Deutschland, Startup!. Andreas Haug

Deutschland, Startup! - Andreas Haug


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und ihre disruptiven Ideen, die wir in diesem Buch vorstellen, Vorbilder und Triebkräfte sein. Sie stellen unter Beweis, dass digitale Erfolgsgeschichten nicht nur in den USA und in Fernost geschrieben werden, sondern sehr wohl auch in Deutschland. Überdies verkörpern diese jungen Menschen einen eigenständigen, europäischen Gründertypus, der sich deutlich von den amerikanischen und asiatischen Digitalhelden unterscheidet. Auch deshalb sollten unsere Gründer viel höher geschätzt und von uns besser unterstützt werden. Sie treiben die digitale Transformation unseres Landes voran. Und sie sind es, die unsere freiheitlichen, unternehmerischen Werte stärken und im globalen Wettbewerb zur Geltung bringen können.

      Es ist Zeit, dass klassische Unternehmer, Gründer, Manager und Investoren sich zusammenschließen. Und die Politik mitmacht. Damit Disruption nicht nur zu Zerstörung führt, sondern zum Aufbruch in eine neue nachhaltige Ära für uns alle. Es geht um unsere Zukunft. Es geht um unsere Wettbewerbskraft. Und es geht um unser europäisches Wertesystem.

      Es geht ums Ganze! Dieses Buch ist deshalb nicht das hundertste Reparaturbuch der alten, sondern eine erste Galerieansicht der besten Gründer für die neue Bundesrepublik!

      Triple D – Disruption, Daten und Digitalwirtschaft

      Beginnen wir mit einer kritischen Bestandsaufnahme. Was hat es mit diesen drei D-Wörtern, mit dem Triple D, wie wir es nennen, auf sich? Welche Veränderungen sind damit verbunden? Wie ist Deutschland darauf vorbereitet? Wie tickt die digitale Gründerelite unseres Landes? Wie kann sie ihre disruptiven Kräfte künftig besser zur Entfaltung bringen? Und welche Sturzwelle rollt da überhaupt auf uns zu?

      Das Wort »Disruption« stammt vom lateinischen »disrumpere« ab und bedeutet »zerstören,« »aufbrechen«, im erweiterten Sinn auch stören, unterbrechen, sprengen. Als disruptiv werden grundlegende Innovationen bezeichnet, die traditionelle Geschäftsmodelle, Produkte und Dienstleistungen durch neuartige, meist digitale Konzepte verdrängen. Dabei werden herkömmliche Marktgesetze demontiert und alteingesessene Unternehmen in ihrer Existenz bedroht.

      Der amerikanische Harvard-Professor Clayton M. Christensen hat den Begriff für die Ökonomie entwickelt und geprägt. In seinem Buch The Innovator’s Dilemma beschrieb er bereits 1997 die Zwangslage, in die etablierte Konzerne und ihre Führungskräfte durch disruptive Technologien geraten. Hatten die Traditionsunternehmen einst mit eigenen Innovationen den Markt erobert, werden sie plötzlich von datengetriebenen Startups angegriffen, die vorher als Nischenplayer kaum bedrohlich schienen. Im Gegensatz zu den etablierten Unternehmen haben diese Startups wenig zu verlieren, aber viel zu gewinnen. Ihre Taktik: Sie drängen sich mit intelligenten digitalen Anwendungen zwischen die Konzerne und ihre Endkunden, übernehmen Kontrolle und Analyse der Datenströme und schaffen Angebote, die für die Kunden nutzwertiger als die Produkte und Services der Platzhirsche sind. Sie denken in Lösungen aus der Kundenperspektive und nicht in Produktionsprozessen.

      Das Dilemma der Etablierten besteht nun darin, dass sie diesem Angriff hilflos ausgeliefert sind. Sie können sich nicht einfach neu erfinden, weil sie damit ihr Kerngeschäft gefährden und ihre Stammkunden brüskieren würden. Tun sie allerdings nichts und machen weiter wie gewohnt, dann werden sie von den datengetriebenen Angreifern früher oder später zur Strecke gebracht. Das Ende der Traditionalisten ist, wie Christensen seinerzeit folgerte, nicht zu verhindern. Inzwischen hat sich seine beängstigende Prophezeiung für immer mehr Unternehmen bewahrheitet. Zu den Opfern zählen einst erfolgreiche Unternehmen wie Kodak, Polaroid und Sun Microsystems oder hierzulande Quelle und Neckermann. Selbst Technologieriesen wie Sony und Nokia oder HP und Dell straucheln bedrohlich.

      Die digitalen Innovationen von heute treiben weniger den kontinuierlichen Wandel als vielmehr den jähen Umbruch. Zudem handelt es sich bei den revolutionären Neuerungen der Digitalwirtschaft meistens nicht um Technologien oder Produkte, sondern um innovative Geschäfts- und Netzwerkmodelle, die ganze Branchen auf den Kopf stellen, neue Marktordnungen hervorbringen und ökonomische Macht umverteilen. Die Innovationen der Digitalwirtschaft erschüttern herkömmliche Wirtschaftsstrukturen also fundamental. Und die größte disruptive Sprengkraft birgt ihr zentrales Geschäftsmodell – die Plattformökonomie.

