Der Reiter auf dem Regenbogen. Georg Engel
dazu vor deinem Vater.“
„Kindereien? Du hast doch selbst mit Gust eine Verbindung begründet. Und wie schön sprachst du früher davon, Malte. Ihr wolltet doch die Geknechteten frei und glücklich machen?“
„Na, ja; das ist aber natürlich alles Schnack. Wir verstehen ja vorläufig noch garnichts vom öffentlichen Leben. Und müssen uns da draussen erst selbst noch tüchtig den Wind um die Nase wehen lassen. Wenn wir dann erst was geworden sind, nachher muss man selbstverständlich auch seine Pflicht gegen die anderen erfüllen.“
Bei seinen Worten wandte sie ihre klaren Augen auf ihn und legte nachdenklich den Finger an die Lippen: „Wie kalt und nüchtern du in letzter Zeit immer sprichst,“ meinte sie endlich kopfschüttelnd.
Der Junker, der an dem kleinen Blumentisch stand, rührte sich nicht. Nur die Falten über der energischen Nase vertieften sich noch etwas. Dann meinte er ohne sichtbare Erregung: „Draussen auf unserem verschuldeten Gute, da braucht man solche Nüchternheit, Martha. Ich wünschte, dass ich noch besser mit den Zahlen umzugehen verstünde. Und hier in der Pension für 50 Mark den Monat, da lernt man auch nicht gerade Gedichte machen.“
Als er so von seinen Entbehrungen sprach, aufrecht und fest, wie immer, und ohne um irgendwelches Mitleid werben zu wollen, da richteten sich die Augen des Mädchens so voller Güte auf den zu ihr Gekehrten, dass er beinahe schüchtern davor wurde.
„Na, es ist nichts,“ wehrte er mit verlegenem Lächeln ab, „das machen viele durch. Und es sind nicht gerade die Schlechtesten,“ setzte er in halbem Trotz hinzu.
Martha nickte halb unbewusst.
Drinnen war die Unterhaltung inzwischen leiser und milder geworden.
Und das schöne Mädchen regte sich jetzt erleichtert und fragte ihren Vetter mit einem teilnahmsvollen Blick, welche Laufbahn er nach bestandenem Examen einschlagen wolle. Aber ihre Gedanken weilten nicht hier, sondern dort drinnen bei dem merkwürdig hässlichen Menschen, dem Gust, dessen Augen sowohl in der Kirche, wie beim Konfirmationsunterricht so fern und ehrfürchtig an ihr gehangen hatten; „Wie in Andacht,“ dachte Martha errötend, und sie ahnte nicht, dass diese andächtigen Augen immer wie zwei Sterne durch ihren Lebenshimmel leuchten würden.
„Was willst du werden, Malte?“ fragte sie.
„Wenn ich das Examen bestehe, was garnicht so sicher ist, dann werde ich Jurist.“
„Jurist?“ wunderte sich die Cousine, „ist das nicht ein sehr trockenes Studium?“
Er zuckte wiederum leicht die Achseln.
„Das hilft nichts, wenn jemand Regierungsbeamter werden will, wie ich, dann braucht man’s eben. Zuvor aber werde ich Offizier.“
Da ging ein munteres Aufblitzen über die Züge des jungen Mädchens:
„Ja, das glaube ich dir,“ lächelte sie, „davon hast du ja immer geschwärmt.“
Doch der Junker liess sich von ihrer herzlichen Fröhlichkeit nicht anstecken. Ruhig belehrte er sie, dass der Mann, der befehlen wolle, erst gehorchen lernen müsse. Dazu aber sei der Dienst gerade die rechte Schule. Er wolle ja selbst hart angefasst werden, um später einmal andere Menschen auf rechte Art behandeln zu können.
„Wie fest und geregelt alles bei Malte ist,“ dachte Martha in einer Art beklemmter Bewunderung. „Aber, ob er wohl auch einmal solche wunderlichen Traumbilder erdichten kann, wie der da drinnen?“
Sie hatte Gust nur manchmal von ferne zugehört, aber seine glühende Darstellungsart war ihrem Gedächtnis haften geblieben. Und ihr Auge richtete sich wieder besorgt auf die nahe Tür, hinter der es so bänglich stille geworden. So geschah es, dass sie vollkommen übersah, wie Malte, der sich unbeobachtet fühlte, lange und fest seinen Blick zu ihr erhob, und wie seine Brust sich leise regte, da er den Glanz ihrer braunen Flechten prüfte, und wie ehrfürchtig sein Auge über die junge Pracht ihrer Glieder ging.
