Deutschland, Startup!. Andreas Haug

Deutschland, Startup! - Andreas Haug


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haben also keine Sicherheiten und können daher die traditionellen Finanzierungsvoraussetzungen nicht erfüllen. Deshalb werden Startups in der Regel durch Venture Capital – also Risikokapital – finanziert.

      Venture-Capital-Gesellschaften sammeln Geld bei Investoren ein und legen damit Fonds auf, aus denen die Startups finanziert werden. Im Gegenzug erhalten die Kapitalgeber Anteile an den Jungunternehmen. Außerdem unterstützen sie diese mit ihrer Managementerfahrung und helfen mit ihren Netzwerken beim Aufbau von Geschäftsbeziehungen.

      Die Finanzierung mit Risikokapital beginnt sich hierzulande allerdings erst zu etablieren – bei relativ schlechten Ausgangsbedingungen. Aus regulatorischen Gründen ist es Banken in Deutschland bisher nicht möglich, entsprechende Finanzierungsinstrumente für innovative Startup-Firmen anzubieten. Auch große Anleger wie Versicherungen, Pensionskassen oder Stiftungen können nicht ohne Weiteres in Startups investieren, weil sie ihr Geld mündelsicher anlegen müssen.

      Wie wichtig aber die umfassende Verfügbarkeit von Risikokapital für eine Volkswirtschaft ist, zeigt der Erfolg von Weltkonzernen wie Apple, Google oder Microsoft, die anfangs alle mit Venture Capital finanziert wurden. Die Summen, die weltweit in Startups fließen, sprechen für sich: Während in den USA 2019, also vor der Corona-Krise, insgesamt 100 000 Milliarden US-Dollar Risikokapital investiert wurden und in China knapp 50 Milliarden US-Dollar, waren es in Europa insgesamt 25 Milliarden US-Dollar, davon in Deutschland 6,89 Milliarden US-Dollar. Das war immerhin rund ein Drittel mehr als im Jahr zuvor, aber viel zu wenig, um im globalen Wettstreit der aufstrebenden Gründer vorne mitspielen zu können.

      Dass Deutschland in Sachen Risikokapital im internationalen Vergleich noch viel Luft nach oben hat, zeigt besonders die Zahl der sogenannten Unicorns. So werden Startups genannt, die ohne vorherigen Börsengang einen Marktwert von einer Milliarde US-Dollar überschreiten. Weltweit errangen 2019 insgesamt 110 Startups diesen Titel, zwei Drittel davon US-Unternehmen. Deutschland zählte in diesem Jahr insgesamt nur neun Einhörner.

      Zwei Gründer, die es dank üppiger Finanzierung mit Risikokapital oder Finanzierung aus der etablierten Industrie in diesen Olymp der Startups geschafft haben, werden wir in diesem Buch vorstellen – Tim Sievers und sein Unternehmen Deposit Solutions sowie Tarek Müller, Gründer der Modeplattform About You. Doch die große Mehrheit der Gründer finanziert das Wachstum ihres Startups nach wie vor mit eigenen Ersparnissen, staatlichen Fördermitteln oder dem Geld ihrer Familien und Freunde (»Fools, Friends and Familiy«).

      Wir müssen ehrlich sein: Mitunter hängt dem Begriff Risikokapital immer noch der schlechte Ruf nach, den sich die Branche während des New-Economy-Booms um die Jahrtausendwende eingehandelt hat. Zu Unrecht, auch wenn in der damaligen Euphorie der eine oder andere Venture-Kapitalist etwas leichtfertig investiert hat. Doch diese Zeiten sind vorbei. Heute fließt Risikokapital nur, nachdem die Zukunftsfähigkeit oder zumindest das Entwicklungspotenzial eines Startups umfangreich geprüft wurde. Dabei setzen die Kapitalgeber weniger auf die Geschäftsidee als vielmehr auf die Menschen. Sie interessiert vor allem die Durchsetzungs- und Innovationskraft der Gründer und die scharfsichtige Umsetzung ihrer Idee. Startups müssen wie Schnellboote agieren, die Klippen umschiffen und ständig den Kurs dem Markt anpassen. Hier haben Teams gegenüber Solo-Gründern den Vorteil, dass unterschiedliche Fähigkeiten aufeinandertreffen und mehr Schlagkraft erzeugen. Die Venture-Kapitalisten sehen daher sehr gerne Gründerteams mit komplementären Fähigkeiten – etwa Betriebswirtschaft, Kommunikationsfertigkeiten und profundem Technologieverständnis.

