Hart's Bay: Wo unsere Zukunft beginnt. E. P. Davies

Hart's Bay: Wo unsere Zukunft beginnt - E. P. Davies


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Letzte, was Rain wollte, war, vor einem Fremden zusammenzubrechen. Er hatte die vage Ahnung, dass es dazu kommen würde, wenn sie das durchzögen – seine erste wirklich interessante Verabredung seit der Trennung.

      »Tja… Scheiße.« Wenigstens klang Clay nicht wütend. Nur frustriert.

      Ein Lächeln legte sich um Rains Lippen. Er wusste, was Clay meinte. »Ja. Geht mir auch so. Ich verschwinde besser«, fügte er mit abgewandtem Blick hinzu.

      Wenigstens waren sie noch vollständig bekleidet. Kein Umherkriechen auf der Suche nach verlorenen Socken oder der Versuch herauszufinden, wem welches T-Shirt gehörte. Es dauerte nicht lange, an der Tür seine Schuhe einzusammeln und aus der Wohnung zu flüchten, um seinen Wagen zu erreichen.

      Er stand draußen auf der Straße. Ein kleines, unscheinbares Auto, das sich zu den anderen in diesem Vorort von… wo zum Teufel er auch war… gesellte.

      Rain konnte nicht richtig denken und sein Gehirn half ihm gerade mal mit dem Bundesstaat aus: Oregon. Es fühlte sich zu sehr nach Colorado an; nach dem Ort, von dem er vor ein paar Monaten geflohen war.

      Bis er sein Auto erreicht hatte, gelang es ihm, seine zitternden Hände unter Kontrolle zu halten. Einmal dort angekommen, kämpfte er mit den Schlüsseln. Schließlich legte er eine Hand um das Schloss und spreizte die Finger darum, um den Schlüssel ins Schloss zu führen und umzudrehen.

      Endlich ließ Rain sich in den Wagen fallen und zog die Tür zu. Dann schloss er die Augen und ließ das Schaudern durch seinen ganzen Körper rollen.

      Verdammte Scheiße, dachte er. Wenn er nur zulassen könnte, dass jemand wenigstens das für ihn tat. Wenn das Leben nur leicht wäre. Wenn nur, wenn nur…

      Sobald das Zittern nachgelassen hatte, drehte Rain den Schlüssel in der Zündung, befestigte sein Handy in der Halterung und tippte seine Heimatstadt ein. Kein Grund, eine genaue Anschrift anzugeben.

      ***

      Rains Miene verriet ihn, sobald er Cher's End Table – die einzige Kneipe der Stadt – betrat.

      »Cher? Ein Bier für meinen Kumpel hier.« Justin saß an der Bar und winkte Rain beim Sprechen zu sich.

      Zum Glück war es ein ruhiger Abend, es waren nur wenige Gäste da. Auf den Barhockern war Justin der Einzige, abgesehen von Cher, der Barkeeperin und Besitzerin. Rain konnte ihnen die Wahrheit erzählen. Abgesehen davon waren sie die einzigen beiden Menschen in der Stadt, die wussten, dass er schwul war.

      Und das war Teil einer weiteren rührseligen Geschichte, über die er nicht nachdenken wollte.

      »Kommt sofort.«

      Rain sackte auf einen Stuhl und verschränkte die Arme auf dem Tresen. Er sah sich um, die Unterlippe gekräuselt, bevor er es endlich über sich brachte, seinem besten Freund in die Augen zu sehen.

      »So schlimm, hm?« Justin klopfte ihm auf den Rücken, während Cher ihm ein Bier hinschob.

      Rain gab vor, nicht zu bemerken, dass sie in der Nähe das Ende der Bar schrubbte. Sie wusste sowieso bereits über alles Bescheid. Sie hatte das einzige Date zwischen Rain und Justin ausgerichtet und die Bar für die Öffentlichkeit geschlossen, sodass sie in Sicherheit waren und sich ein bisschen normaler verhalten konnten. Chers Herz war zu groß, selbst wenn sie es gut verbarg.

      »Ja. So schlimm«, seufzte Rain. »Überhaupt kein Funke.«

      Es war eine Geschichte, die Justin akzeptieren würde. Letztendlich hatte sie zwischen ihnen der Wahrheit entsprochen. Er hatte Justin vor ein paar Monaten kennengelernt. Sie arbeiteten in der gleichen Baucrew und bevor Rain dazugestoßen war, war Justin der Neuling gewesen.

      Sie hatten genug Zeit miteinander verbracht, dass eine Verabredung nicht nach der schlechtesten Idee geklungen hatte. Aber selbst, nachdem sie den ganzen Abend zusammen verbracht hatten, hatte die Chemie einfach nicht gestimmt. Offensichtlich reichte es nicht, dass sie beide schwul waren.

