Zwillinge. Lotte Dalgaard
und Kugelschreiber, um die Angaben des Mannes aufzuschreiben. Zuallererst dachte sie, dass all das wenig hilfreich sei und der Anrufer nur Aufmerksamkeit erregen wollte, schließlich waren bereits acht Tage vergangen, seitdem die Mädchen verschwunden waren. Dennoch musste sie Nachfragen stellen, um herauszufinden, ob er nicht doch mit nützlichen Informationen für die Nachforschungen aufwarten konnte. Sie nahm seine Daten auf und bat ihn fortzufahren.
„Ich war auf dem Heimweg von meiner Freundin in Tikøb, ich musste früh raus, um einen Flug nach Schottland zu bekommen. Darum bin ich bei meiner Freundin um kurz vor 9 Uhr losgefahren und habe noch einen Zwischenstopp bei meinem Bruder im Endrupweg gemacht, um mir einen Schlafsack zu holen. Das dauerte einige Minuten und dann bin ich von da wieder losgefahren. Ich sah zwei Mädchen, die ihre Fahrräder schoben auf dem Weg in Fredensborg, wo dieser Taxifahrer wahrscheinlich auch das Handy gefunden hat.“
„Ecke Wäldchenhügel und Christ Boecksweg?“
„Ja, also ich kenne die Straßennamen nicht, aber die Mädchen gingen am Wegesrand. Das war kurz, nachdem ich aus dem Kreisel gefahren kam.“
„Wie spät war es?“, fragte die Polizistin und nahm einen Schluck von ihrem Tee.
„Ich habe nicht auf die Uhr gesehen, aber ich bin um kurz vor 9 Uhr bei Tina losgefahren, also war ich so gegen kurz nach bei meinem Bruder. Er gab mir den Schlafsack und wir haben noch kurz gequatscht. Dann bin ich los… Es wird so ungefähr Viertel nach gewesen sein, als ich die Mädchen sah.“
„Also 21.15 Uhr?“, präzisierte die Polizistin.
„Ja, ungefähr“, sagte Jan Sörensen und erklärte, dass er die ganze Woche durch Schottland gewandert sei. Er wäre um 13.30 Uhr in Kastrup gelandet, heimgefahren und hätte am Computer die Nachrichten der letzten Woche gelesen. Darum riefe er so spät an.
Die Wachthabende schätzte Jan Sörensens Angaben als glaubwürdig und wichtig ein. Außerdem hatte sie während des Gesprächs seine Personennummer überprüft und nichts gefunden. Sie sagte ihm, dass sie ihm Beamte für eine formelle Zeugenaussage vorbeischicke.
„Okay, ich bin zu Hause“, antwortete Jan Sörensen und legte auf.
Daheim in dem kleinen, zweistöckigen Fischerhaus, das er von seiner Mutter geerbt hatte, die fünf Jahre zuvor verstorben war, öffnete Jan Sörensen die Fenster in der Stube und genoss den frischen Wind, der ihm entgegenschlug. Er konnte das leise Plätschern des ziemlich ruhigen Öresunds hören, der auf der anderen Straßenseite lag und leise an den schmalen Strand schlug.
Jan Sörensen legte Holz in den Ofen und heizte ihn ein. Er machte auch einige Teelichter an und setzt Kaffee auf. Er hatte keine Milch im Kühlschrank. Er brauchte selbst keine und hatte keine Gäste erwartet. Wenn seine Freundin kam, sorgte er immer dafür, dass er Milch da hatte für ihren Kaffee und ihr morgendliches Müsli. Die tolle Tina aus Tikøb, die er über eine Datingseite vor einem halben Jahr kennengelernt hatte. Er musste lächeln und fühlte sich wie der glücklichste Mann auf Erden. Morgen würde Tina nach der Arbeit zu ihm kommen. Heute Abend war sie auf dem Geburtstag ihrer Mutter in Næstved und schlief dort. Aber glücklicherweise hatte sie am nächsten Tag früh Feierabend, also wäre sie bereits gegen 3.00 Uhr bei ihm. Er selbst hatte noch frei bis Montag. Und jetzt konnte er der Polizei vielleicht ein Stück weiterhelfen bei den Ermittlungen zu den vermissten Mädchen. Jan Sörensen fand noch eine Packung Cookies im Küchenschrank und legte sie in eine Bambusschale. Später würde er sich eine Pizza bestellen.
20 Minuten später klopften zwei Polizisten an seine Tür und Jan Sörensen wiederholte seine Angaben, während die Polizisten mitschrieben. Der eine lehnte Kaffee und Tee dankend ab, bat aber um ein Glas Wasser und nahm sich einen Cookie aus der Schale. Der andere trank schwarzen Kaffee und rührte das Gebäck nicht an. Jan selbst wärmte seine Hände an einer Tasse Tee und hoffte, dass seine Angaben der Polizei helfen könnten.