Langsam schloss er dabei die Faust.
Es war, als ob er einen Besitz nicht fahren lassen wolle.
„Guten Morgen, Fräulein Martha,“ wünschte Gusts zitternde Stimme, während er mit brennenden Wangen und aufgeregt auf den moosgrünen Teppich trat. „Ich will — ich soll nämlich —“
Er vollendete nicht, sondern fuhr sich über die Stirn und blickte wirr von einem zum andern.
„Na, was sollst du?“ half Malte Zingst mit gutmütigem Spott ein.
„Bitte, setzen Sie sich, Herr Petersen,“ forderte ihn auch Martha mit etwas unsicherer Förmlichkeit auf
Allein Gust liess sich nicht nieder. Dazu tobte zu grosse Erregung durch seine Sinne.
Eben erst einen Sieg errungen, einen grossen, unzweifelhaften Sieg über den grämlichen, verbitterten Mann, vor dem sich die meisten der Mitschüler Gusts heimlich grauten, und zwar durch männliches Festhalten an herrlichen Prinzipien.
O, das war gross, das war erhaben, das tanzte, wie ein Bachantenzug durch seine Einbildungskraft. Aber doch — war ihm nicht innerlich noch viel seltsamer zumute, da er jetzt hier weilte, hier in diesem kleinen Heiligtum, in diesem weiss und goldenen Tempel, in dem das vornehme ruhige Mädchen dort als Priesterin dahinlebte! Und wie er hier festwurzelte auf ihrem tiefen, weichen Teppich, ja, da sah er sie Formen annehmen, so wie er das ruhende Mädchen mit seiner halb heiligen, halb lüsternen Knabenphantasie stets erschaut, ersehnt, erzittert hatte.
Bald war sie ein herrliches heidnisches Götterbild mit marmorweissen Gliedern, hingestreckt auf rotem Pfühl, und dann blitzschnell sich wandelnd, ragte sie wieder vor ihm auf, schamhaft verhüllt bis an den Hals, mit hocherhobenen, betenden Händen, die Martha des neuen Testaments.
Horch — klingt da nicht die Orgel? Aus allen Ecken des weissen Tempels dröhnt ein singender Chor.
„Heilig — heilig.“
„Menschenskind,“ rief ihn Malte von Zingst aufs höchste verwundert ins Leben zurück, während er laut auflachte. „Willst du hier als Holzfigur anwachsen? Um was handelt es sich denn eigentlich?“
Da vollführte Gust, beschämt wie immer, wenn man ihn von seinen prangenden Schleichpfaden abberief, eine ungeschickte Verbeugung, setzte sich, zupfte an seiner weissen Krawatte, heftete einen scheuen Blick auf das wartende Mädchen und dann schoss es sprudelnd aus ihm hervor, ungestüm und doch mit leise durchklingendem Glücksgefühl, dass er Martha unterrichten solle.
„Sie? Ach wirklich?“ entfuhr es seiner Zuhörerin. „Hat Vater nachgegeben?“
„Du?“ wunderte sich auch Malte.
„Ja, ich — und ich freue mich furchtbar darauf.“
„Ich nicht weniger,“ gestand Martha Kräplin. „Verzeihen Sie, hatten Sie schon eine Schülerin?“
„Nein — niemals — Sie sind die erste.“
Und nun fuhren die Fragen herüber und hinüber. Die beiden spannen sich ein in ein wundersames Netz, das die bunte Jugend so leicht zu weben vermag, und in welchem es von Edelsteinen, Gold und Purpur nur so funkelte. Immer auffälliger vergassen sie des Zeugen, der ernst und befremdet auf sie herunterblickte.
„Was lesen Sie im Moment, Fräulein Martha?“ sprudelte Gust, der nicht genug hören konnte, heraus.
„Ich? — Ach Gott, ich weiss kaum, ob es das rechte ist? Ich lese eben den Egmont.“
„Und das soll nicht das rechte sein? Das ist ja gerade das, was ich mir gewünscht habe, das Schönste, was ich überhaupt mit Ihnen durchgehen könnte. Denken Sie doch nur, diesen prachtvollen Gegensatz. Auf der einen Seite den stolzen, freien, offenen, hochgemuten Aristokraten, und tief in der Dämmerung einer engen Seitengasse das kleine Bürgermädchen, das schöne Klärchen. Alles wirkt dunkel und holländisch in Klärchens Zimmer. Das liebende Mädchen selbst, das Spinnrad, die alte Mutter, der unglückliche Brackenburg, alles liegt wie im Schatten, als hätte es Rembrandt gemalt. Sie haben doch Rembrandts