      Die Kraft der virtuellen Marktplätze

      »Alles, was digitalisiert werden kann, wird digitalisiert«, hat Carly Fiorina, die frühere Chefin von Hewlett-Packard, schon 2009 vorausgesagt. Noch ist schwer vorstellbar, dass Stahlproduktion, Braunkohleförderung oder die Seeschifffahrt in Algorithmen zerlegt und als Plattformen neu aufgebaut werden. Doch keine Branche sollte sich in Sicherheit wiegen, auch nicht die gute alte Seeschifffahrt. Wie zuvor schon die Medienwelt, der Einzelhandel und das Touristikgewerbe befindet sich auch das Logistik- und Transportwesen im Auge des digitalen Sturms. Flexport etwa ist eine technologiebasierte Containerspedition, die bereits weltweit eine digitale Abwicklung der gesamten Logistik im See-, Luft-, Straßen- und Schienentransport bietet. Was gestern ökonomisch noch undenkbar schien, ist heute Realität. Flexport besitzt weder Schiffe noch Flugzeuge, Güterzüge oder Lastwagen und zählt doch zu den am schnellsten wachsenden globalen Transportunternehmen. Auch Amazon hat Logistik zu einem zentralen Wachstumssegment erklärt und investiert Milliarden. Das gleiche Prinzip gilt für prominente Wachstumsgiganten wie Airbnb, Uber, Alipay, Facebook & Co.: Sie erobern in ihren Branchen den Weltmarkt, obwohl sie die dafür bislang nötigen Wirtschaftsgüter gar nicht besitzen.

      Plattformunternehmen definieren die Spielregeln der Wertschöpfung neu. Das klassische Pipeline-Modell mit linearer Wertschöpfungskette vom Hersteller der Produkte oder Dienstleistungen zum Kunden wird abgelöst von netzartigen Geschäftsmodellen, die Angebot und Nachfrage auf einem virtuellen Marktplatz zusammenführen und Interaktionen ermöglichen.

      Auf diesen Plattformen sammeln die Betreiber alle verfügbaren Daten über die Nutzer und deren Transaktionen. Damit erhalten sie ein persönliches Bild der Akteure, das detailliert Auskunft über deren Verhalten, Bedürfnisse und Präferenzen gibt. Diese Daten sind der Rohstoff für die Wertschöpfung der Plattformbetreiber. Und natürlich teilen sie ihr Wissen über die Nutzer nur ungerne mit den Anbietern der physischen Produkte. So erringen sie dank ihrer Algorithmen und Datenanalysen einen immer größeren Wettbewerbsvorteil gegenüber den traditionellen Herstellern.

      Dabei werden auch die Rollen neu verteilt. Die herkömmlichen Produkthersteller werden vom Markenanbieter zum Lieferanten degradiert. Und ihr wertvollstes Kapital, der direkte Kundenzugang, fällt in die Hände der digitalen Wettbewerber. Diese kontrollieren – sofern austauschbar – auch die Auswahl der Zulieferer. Letztlich können die klassischen Hersteller froh sein, überhaupt noch im Markt mitzuwirken. Denn erst werden sie herabgestuft und dann sogar überflüssig.

      Fatal ist auch, dass der Großteil ihres Unternehmenswerts zum Plattformbetreiber wandert. Damit verlieren die traditionellen Anbieter die Kontrolle über die Marge. Für den Aufbau einer eigenen Plattform ist es meistens zu spät. Der Zug ist längst abgefahren, die traditionellen Manager haben den Anschluss verpasst. Selbst gestandene Traditionshäuser geraten in die Bredouille, obwohl sie ihr Angebot schon digitalisiert haben. Was ihnen wenig nützt, da ihr Geschäftsmodell nach wie vor nach dem analogen Pipline-System funktioniert. Spiegel oder FAZ etwa beschäftigen Hunderte Redakteure, recherchieren und verifizieren die Fakten, kaufen Papier, lassen es bedrucken, liefern die Magazine und Zeitungen an ihre Abonnenten aus und buhlen um Werbegelder. Twitter, Facebook, YouTube oder TikTok hingegen programmieren eine Plattform, schaffen eine Umgebung, in die Nutzer eigene Inhalte einstellen und sich mit anderen vernetzen können, werden so ohne eigene Redakteure zu quantitativ führenden Contentkonzernen der Welt und entziehen den traditionellen Medien den größten Teil der Werbegelder. Man mag über Qualitätsfragen streiten und diese Entwicklung ungerecht finden, sie ist aber nicht mehr zu stoppen. Der simple Grund: Es gibt einfach kein besseres Geschäftsmodell – kundengetrieben, beliebig skalierbar, kosteneffizient und hochprofitabel!

      Warum Plattformen den Wettbewerb für sich entscheiden

      Auf den ersten Blick scheint die Strategie der Plattformbetreiber regelrecht unfair: Sie lassen die klassischen Hersteller mit der kostenintensiven Produktion ins Risiko gehen, streichen selbst aber ohne großen Aufwand den Löwenanteil der Gewinne ein.

      Nüchtern betrachtet, wird der Vormarsch


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