Worte verletzen ... und Schweigen tötet. Karin Waldl

Worte verletzen ... und Schweigen tötet - Karin Waldl


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verliebt zu sein. Aber dich zu sehen und nicht haben zu können, würde mich wahnsinnig machen, bitte versteh das.“ Kaum hatte er die Worte gesprochen, drehte er sich weinend um.

      Nele murmelte eine weitere Entschuldigung und verließ wie ein geprügelter Hund den Laden. Die Liste war eindeutig eine schwachsinnige Idee, so viel stand jetzt fest, sie wollte niemandem wehtun damit, aber genau das hatte sie nun geschafft. Erneut zertrat sie die Hoffnung, die sie selbst in ihr Herz gesät hatte. Sie zweifelte schon wieder, ob sie sich am richtigen Weg befand. Enttäuscht kehrte sie nach Hause zurück. Heute hatte sie eindeutig mehr erfahren, als sie wissen wollte.

      Es war mittlerweile zwei Monate her, seitdem Nele den drei Männern von ihrer Liste einen Besuch abgestattet hatte. Es standen zwar weitere zwei Namen darauf, aber trotzdem lag das Stück Papier in einer Küchenlade wie ein unliebsam gewordener Gedanke, den man einfach wegsperrt, um nicht weiter darüber nachdenken zu müssen.

      Nele hatte gerade ganz andere Sorgen, ihre finanziellen Schwierigkeiten waren ihr über den Kopf gewachsen. Ihr Gehalt als Musiklehrerin reichte hinten und vorne nicht mehr aus, da sie wegen ihrer Söhne bis jetzt nur Teilzeit arbeitete. Aber ab sofort mehr in ihrem Job zu arbeiten, war unmöglich, denn mehr Stunden waren einfach nicht verfügbar. So sehr sie sich auch bemühte an einer anderen Musikschule zusätzlich unterrichten zu können, keiner stellte sie unter dem Schuljahr ein.

      Nele war wieder wütend auf Gott, sie hatte ihn um Hilfe gebeten, aber nun reichte ihr das Wasser bis zur Kehle und sie stand immer noch ganz allein da. Was dachte er sich bloß dabei? Konnten nicht endlich bessere Zeiten für sie anbrechen? War das zu viel verlangt nach allem, was sie durchgemacht hatte?

      Aus purer Verzweiflung sah sich Nele nun nach einem anderen Job um, der sich mit der Betreuung ihrer Kinder irgendwie vereinbaren ließ, aber das war gar nicht so leicht. Der entscheidende Tipp kam dann von ihrer Freundin Martha. Ausgerechnet in der Pfarre suchte man eine Haushälterin, da die Vorgängerin in Pension gegangen war. Nele beschloss, es einfach zu versuchen. Was hatte sie noch zu verlieren?

      Mit mulmigem Gefühl betrat sie das Pfarrhaus, zu lange war sie nicht hier gewesen. Zaghaft klopfte sie an der Tür des Büros an.

      „Herein“, hörte sie eine weibliche Stimme von innen.

      Nele atmete wie immer tief durch und betrat zögerlich die Kanzlei. Auf dem Schreibtischsessel saß eine hochschwangere Frau, die im selben Alter wie Nele sein musste. Freundlich sagte sie: „Ich bin Lisa, die Pastoralassistentin. Was kann ich für dich tun?“

      Nele war im ersten Moment verwirrt, sofort mit du angesprochen zu werden, aber als sie die freundliche Frau noch einmal anblickte, war sie sich sicher, dass dies nur ihrer Herzlichkeit zuzuschreiben war. Nele fühlte sich eigenartig wohl in Lisas Gegenwart. Trotzdem war sie unsicher in ihren Worten, so stotterte sie: „Ich bin wegen des Jobs als Haushälterin da.“

      Lisa seufzte erleichtert, ehe sie sagte: „Endlich, es ist wirklich mehr als dringend, diesen Posten zu besetzen. Es sind nur wenige Stunden in der Woche, da es nur darum geht, das Pfarrheim und die Kirche sauber zu halten. Eigentlich bräuchten wir auch dringend eine Sekretärin, da ich nur mehr zwei Wochen bis zum Mutterschutz habe und das Seelsorgeteam unserer Pfarre nicht auch das noch übernehmen kann. Ich bin ja schon heilfroh, wenn die Gottesdienste einigermaßen weiterlaufen.“

      „Wenn du möchtest, kann ich das Sekretariat auch übernehmen, also vorausgesetzt, meine Söhne sind hier willkommen. Ich bin eigentlich Musiklehrerin, aber seitdem mein Mann verstorben ist, schaff ich es nicht mehr mit den Finanzen und bin froh über jeden Zuverdienst“, gestand Nele.

      Mit der Reaktion der Pastoralassistentin hatte Nele nicht gerechnet, Lisa stand mit Freudentränen in den Augen auf und umarmte Nele. „Dich schickt der Himmel. Natürlich sind deine Söhne hier jederzeit willkommen. Mein Baby wird in Zukunft auch mitkommen, wenn ich nach dem Mutterschutz wieder ein paar Stunden arbeiten werde, aber das Sekretariat gehört dir, denn ich glaube nicht, dass ich mit meinem Kleinen, wenn es auf der Welt ist, mehr als geringfügig arbeiten kann. Also nur, wenn du damit einverstanden bist?“

      „Natürlich bin ich das“, freute sich Nele. Endlich lief einmal etwas glatt. Innerlich fiel ihr ein Stein vom Herzen, das zusätzlich Geld löste zumindest die finanziellen Probleme. „Sorry, Gott, und danke für deine Hilfe“, entschuldigte sich Nele still für die vorangegangenen Vorwürfe.