Er erzählte noch einmal die sparsamen Beobachtungen, die er an jenem Abend gemacht hatte und der eine Beamte fragte, warum er sich überhaupt erinnern konnte, die zwei Mädchen gesehen zu haben. Es war schon eine Weile her.
„Es war dunkel und ich sah sie ihre Fahrräder am Wegesrand schieben, also dachte ich, dass sie vielleicht Hilfe bräuchten. Ich dachte darüber nach anzuhalten, aber sie waren ja zu zweit und Kinder in dem Alter haben doch Handys heutzutage, also bin ich doch weitergefahren. Ich sah die Mädchen im Rückspiegel reden und lachen, da dachte ich, es sei alles in Ordnung. Ich hatte außerdem noch einiges zu packen für meine Reise.“
Der eine Beamte notierte sich das alles, während der andere seinen Kaffeebecher leerte und Jan für seine Zeit dankte.
„Wir kommen vielleicht noch einmal auf dich zurück. Und du darfst dich auch immer melden, wenn dir noch etwas einfällt. Alle Details, auch die noch so kleinen und scheinbar unbedeutenden, können wichtig sein.“
Jan nickte und versicherte den Beamten, sich zu melden, wenn ihm noch etwas einfiele, das der Polizei vielleicht helfen könnte.
Als die Polizisten gegangen waren, räumte Jan auf und schrieb eine SMS an Tina.
„Hej Schatz. Hoffe, ihr habt es nett. Freu mich schon, dich morgen zu sehen. Kuss.“
Er grinste vor sich hin und musste an ihren Abschiedssex von letzter Woche denken. Sie meinte, er müsse noch mal geleert werden, damit er bei seinen Wanderungen nicht so viel zu schleppen habe. Sie war schon versaut und während er in seinen Gedanken den ganzen Akt noch einmal durchspielte, ihr Gesicht, vor Lust verzogen, ihr Stöhnen und ihr fester Griff um seine Eier, öffnete er seine Hose und dachte, er könne es sich noch eben selbst besorgen, bevor er eine Pizza bestellte.
Jan hatte gerade seine Hose geschlossen und sah sich die Pizzakarte an, als sein Telefon klingelte. Es war Tina, die die Gesellschaft kurz verlassen hatte und ins Schlafzimmer ihrer Mutter gegangen war.
„Ich wollte eben deine Stimme hören“, sagte sie, obwohl sie bereits zweimal telefoniert hatten, seit er gelandet war.
Jan erzählte ihr vom Besuch der Polizisten und seinen Beobachtungen auf dem Heimweg von ihr aus der Woche zuvor.
„Ach du Scheiße! Stell dir mal vor, dass du vielleicht der Letzte warst, der die beiden lebend gesehen hat!“
„Es hat ja keiner gesagt, dass sie tot sind.“
„Nein, aber ganz ehrlich. Was glaubst du, wie stehen die Chancen, dass die beiden noch leben, nach über einer Woche?“
„Ich weiß nicht… Aber man kann doch hoffen.“
„Da wäre ich mir nicht so sicher. Was wäre schlimmer? Tot sein oder die Hölle durchleben, in den Händen irgendeines Irren? Wie diese Natascha Kampusch…“
„Ja, also… So habe ich das noch nicht gesehen. Aber alles ist wohl besser als tot zu sein?“
„Auch da bin ich mir nicht so sicher. Aber lass uns nicht diskutieren, ich muss wieder zurück und helfen, es gibt gleich Kaffee und Kuchen. Wir sehen uns morgen, Schatz.“
Sie beendeten das Gespräch und jetzt war Jan wirklich hungrig. Er bestellte eine Castello mit extra Chili und dachte darüber nach, was Tina gesagt hatte. Dass er womöglich der Letzte gewesen war, der die Mädchen lebend gesehen hatte. Sollte er sich an die Presse wenden? Je mehr Aufmerksamkeit, desto besser. Er ging noch einmal auf die Homepage der RN und fand einen der Artikel zu der Sache. Line Lyng hieß die Journalistin, die ihn verfasst hatte. Er entschied sich, sie am nächsten Morgen anzurufen.
Bevor er zu Bett ging, machte er sich einen Vanilletee. Er setzte sich in den Schein des Kaminfeuers und sah hinaus auf den schwarzen Öresund. Zum ersten Mal kam ihm der Gedanke, ob er die beiden Mädchen hätte retten können, wenn er an dem Abend angehalten hätte. Aber hinterher war man immer schlauer, es nützte nichts, sich darüber jetzt den Kopf zu zerbrechen.
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