Worte verletzen ... und Schweigen tötet. Karin Waldl

Worte verletzen ... und Schweigen tötet - Karin Waldl


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sie damals zusammen gewesen war? Irgendwie musste sie die Kurve kratzen, denn dieses eindeutige Angebot zu einmaligem Sex war eindeutig nicht ihr Ding. Und Drogen gingen gar nicht. Sie musste einen Weg finden, um höflich einen Abgang zu machen.

      „Philipp, ich wollte eigentlich nur wissen, wie es dir geht. Ich habe kein Interesse an Sex mit dir“, sagte sie schließlich betont höflich, aber eindeutig.

      „Macht nichts, ich finde sicher noch eine andere Frau heute, die mit mir das Bett teilt“, sagte er erklärend, als wäre es das Normalste der Welt, und zuckte mit den Achseln.

      Nele blieb der Mund offenstehen. Hatte er das wirklich in ihrer Gegenwart gesagt? Sie konnte es nicht fassen. Das war der Punkt, an dem sie endgültig verschwinden musste. Sie bedankte sich noch halbherzig für die Gastfreundschaft, ehe sie eilig die Wohnung verließ und mit ihrem Auto schnell davonfuhr. Innerlich ärgerte sie sich, vielleicht wäre es besser gewesen, nicht zu erfahren, was aus Philipp geworden war – ein selbstverliebter, vergnügungssüchtiger Casanova. So einer würde Nele niemals ins Haus kommen. Angewidert versuchte sie verkrampft, auf andere Gedanken zu kommen. Aber das war gar nicht so leicht, denn auf einmal kam ihr in den Sinn, warum Philipp in ihrer Jugendzeit mit ihr Schluss gemacht hatte – wegen einer anderen. Langsam wunderte es Nele nicht mehr ganz so heftig, warum er sich in diese Richtung entwickelt hatte. Aber egal, einen Mann auf ihrer Liste konnte sie schon abhaken, das war eindeutig ein Reinfall gewesen.

      Nele parkte bei einem Pizza-Imbiss, um an einem der Stehtische ein Stück Schinkenpizza mit Champions zu essen. Das Ganze spülte sie mit einer Cola hinunter. Kauend hegte sie wieder Zweifel, ob dies überhaupt der richtige Weg war, um einen Mann fürs Leben zu finden. Sollte sie vielleicht doch aufgeben? Nein, nur weil die erste Begegnung ein massiver Rückschlag war, durfte sie jetzt nicht das Handtuch werfen. Sonst würde sie sich ewig vorwerfen, es nicht probiert zu haben. Sie wusste von Anfang an, dass wenig Chance auf Erfolg stand, aber sie musste es weiter versuchen, um es eindeutig zu wissen. Entschlossen stieg sie wieder ins Auto und setzte ihren Weg fort.

      Der zweite Mann auf der Liste war Paul, eine unerwiderte Liebe oder – besser gesagt – Schwärmerei von Nele aus sehr jungen Jahren. Er war vor langer Zeit fast drei Jahre mit ihrer älteren Cousine Magdalena liiert gewesen. Im stillen Kämmerlein hatte Nele ihn heimlich bewundert, ohne es ihm gegenüber jemals laut auszusprechen. Wahrscheinlich war diese Unerreichbarkeit damals sogar bewusst gewählt, denn sie war noch viel zu jung für echte Erfahrungen, ein kleines Mädchen, das keine Ahnung von der großen, weiten Welt hatte. Diese Gefühlsduselei war angesiedelt in der Zeit zwischen Kindheit und Jugendzeit. Eigentlich war Paul mehr wie ein großer Bruder für Nele, der mit ihr, natürlich gemeinsam mit ihrer Cousine, spielte. Es brach ihr damals das Herz, als die Beziehung zwischen den beiden zerbrach, denn ab diesem Zeitpunkt war Paul nicht mehr da und sie konnte ihn nicht mehr im Geheimen anhimmeln. Jetzt, da Nele erwachsen war, musste sie selbst grinsen über diesen kindlichen Herzschmerz einer Heranwachsenden, wie sie es damals gewesen war.

      Nele bog zum schmucken Dorfplatz der überschaubaren Marktgemeinde ein, in der sie sich gerade befand. Hier waren bunte, mehrstöckige Wohnhäuser, die italienischem Baustil ähnlich waren. In einem davon sollte Paul heute wohnen. Sie parkte am Straßenrand und stieg zaghaft aus. Nele atmete tief durch, strich ihr Kleid glatt und begab sich zu der Türklingel, auf der sie Pauls Namen fand, und drückte sie diesmal etwas entschlossener. Im ersten Moment erkannte Nele Paul gar nicht, als er ihr mit Vollbart und sichtlich ungepflegt die Tür öffnete. „Paul?“, fragte sie unsicher.

      „Nele, bist du es wirklich?“, grinste er wie ein Honigkuchenpferd.

      „Ja, ich wollte dich besuchen“, sagte sie sichtlich verlegen. Sie wusste gar nicht, wie sie ihm ihre Anwesenheit erklären sollte. „Darf ich hereinkommen?“, ergänzte sie noch.