      Nele hatte sich schon nach kurzer Zeit gut im Pfarrheim eingearbeitet. Lisa und sie nutzten die wenigen Tage bis zu ihrem Mutterschutz, um alles ordnungsgemäß in Neles Aufgabenbereich zu übertragen, und es klappte im Großen und Ganzen gut. In dieser Zeit lernte Nele dann auch Noah kennen, Lisas Ehemann. Die beiden waren ein schönes Pärchen, freuten sich von ganzem Herzen über den Nachwuchs, der bald das Licht der Welt erblicken würde. Und Nele freute sich für die beiden, sosehr hatte sie Lisa in dieser kurzen Zeit ins Herz geschlossen, aber das beruhte eindeutig auf Gegenseitigkeit, sie verstanden sich einfach hervorragend.

      Auch Neles Söhne Samuel und Jonas hatten sich bereits daran gewöhnt, statt nach Hause zu fahren, gewisse Zeiten im Pfarrheim zu verbringen. Es war wie ein zweites Heim, in dem alle willkommen waren. Und das zauberte ein gutes, geborgenes Gefühl in Neles Herz. Auch wenn Lisa jetzt nicht mehr arbeiten durfte, hatten sie engen Kontakt und fieberten gemeinsam auf die Geburt hin. Und Lisa war es auch, die Nele wieder dazu brachte, sich für den Glauben an Jesus Christus zu interessieren. Denn Lisa wollte, dass Nele die Kinderliturgie übernahm. Einmal im Monat gab es im Pfarrheim einen Kinderwortgottesdienst, bei dem es möglich war, im Sitzkreis ganzheitlich mit den Kindern zu arbeiten mit Liedern, Bildern und vielen Bewegungen, damit die Kleinen mit ganzem Herzen mitfeiern konnten. Nele gefiel diese lockere und spielerische Art, mit der Lisa den Kindern die Geschichten aus der Bibel erzählte und mit viel Gefühl die Herzen der Kinder für Gottes Liebe öffnete. Nele war über alle Maßen wissbegierig und löcherte Lisa mit Fragen, den schon beim nächsten Gottesdienst mit den Kindern musste sie allein zurechtkommen, aber sie freute sich darauf, das war eine neue Herausforderung. Und schließlich war es nicht viel anders als ihre Arbeit als Musiklehrerin, hier galt es auch, die Kleinen zu begeistern, damit sie mit Freude ihr Instrument lernten, in Neles Fall das Klavierspielen.

      Nele las nun auch ab und zu wieder für sich in der Bibel. Als sie die Geschichten über Jesus las, verstand sie ihren verstorbenen Mann besser, was seinen unerschütterlichen Glauben betraf. Sie verstand nun, dass sein Tod niemals eine Strafe gewesen war, sondern wahrscheinlich eine Erlösung von seiner Erkrankung. Im Himmel gab es keine Schmerzen für Jan mehr. Nele verstand wieder, wie wichtig Gottes Liebe war. Wie ein kleines Kind saugte sie diese kostenlos geschenkte Zuneigung auf. In ihrem Herzen wuchsen die Hoffnung und der Wunsch, diese Liebe auch wieder weitergeben zu können. Dankbarkeit erfüllte sie, denn Gott ließ ihre Wunden heilen. Es tat Nele gut, endlich wieder den Boden unter den Füßen zu spüren.

      Als endlich das Finanzielle durch die erfüllende, neue Arbeit gefestigt war, regte sich der Wunsch nach einem Mann erneut bei Nele. So kramte sie abermals unsicher die Liste hervor und las den nächsten Namen darauf: Frederic.

      Kurz entschlossen engagierte Nele wieder Martha als Babysitterin und machte sich auf den Weg. Es war leicht, Frederic im Internet zu finden, denn er war der Erbe eines Familienunternehmens, eine über das Land hinaus bekannte Konditorei mit verschiedenen Standorten.

      Nele kannte Frederic von einem Sommerlager, eine musikalische Freizeit für Jugendliche. Es war damals eine kurze Romanze zwischen den beiden entbrannt. Der allererste Kuss ging auf sein Konto. Musizieren wurde in seiner Anwesenheit zur Nebensache, so verliebt war sie gewesen. Doch zurück zu Hause, war das Ganze nach einigen Monaten und vielen verschickten Briefen wieder vergessen, die Entfernung war einfach zu weit. Damals waren fünfzig Kilometer ein unüberbrückbares Hindernis.

      Nele stieg, am Ziel angelangt, aus dem Auto aus. Staunend betrachtete sie das riesige Kaffeehaus mit der dazugehörigen Backstube, die die anderen Filialen der Konditorei täglich belieferte und durchaus einen angesehenen Bekanntheitsgrad besaß. Schüchtern trat sie ein und bestellte sich Kaffee und Kuchen. Als die Kellnerin beides brachte, erkundigte sich Nele vorsichtig nach dem Chef des Hauses und ob er zu sprechen wäre. Die Kellnerin versicherte ihr, dass er da sei, aber sie


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