      Doch selbst bei optimalen Ausgangsbedingungen bleiben die Erfolgsaussichten der Gründer schwer kalkulierbar. In einem Startup gibt es unzählige Risikofaktoren. Das Gründerteam kann sich zerstreiten, die Finanzierung platzen, das Produkt zum Ladenhüter werden, ein neuer Konkurrent das eigene Projekt verdrängen oder, wie jüngst, ein Virus komplette Märkte kollabieren lassen. Jedes Startup ist ein Experiment mit ungewissem Ausgang. Für die Geldgeber kann sich der Einsatz trotzdem lohnen, denn sie gleichen das große Ausfallrisiko mit hohen Gewinnchancen aus. Die Aussicht auf Rendite ist aber nicht der einzige Grund, warum sich Investoren für Startups interessieren. Durch ihr Investment erhalten sie wichtige Einblicke in die digitale Wirtschaft und Kontakte zu jungen Gründern und Innovatoren. Diesen Weg nutzen etablierte Unternehmen wie die Otto Group, Porsche oder Oetker, um rechtzeitig zu erkennen, was in der digitalen Welt passiert und welche neuen Geschäftsmodelle oder Konkurrenten in ihren Märkten entstehen.

      Unterm Strich ist es also zwingend, dem Thema Risikokapital mehr Aufmerksamkeit zu widmen. Umkehr ausgeschlossen! Die digitale Erneuerung der Wirtschaft wird sich enorm beschleunigen, wenn unsere Gründer genügend finanziellen Treibstoff für die Zündung ihrer Ideen bekommen. Und Venture-Kapitalisten sorgen mit ihrer Professionalität dafür, dass diese Mittel in die aussichtsreichsten Unternehmungen fließen. Sie investieren bevorzugt in Startups, die disruptive Geschäftsmodelle für globale Märkte verfolgen, Geschäftsprozesse oder Produkte optimieren und intelligente Services für den Kunden schaffen. In Gründer also, die das Potenzial haben, die Welt, in der wir leben, positiv zu verändern, von traditionellen Geldgebern aber kein Kapital erhalten.

      Für ein gründerfreundlicheres Deutschland

      Traurig, aber wahr: Laut einer Untersuchung der Weltbank zu den Bedingungen für Gründer landet Deutschland auf Platz 114 von 190 Volkswirtschaften. Auch bei einer Studie der OECD und der Bertelsmann Stiftung, die weltweit die Anziehungskraft von Ländern für Hochqualifizierte vergleicht, steht Deutschland nur auf Platz 12. Die attraktivsten OECD-Länder für Toptalente sind Australien, Schweden, Schweiz, Neuseeland und Kanada, dicht gefolgt von Irland, USA, Niederlande, Slowenien und Norwegen. Das sind die Top 10. Ein Grund für das schlechte Abschneiden Deutschlands besteht übrigens darin, dass Abschlüsse auf dem Arbeitsmarkt häufig nicht richtig anerkannt werden.

      Die Ergebnisse müssen beunruhigen, hängt die Zukunftsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Deutschland doch maßgelblich von jungen Gründern ab, die mit ihren Ideen die digitale Transformation des Landes vorantreiben. Ihre Prosperität sichert unseren künftigen Wohlstand und unsere europäischen Werte. Damit verteidigen sie uns gegen amerikanischen Turbokapitalismus und asiatischen Überwachungszentralismus. Wir sollten nicht tatenlos zusehen, wie uns die digitalen Megakonzerne aus Übersee die Spielregeln diktieren, sondern jene Gründer tatkräftig unterstützen, die faire und nachhaltige Geschäftsmodelle aufbauen. Daher sollten Gesellschaft und Politik sagen: Ja, wir verbessern unseren Standort für Gründer und bieten ihnen mehr Möglichkeiten und Ressourcen. Was wir konkret dafür brauchen:

      •Die beste digitale Ausbildung an Schulen und Universitäten sowie eine frühzeitige Förderung der Unternehmer- und Gründermentalität, außerdem eine Kultur des lebenslangen Lernens, die fest in der Kultur der Unternehmen und der Gesellschaft verankert ist.

      •Mehr Zusammenarbeit auf Augenhöhe zwischen etablierten Unternehmen und Startups: inklusive der Etablierung eines leistungsfähigen und branchenübergreifenden Plattformökosystems für Innovation.

      •Weniger Kapitalrestriktionen, etwa durch die Möglichkeit für Versicherungen, auch in Venture Capital zu investieren, zudem die Förderung der Aktien- und Beteiligungskultur innerhalb der Bevölkerung.

      •Innovative Mitarbeiterbeteiligungsmodelle, die nicht an Steuerhürden scheitern, sondern diejenigen am Erfolg teilhaben lassen, die an der digitalen Transformation mitwirken.

      •Gründergeist als gesellschaftliches Leitbild verankern und unternehmerischen Erfolg wohlwollend anerkennen, diesbezüglich müssen wir die gesellschaftliche Wahrnehmung von Scheitern als Erfolgsfaktor fördern.

      •Mehr Aufklärung zur digitalen Transformation, damit die Menschen ihre Angst und ihr Misstrauen überwinden.

      •Städte bauen, in denen die digitale Elite und die Gründer gerne wohnen wollen, mit Co-Working-Spaces, Fahrradwegen, schnellem WLAN, vielfältigem Kulturangebot und guten Kneipen.

      •Mehr Pragmatismus und weniger Verzagtheit in der Politik.

      •Bewegungsräume mutig ausnutzen und groß denken.

      •Bürokratie abbauen und die Verwaltung digitalisieren.

      •Das beste Zuwanderungsgesetz, damit der Standort Deutschland


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