Worte verletzen ... und Schweigen tötet. Karin Waldl

Worte verletzen ... und Schweigen tötet - Karin Waldl


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Köter gierten nach meinem Blut, aber sie wurden zurückgehalten. Fast erwartete ich, dass sie die wolfsähnlichen Tiere doch losließen und sich ihre Zähne schmerzhaft in mein Fleisch dringen würden wie scharfe Messerstiche. Aber es geschah nicht, mein Körper gab das letzte Bewusstsein auf, ich fiel in die unendlichen schwarzen Tiefen einer Ohnmacht. Dumpf hörte ich noch die Worte, die sie sagten: „Wir haben die Bestie gefangen.“

      Dann hüllte mich die Schwere der Dunkelheit endgültig ein. Ich hatte das Spiel verloren. Gewinnen war in meinem Leben nicht so vorgesehen, wie es die Gesellschaft mit ihren Normen und ihrer Moral vorgab. Es war gut, dass sie nichts wussten von meinem wahren Gewinn. Stolz erreichte mich in Gedanken die unmittelbare Erinnerung, die mich in die Flucht trieb, ich blickte auf meine blutverschmierten Finger und wusste nur zu gut, dass es nicht mein eigenes Blut war, das an meinen Händen klebte.

      *

      Kapitel 1

      „Ich frage Sie jetzt zum wiederholten Male. Wie heißen Sie?“, fragte die Psychologin eindeutig genervt.

      „Emilia“, antworte ich so wie immer fast tonlos.

      „Und Ihr Nachname?“, bohrte sie weiter nach und strafte mich mit ihrem strengen Blick.

      „Ich habe keinen Nachnamen, nicht mehr“, sagte ich ruhig und gelassen.

      „In Ihrer Geburtsurkunde steht aber, dass Sie Klein heißen – Emilia Klein“, gab mein Gegenüber nicht auf, obwohl wir uns im Kreis drehten.

      „Ich kenne diesen Namen nicht“, antwortete ich genauso gefühllos, wie ich es in den zwei Jahren zuvor auch getan hatte.

      „So kommen wir kein bisschen weiter, wenn Sie alles leugnen, was mit Ihrer Person zu tun hat“, bemerkte die Psychologin, während sie mit dem Bleistift nervös auf den Tisch klopfte.

      Ich schaute sie lange an, starr blickte ich in ihre grünen Augen. Sie war eine durchaus attraktive Frau mit sehr gleichmäßigen Gesichtszügen und immer sehr gekonnt geschminkt. Ihre roten Haare passten perfekt in das Bild einer Frau, die unwiderstehlich zu sein schien in der Männerwelt. Aber das waren natürlich nur Vermutungen, denn ich kannte sie nur von meinen Therapiegesprächen, die mir rein gar nichts brachten, zu denen ich aber verpflichtet wurde. Wenn ich die Wahl hätte, würde ich nicht herkommen. Deshalb genoss ich es innerlich, dass Frau Dr. Gabriel bei mir kein Stück weiterkam. Es fühlte sich wie ein kleiner Triumph an in diesem von mir nicht gewählten Leben. Sie würde mich sowieso nicht verstehen, deshalb versuchte ich es auch nicht. Sie konnte bei mir liebend gerne weiterhin auf Granit beißen. Innerlich schloss ich bereits Wetten mit mir selbst ab, wie lange sie das noch mitmachen würde, bevor sie endgültig aufgab und meinen Fall als nicht therapierbar zu den Akten legte. Aber momentan dachte sie anscheinend noch nicht daran, wahrscheinlich stand ihr guter Ruf auf dem Spiel.

      „Gut, dann versuchen wir es anders. Was wissen Sie denn noch über sich?“, fragte sie weiter.

      Es war immer dieselbe Leier. „Ich bin 20 Jahre alt“, kam es wie aus der Pistole geschossen. Sinnlose, oberflächliche Informationen waren mittlerweile mein Spezialgebiet.

      „Das ist gut. Welche Informationen haben Sie noch über sich selbst?“, ließ Frau Dr. Gabriel trotzdem nicht locker.

      „Ich sitze seit zwei Jahren im Gefängnis, im Hochsicherheitstrakt für Schwerverbrecher“, erzählte ich weiter und bemühte mich, möglichst ausdruckslos zu wirken.

      „Wissen Sie auch, warum Sie hier sind?“, waren die nächsten, voraussehbaren Worte der Psychologin.

      „Natürlich weiß ich, warum ich nicht da draußen in Freiheit bin, aber darüber werde ich mit Ihnen bestimmt nicht sprechen, weil Sie mich nicht verstehen würden. Niemand würde verstehen, was meine Wahrheit ist“, sprach ich trotzig, es ödete mich an, immer dieselben Gespräche zu führen.

      „Ihnen ist bewusst, dass Sie hier niemals rauskommen werden, wenn wir das Geschehene nicht gemeinsam aufarbeiten?“, ließ sie zum gefühlten tausendsten Mal nicht locker.

      „Das ist mir egal“, motzte ich unhöflich zurück, auch das war nicht neu.

