Worte verletzen ... und Schweigen tötet. Karin Waldl

Worte verletzen ... und Schweigen tötet - Karin Waldl


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Gefängniszelle gar nicht so schlecht, da hatte ich wenigstens meine Ruhe. Dort konnte ich ungestört meine Geschichten schreiben, konnte in meiner Fantasie leben, die ich mir selbst zurechtlegte. Ich erfand leidenschaftlich gerne neue Welten, aber nur für mich allein. Früher zeigte ich diese Geschichten her, bekam aber nur Probleme damit. Die Menschen hassten mich schon immer, nannten mich böse. Aber das war mir trotzdem tausendmal lieber, als nicht zu verstehen, was mein Gegenüber dachte. Da war ich ein gebranntes Kind. Ich verzweifelte, wenn man mich im Dunklen ließ. Deshalb vertraute ich niemandem und wollte auch keinem Menschen begegnen. Denn: Worte verletzen ... und Schweigen tötet.

      *

      Kapitel 2

      Schweißgebadet wachte ich auf, mein Pyjama klebte nass auf meinem überhitzten Körper. Ich schlug die Decke zurück, damit ich wieder das Gefühl hatte, richtig durchatmen zu können. Ich hatte schlecht geträumt, aber ausnahmsweise hatten mich nicht meine eigenen Dämonen verfolgt. Ich versuchte, alles der Reihe nach zu ordnen, was da in meiner Fantasie vor sich gegangen war, so durcheinander war ich. Es kam mir vor, als wäre ich gerade aus einer anderen Realität aufgewacht. Ich erinnerte mich an jedes Detail meines Traumes. Ich träumte von einer Frau, die im Mittelalter als Hexe auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden war. Es wirkte so erschreckend echt, dass ich fast meinte, wirklich dabei gewesen zu sein.

      Mein Blick fiel auf den Roman mit dem scharlachroten Einband, den ich gerade las und der auf dem Nachttisch lag. Ich musste grinsen bei dem Anblick, denn er handelte von der irren Verfolgung einer vermeintlichen Magierin durch die Kirche im düsteren und trostlosen Mittelalter. Das Buch trug den einfachen Titel Zorn des Feuers. Mehr an Erklärung brauchte ich für mich selbst nicht, warum meine Fantasie im Schlaf mit mir durchgegangen war. Wie immer waren in meinem Kopf weitere gesponnene Geschichten über das entstanden, was ich gerade las. Es gab ein unaufhaltsames Eigenleben in meiner Fantasie, die scheinbar grenzenlos war. Diese Geschichten hatten aber etwas Gutes: Sie konnte mir keiner nehmen, denn meine Gedanken waren immer noch frei.

      Ich hatte den inneren Drang, meinen Traum von gerade eben aufzuschreiben. Ich griff zu meinem Papier und den Stiften, die ich immer parat hatte für Situationen wie diese.

      Und nun schrieb ich wie im Rausch der Emotionen darauf los. Ich schrieb und schrieb und schrieb, nur die Wärter unterbrachen den erzählerischen Fluss, in dem ich regelrecht feststeckte. Ich schrieb mir alles von der Seele, malte mir eine heile Welt aus, die ich selbst nie erfahren hatte und auch in Zukunft nicht erfahren würde.

      Stolz las ich nach stundenlanger Arbeit mein Werk durch:

      *

      Die Schönheit im Spiegel ihrer Seele

      Nele versuchte leise, die Kirche zu betreten, doch die rostigen Scharniere der schweren Eichentür knarrten unangenehm laut in der Stille des beeindruckenden Gotteshauses. Die von ihr verursachte kurze Unterbrechung der wohltuenden Ruhe legte sich bereits im nächsten Augenblick und Nele sog den angenehmen Duft der brennenden Kerzen in sich auf. Die Sonne schien bunt leuchtend durch die hohen Glasfenster mit den Darstellungen der biblischen Erzählungen, die an schönen Sommertagen wie diesen erst richtig zur Geltung kamen. Das hindurchströmende Licht reflektierte den aufgewirbelten Staub, der in der Luft tanzte.

      Nele machte vor dem Hochaltar, der in der Mitte Maria mit dem Jesuskind darstellte, eine Kniebeuge und setzte sich in eine der dunklen Holzbänke, um zu beten. Der Anfang fiel ihr unendlich schwer, denn sie war jahrelang nicht hier oder in einem anderen Gotteshaus gewesen, hatte seit sehr lange Zeit überhaupt kein persönliches Gespräch mit Gott geführt. Ihre Eltern gingen zwar oft mit ihr in den Gottesdienst, als sie noch ein kleines Kind war, aber ein schwerwiegendes Ereignis in ihrer Vergangenheit hatte ihr den Glauben an den Gott, der sie bis ins junge Erwachsenenalter begleitet hatte, genommen. Dieses einschneidende Erlebnis war das Ende ihres glücklichen Lebens gewesen. Sie seufzte traurig, als sie an die damaligen Ereignisse dachte, schwer lag ihr diese Vergangenheit auf dem Herzen.

