt ein“, sagte sie angstvoll, „Papa ist ja dort mitten im Kriegsgebiet. Hat er etwa Schwierigkeiten herauszukommen?“

      „Nein, nein, das nicht, Kind“, meinte die Fürstin, „aber ich glaube, bei Papa wird es solange er lebt immer Ueberraschungen geben. Obgleich er meistens auf Reisen ist, hält er uns dadurch doch immer in Atem. Es ist drollig, dass er immer erwas Besonderes erlebt. Das kommt wohl, weil er in alle Dinge, die ihm begegnen, und an denen andere vorbeigehen würden, mitten hineinspringt.“

      „Mama, du sprichst wirklich in Rätseln“, sagte Viky ungeduldig, „bitte, bitte, lass mich einmal selbst lesen, was Papa schreibt. Oder darf ich nicht?“

      „Natürlich darfst du“.

      Viky las schweigend.

      „Was sagst du zu dem Briefe?“ fragte die Fürstin nach einer Weile.

      „Eigentlich fabelhaft von Papa! Richtig jugendlicher Kavalier! Ob das kleine Mädel hübsch ist, das er da so eins, zwei, drei gerettet hat und uns mitbringen will? Er scheint gar nicht lange überlegt zu haben. Hast du eigentlich gewusst, Mama, dass Papa so temperamentvoll ist? Hier wird er nur lebhaft, wenn er auf seine Gesteinsarten und Erdschichten zu sprechen kommt.“

      Eine kleine, abweisende Falte erschien auf ihrer Stirn:

      „Aber Viky“, sagte die Mutter strafend. „Ich glaube, das ist nicht der richtige Ton, in dem man von seinem Vater spricht.“

      „Nicht böse sein, Mutti! Du weisst, ich sag’ immer alles, wie ich denke. Und ich hab’ ja Papa auch wirklich lieb. Wenn ich auch seiner Rückkehr mit etwas gemischten Gefühlen entgegensehe. Wie das nur werden wird mit dieser Astrid, die er uns da bringt? Vielleicht ganz nett. Denn was sonst so an jungen Mädchen hier auf den Gütern herumwimmelt, das ist doch entweder lauter grünes Gemüse, das von Gott und der Welt keine Ahnung hat, oder es sind schon reichlich vertrocknete Dämchen, die mir durch ihr Alter imponieren wollen, weil sie nichts anderes haben,“

      „Aber Viky, sei doch nicht immer so leichfertig. Du kannst doch nicht alles in der Welt danach beurteilen, ob es amüsant ist oder nicht.“

      „Warum nicht, Mama? Zum mindesten soll man versuchen, alles amüsant zu nehmen. Das andere kommt schon von selbst. Nun, und was diese Astrid anlangt, na, ich werde sie erst mal beschnuppern. Am Ende ist sie auch etwas traurig. Und das könnte mir ja gerade noch fehlen.“

      „Ich fasse die Sache mit dieser jungen Astrid Sjörberg doch etwas anders auf. Sie ist eine Waise, die soviel Schweres durchgemacht hat, wie wir es auch nicht im Entferntesten begreifen können. Ich glaube, Viky, wir wollen uns hier mal etwas ernster einstellen und Vaters Wunsch zu erfüllen suchen, der dahin geht, dem jungen Mädchen hier vorübergehend eine Heimat zu geben. Und ich freue mich fast, dass das Fremde, das meistens bei seiner Heimkehr zwischen ihm und uns liegt, durch die Pflichten gemildert werden wird, die er uns in der Sorge um das junge Mädchen aufgibt. —“

      Viky umarmte stürmisch die Mutter.

      „Du bist die famoseste alte Dame, die es gibt“. und als sie eine Missbilligung auf dem Gesicht der Fürstin sah, fügte sie schnell hinzu:

      „Ich weiss, ich weiss, du liebst die studentischen Kraftausdrücke nicht. Also, du bist die süsseste und beste und anständigste Mutter von der Welt. Und immer kriegst du mich wieder herum, wenn ich leichtsinnig bin. Ach, und ich bin das doch zu gern“.

      „Ja, und ich fürchte, dass der Aufenthalt in München dich sehr darin bestärkt, liebes Kind“, seufzte die Fürstin, „ich bin ja sehr gerührt, dass du dich immer wieder zu mir bekennst. Vielleicht solltest du deine Liebe nicht zu einseitig nur mir geben.“

      „Woher weisst du, dass ich das tue, Mama?“ meinte Viky schelmisch.

      „Du weisst schon, was für eine Liebe ich meine“, sagte die Fürstin. „Die andere, die du meinst, ja, mein Kind, da wird wohl auch noch viel mit Papa zu besprechen sein. Aber es hat ja noch gute Weile damit. Du bist noch so jung, und es ist noch lange nicht aller Tage Abend.“

      Viky schwieg. Ihr Gesicht zeigte einen leisen Trotz. Sie liebte es nicht, wenn die Fürstin auf dieses Thema kam. Sie war durch das auswärtige Studium sehr selbständig geworden und wollte jetzt immer gern mit dem Kopf durch die Wand. Gerade wollte sie der Mutter etwas unfreundlich erwidern, als ein helles Kinderstimmchen im Nebenzimmer


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