      Die Ärztin seufzte, sie war mit ihrem Latein offensichtlich am Ende. „Und wir sind wieder am Anfang, immer das gleiche Spiel. Wir befinden uns in derselben Schleife. Emilia, steigen Sie doch einmal aus dem Kreislauf aus. Sie haben recht, bei dem, was Sie getan haben, werde ich niemals ganz verstehen, was einen zu dieser grausamen Tat bewegt. Aber ich bin dazu da, um es zu versuchen und Ihnen zu helfen, dass so etwas nie wieder vorkommt. Ich glaube, Sie leugnen deshalb Ihren Nachnamen und Ihre Vergangenheit, um die damit verbundenen Erinnerungen endgültig zu begraben. Könnte ich damit recht haben?“, donnerte mir die Psychologin die Worte regelrecht ins Gesicht.

      Sie hatte heute eindeutig nicht ihren besten Tag, ich hatte sie noch nie so ungeduldig erlebt. Ich hoffte schon, dass ich es doch geschafft hatte, dass sie das Handtuch warf und mich als hoffnungslosen Fall abstempelte. Dann war ich zwar für immer eingesperrt, hatte aber endlich meine Ruhe. Warum ließen sie mich nicht einfach in Frieden? Hier drinnen war ich für niemanden eine Gefahr, also, was sollte das Theater?

      So zuckte ich als Antwort mit den Achseln, wahrscheinlich hatte sie sogar recht mit dem, was sie sagte, aber sie sollte doch glauben, was sie glauben wollte. Was würde das schon ändern?

      „Ich gebe wieder einmal auf für heute. Ich will und kann Sie natürlich zu nichts zwingen. Es ist Ihre Zukunft, Sie wählen, wie diese aussehen soll. Aber eine Frage habe ich heute doch noch. Bereuen Sie Ihre Tat?“, sagte sie seufzend. Sie sah mich heute so enttäuscht an, dass ich das erste Mal Mitleid mit ihr hatte.

      Ich wollte schon mit meiner üblichen Ignoranz antworten, aber ich konnte diesen Blick nicht ertragen. Was war auf einmal los mit mir? Gerade vergönnte ich ihr noch meinen kleinen Triumph, indem ich ihr nichts von mir preisgab. Aber ihre Augen verrieten so eindeutig ihre Traurigkeit. Ich wusste nur zu gut, dass ich meine gesamte Kindheit und Jugendzeit auch denselben trostlosen Gesichtsausdruck gehabt hatte, wenn ich nicht verstanden hatte, was los war, und nach Erklärungen lechzte. Es war die Hölle auf Erden, in den entscheidenden Momenten angeschwiegen zu werden und keine Ahnung zu haben, was das Leben mit einem vorhatte.

      Oh mein Gott, mir wurde gerade bewusst, ich war nicht anders geworden. Ich wollte niemals so sein, aber ich hatte es nicht verhindert. Seit zwei Jahren schwieg ich und kein Ton kam über meine Lippen. Ich sah in den Augen der Psychologin das Kind, das ich einst war, das einsam im finsteren Nebel der Unwissenheit gelassen wurde. Ich begann, zu weinen, die Tränen flossen, ohne dass ich es wollte. Ich biss mir auf die Zunge, weil ich diesen törichten Gefühlsausbruch nicht verhindert hatte. Wut kochte in mir hoch. Ich rang mich zu meiner eigenen Überraschung und gegen jede Vernunft zu einer Antwort durch und schrie lautstark: „Nein, ich bereue nichts. Ich streite meine Tat nicht ab und behaupte, dass ich unschuldig bin, wie es die meisten Insassen hier tun. Denn ich stehe dazu, was ich verbrochen habe. Ich fühlte mich innerlich niemals so frei, bereue es keine Sekunde. Auch ist mir der Preis, den ich dafür zahle, nicht zu hoch, denn alles ist besser als das, was ich durchmachen musste, nicht mehr ertragen zu müssen. Verstehen Sie, was ich meine?“

      Frau Dr. Gabriel schluckte sichtlich einen Kloß hinunter und nickte. Damit hatte sie nicht gerechnet, nicht, nachdem ich so lange geschwiegen hatte. Nervös kramte sie ihre Sachen zusammen und verabschiedete sich mit einer unprofessionellen Ausrede. Ich blickte ihr kopfschüttelnd nach. „So eine gestörte Alte“, dachte ich bei mir selbst.

      Nein, es war schon richtig, sich auf nichts einzulassen. Das Leben hatte mich gelehrt, dass man sich nur auf sich selbst verlassen konnte, jeder war sich selbst der Nächste.

      So ein kurzer Moment der Schwäche wie gerade bei dieser abgedrehten Psychologin würde mir nicht mehr passieren. Sie redete seit zwei Jahren auf mich ein, dass ich reden sollte, und dann erzählte ich etwas, gab ihr eine Antwort und sie war einfach weg. Ich war ihr genauso egal wie allen anderen Menschen auf dieser beschissenen Welt. Das war mal wieder die eindeutige Bestätigung dafür, dass das


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