      Nele lernte mit blutjungen zwanzig Jahren den gleichaltrigen Jan kennen. Ihr war von Anfang an klar, er war die Liebe ihres Lebens, und er empfand genauso für sie. Sie waren von Anfang an unendlich glücklich miteinander. Hals über Kopf heirateten die beiden, als sie sich gerade einmal zwei Jahre kannten, doch es fühlte sich alles goldrichtig an, es gab keine Zweifel, dass sie die richtige Entscheidung getroffen hatten. Der Segen Gottes, den der Priester damals über ihre Ehe aussprach, schien ungebrochen auf ihren gemeinsamen Bund zu liegen. Gott meinte es offensichtlich gut mit ihnen.

      Nur ein Jahr später wurde ihr gemeinsamer Sohn Samuel geboren. Zwei weitere Jahre später brachte Nele Jonas zur Welt. Beide Kinder waren gesunde und kräftige Jungen. In ihrer kindlichen Naivität stellten sie oft alles auf den Kopf, aber Jan und Nele verstanden es, sie liebevoll und mit der nötigen Strenge zu begleiten. Natürlich gab es auch ausgedehnte Durststrecken in ihrer Beziehung, es wäre gelogen, wenn man behaupten würde, dass alles perfekt gewesen wäre. Aber die Fehler, die in der frischgebackenen Familie immer wieder begangen wurden, waren kein Grund zum Aufgeben. Die schönen und glücklichen Momente überwogen eindeutig, das Negative war schnell wieder vergessen, wenn es überwunden war. Nele und Jan war bewusst, dass sie selbst und ihre Kinder auch nur Menschen waren. Deshalb war es ihnen wichtig, immer wieder einander zu verzeihen, wenn etwas schieflief, um den Zusammenhalt in der Familie nicht zu verlieren. Und das stärkte ihren Zusammenhalt noch mehr, im Großen und Ganzen waren sie glücklich und dieses Glück lag in der Schönheit der gemeinsamen Zeit, die sie gemeinsam erleben durften. Keiner hätte sich gedacht, dass es nicht für immer so weitergehen und alles ein so abruptes Ende nehmen würde.

      Aber es kam der Tag der unausweichlichen Veränderung. Jan hatte seit Wochen stechende Kopfschmerzen, die immer schlimmer und schlimmer wurden und kaum zu bändigen waren. So beschloss er, zum Arzt zu gehen, der ihn ins Krankenhaus überwies. Die Diagnose war erschütternd. Der Gehirntumor, der sich in seinem Kopf breitgemacht hatte, war operativ nicht zu entfernen, der Versuch hätte seinen sofortigen Tod bedeutet. Aber auch ohne OP blieb ihm nicht mehr viel Zeit. Schnell war klar, dass Jan in naher Zukunft sterben würde. Die gemeinsame Zeit auf dieser Welt mit seiner jungen Familie war nun ausweglos begrenzt auf wenige Monate. Nele war verzweifelt, ihre Söhne waren doch erst fünf und drei Jahre alt. Wie sollte sie das allein schaffen? Aber Jan redete ihr immer wieder gut zu, gab ihr das Gefühl, dass er an sie glaubte. Doch die Zeit glitt ihnen durch die Finger und war nicht mehr zu fassen. Viel zu bald, vier Monate nach der Diagnose, starb Jan. Das Ringen mit dem Tod war kräftezehrend für ihn, aber er schaffte es trotzdem, seinen Frieden mit Gott zu schließen, bevor er endgültig ging. Er schloss für immer seine Augen, als er gerade achtundzwanzig Jahre alt war.

      Nele war wütend über den Verlust ihrer großen Liebe und sich nicht mehr sicher, was sie glauben sollte. Wie konnte ihr ein liebender Gott den Vater ihrer beiden Kinder nehmen? Aus Zorn über diese Ungerechtigkeit beschloss sie, dem Glauben den Rücken zu kehren. Und diese ungebrochene Wut hatte sie in der Zeit, seitdem ihr Ehemann gestorben war, unaufhaltsam begleitet. Das war nun zwei Jahre her. Dieses negative Gefühl fraß sich so sehr in ihr Herz, dass sie kaum mehr Luft zum Atmen hatte, weil es ihr regelrecht die Brust zuschnürte.

      Jetzt hielt sie es nicht mehr aus, so verbittert zu sein, deshalb war sie in die Kirche gekommen. Nele erinnerte sich, wie wichtig Jan das gegenseitige Verzeihen gewesen war, und wusste, dass sie endlich ihren Frieden mit Gott schließen musste. Aber wie? Sie fand nicht die richtigen Worte, stattdessen saß sie in der Bank und weinte unaufhörlich. Die Tränen, die längst geweint hätten werden sollen, flossen ihr in Strömen über die Wangen.

      Beim Altar kniete plötzlich – wie von Zauberhand – eine verhüllte Frau. Sie hatte ein silberglänzendes Messer in der Hand und bearbeitete rücksichtslos die Oberfläche des wertvollen Kircheninventars, das von Künstlern aus dem Mittelalter stammen musste. Auch die Frau war so altertümlich gekleidet, als würde sie in dieser längst vergangenen Zeitepoche leben. Nele war verwirrt wegen dem, was sie sah, verängstigt blickte sie sich um. Irgendetwas stimmte hier doch ganz und gar nicht. Selbst das Gemäuer der Kirche wirkte plötzlich wie neu und war weit schmuckloser


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