      „Ja, natürlich. Es ist halt nicht aufgeräumt, Besuch hatte ich nicht erwartet. Magst du etwas zu trinken?“

      „Gerne, ein Glas Wasser bitte!“ Nele folgte ihm in die Küche. Nicht aufgeräumt war deutlich untertrieben, das Geschirr von mehreren Tagen stapelte sich neben der Spüle. Der Esstisch bot gerade noch genügend Freiraum, dass sich eine Person setzen konnte, deshalb räumte Paul hastig ein paar Dinge weg, um weiteren Platz zu schaffen.

      Das Gespräch, das nun folgte, war durchaus nett, aber Nele fand dabei heraus, dass Paul nicht auf eigenen Beinen stand. Seine Eltern waren die Gönner seines Lebensstils. Seine einzige Beschäftigung war ein Internetcomputerspiel, tagein und tagaus. Paul ging praktisch nie vor die Tür, was sein mitleiderregendes Aussehen erklärte, aber das sagte Nele ihm natürlich nicht laut ins Gesicht. Essen erhielt er von den verschiedenen Lieferservices. Mutter und Vater schickten ihm einmal in der Woche eine Haushälterin, die das Notwendigste zusammenräumte, putze, Wäsche wusch und Besorgungen machte. Ansonsten hatten seine Eltern ihn komplett links liegen gelassen, sie waren enttäuscht von ihrem Sohn. Aber sie waren zu schwach, um ihm den Geldhahn und die Unterstützung zuzudrehen, schließlich war er ihr einziges Kind. Und Kind war auch die passende Bezeichnung, denn erwachsen war Paul eindeutig nicht geworden. Aber er dachte gar nicht daran, etwas zu ändern, gab selbst zu, dass er trotzig seinen Eltern gegenüber handelte. Paul tat Nele irgendwie leid, sie mochte ihn. Aber sie verstand nicht, wie man so leben konnte – einsam in einer Scheinwelt, abgeschnitten von der gesamten Außenwelt.

      „Du siehst nicht sehr gepflegt aus“, wagte sie sich doch noch vor, auch wenn es unhöflich war.

      „Ich weiß, es macht für mich keinen Sinn, zum Friseur zu gehen. Für wen denn? Es bekommt mich kaum jemand zu Gesicht“, antwortete er sichtlich geknickt.

      „Komm, du steigst jetzt unter die Dusche und wenn du fertig bist, schneide ich dir die Haare und rasiere dir diesen unmöglichen, langen Bart ab. Was sagst du dazu?“, fragte ihn Nele hilfsbereit.

      „Das ist sehr freundlich von dir, ich bin es gar nicht mehr gewöhnt, dass es jemanden kümmert, was mit mir los ist“, sagte Paul dankbar.

      Gesagt, getan.

      Bei ihren Gesprächen über gemeinsame Erinnerungen aus vergangenen Tagen verwandelte Nele Paul wieder in einen herzeigbaren Menschen. Es dauerte eine Weile, bis die vielen überschüssigen Haare am Kopf und im Gesicht gefallen waren. Als sie damit fertig war, war sie selbst überrascht, wie attraktiv er war. Paul bemerkte ihre Unsicherheit, nutze den Moment aus und umarmte Nele herzlich. Ihr blieb der Atem weg, als seine Lippen sich an die ihren näherten. Nele kämpfte mit sich selbst, sie sehnte sich nach einer innigen Berührung, zu lange war es her, dass sie Nähe spüren durfte. Aber da kamen ihr ihre beiden Söhne in den Sinn. Nein, sie durfte das nicht zulassen. Paul war nett, aber er hatte sein Leben nicht im Griff. Mit ihm wäre es, als müsste sie ein weiteres Kind versorgen und dazu reichte weder ihre Ausdauer noch ihre Energie. So drehte sie den Kopf zur Seite und ließ zu, dass er ihre Wange freundschaftlich küsste.

      „Tut mir leid, ich kann das nicht. Ich finde dich sehr sympathisch, aber mehr kann ich mir nicht vorstellen zwischen uns“, entschuldigte sich Nele.

      „Ja, du hast recht. Vielleicht sollte ich wirklich irgendwann mein Leben auf die Reihe bringen, sonst wird sich auch weiterhin keine Frau für mich interessieren“, seufzte er enttäuscht.

      Irgendwie bezweifelte Nele, dass Paul selbst seinen eigenen Worten Glauben schenkte. Auch wenn sie es ihm von Herzen wünschte, war das wahrscheinlich ein leerer Vorsatz, seine Gewohnheiten waren zu festgefahren. Sie bedankte sich aufrichtig für das gute Gespräch und verabschiedete sich. Es war schade, dass so einem netten Mann der Antrieb fehlte, aus seinem Leben etwas zu machen. Das Mitgefühl für Paul begleitete sie, als sie ging.

      Nele starrte liegend an die Decke. Langsam hatte sie das Gefühl, sich in ihrer Vergangenheit nur in Versager verliebt zu haben, obwohl zwei Personen natürlich nicht stellvertretend für die Männerwelt stehen konnten. Ihr war nach diesen Enttäuschungen umso deutlicher bewusst, wie sehr sie mit ihrem Ehemann Jan verbunden war – in allen Bereichen ihres Lebens. Sie vermisste ihn schmerzlich, als sie an diesem Abend im Bett lag. Sie hatte sich in einer kleinen Pension ein Zimmer genommen, um ihre ungewöhnliche Tour am nächsten Tag fortsetzen zu können. Es war leichter, jetzt nicht in den Alltag zurückzukehren, sonst würde Nele


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