      Gegen Ende ihres Dates hatte die Kunstgalerie in Flammen gestanden und ihre Chemie – oder ihr Mangel daran – hatte die platonische Natur ihrer Verbindung mehr oder weniger zementiert. Sie hatten hinterher nicht einmal gekuschelt, um sich zu trösten. Wenigstens war für Rain ein Freund dabei rausgesprungen und den brauchte er dringender als Sex.

      Aber im Augenblick war sein Schwanz ganz anderer Meinung als sein Kopf. Denn was immer er Justin erzählt hatte, zwischen Clay und ihm waren die Funken geflogen, egal, wie wenige. Er hatte nur zu viel Schiss gehabt, um es durchzuziehen.

      »Ach Mann. Das passiert. Es schwimmen eine Menge Fische im Meer, hm?« Justin versuchte Rain aufzuheitern. Seine Stimme klang frustrierend aufmunternd.

      Rain zwang ein Lächeln auf sein Gesicht und stieß mit seiner Bierflasche gegen Justins. »Klar«, stimmte er zu.

      Sein matter Tonfall musste Chers Aufmerksamkeit erregt haben. »He, er war aber kein Arschloch, oder?« Sie sprach leise, was nicht zu ihr passte. Normalerweise bestand ihre Vorstellung von leise in einem unterdrückten Bellen.

      »Nee«, versicherte Rain schnell und zuckte die Schultern. »Nur nicht kompatibel, weißt du?«

      »Nun, du weißt ja, wo du hinkommen kannst, falls du noch einmal Privatsphäre brauchst.« Es war ein merkwürdiges Angebot, da Chers Bar normalerweise der am wenigsten private Ort der Stadt war. Adleraugen entdeckten zuverlässig jede knospende Romanze – oder Affäre. Aber ihr Angebot war lieb. »An jedem Abend außer am Wochenende«, fügte sie entschlossen hinzu. »Freitags bist du auf dich gestellt. Mama muss ihre Rechnungen bezahlen.«

      Das brachte Rain endlich zum Grinsen. »Ja, klar. Verstehe. Danke, Cher.«

      Als sie ging, fiel Rains Blick auf das Bild hinter dem Tresen. Zwei Männer hielten sich an den Händen und sahen über die Klippen, die man zu Fuß in zehn Minuten erreichen konnte.

      So nah und doch so fern.

      Außerdem war das Kunstwerk eine Erinnerung an unerledigte Angelegenheiten für ihn. Rain hatte in der Nacht des Feuers seinen Hals riskiert, um den Künstler und seine Freunde zu verteidigen und… Nun, sie waren zu einem wackeligen Waffenstillstand gekommen.

      Für die anderen war es vorbei. Für ihn dagegen war es das tägliche Leben.

      »Gott«, sagte Rain, als ihm etwas einfiel, und ließ den Kopf auf den Tresen sinken. »Es ist ja Samstag.«

      »Ja…?«

      »Morgen ist das einmal monatliche sonntägliche Mittagessen mit meiner Familie.« Rain ließ das Wort so rasch über die Lippen fließen, als ob er damit eine Scheidung erreichen könnte. Als ob es dadurch seine Bedeutung verlieren könnte und damit auch die Macht, ihn zu verletzen.

      »Ah.« Justin räusperte sich und klopfte Rain erneut den Rücken. »Du wirst es schon überstehen. Einfach lächeln und nicken. Nächste Woche komme ich vorbei. Wir können uns ein Spiel anschauen und über sie lästern.«

      Rain richtete sich wieder auf und wandte sich zu Justin um. Dann griff er nach seiner Flasche. Justin hatte recht. Es gab wirklich nichts, worüber er sich beklagen konnte. »Ja«, stimmte er zu. »Klingt nach einem guten Plan.«

      Das Klappern und Zuschlagen der Tür ließ ihn aufblicken.

      Oh Scheiße.

      Er hatte nie an einen bestimmten Typ geglaubt – wenigstens nicht, was hypothetische Lebensgefährten in spe anging. Persönlichkeit sei wichtiger als das Aussehen, hatte er gesagt.

      In diesem Moment musste er jedes einzelne Wort zurücknehmen.

      Der Mann in der Tür sorgte dafür, dass Rain sich langsam auf dem Hocker umdrehte, bis er ihm mit dem ganzen Körper zugewandt saß. Es war, als ob die Schwerkraft selbst zur Seite gekippt war, um Rain auf ihn zuzuziehen. Er war ein Schwarzes Loch und hatte Rains Umlaufbahn auf den Kopf gestellt.

      Der Fremde war groß und sein Rücken so breit, dass er sich vorsichtig durch die Tür schieben musste. Er füllte beinahe ihren ganzen Rahmen


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