Hart's Bay: Wo unsere Zukunft beginnt. E. P. Davies

Hart's Bay: Wo unsere Zukunft beginnt - E. P. Davies


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die Lippen dünn – oder vielleicht auch nur zusammengepresst. Hohe Wangenknochen und die gerade Nase verliehen ihm einen Ausdruck von Arroganz, verstärkt durch die Art, in der er sich umsah und langsam einen Fuß hob, um vorwärtszugehen, als erwartete er, dass der Boden klebrig und von Erdnussschalen bedeckt sei.

      Vielleicht wollte er den Schmutz von Hart's Bay nicht an seinen glänzenden schwarzen Lederschuhen haben.

      Gott, sein Haar war genauso perfekt wie seine manikürten Nägel. Helle Highlights zogen sich durch die mit Gel aufgerichteten Strähnen. Er sah aus, als käme er direkt aus einem Sitzungssaal.

      Nur, dass es in Hart's Bay definitiv keine Sitzungssäle gab; es sei denn, man wollte das Hinterzimmer von Jacks Surf Shack dazuzählen.

      Rain grinste über seinen Witz, aber damit stand immer noch die Frage im Raum, was der Fremde hier tat. Vielleicht war er auf dem Highway liegen geblieben und wollte kein Motoröl an seinen hübschen, kleinen Händen haben.

      Rain musste nicht lange warten, um herauszufinden, was der Fremde vorhatte. Er ging direkt auf ihn zu und Rains Herzschlag, der sich während der Heimfahrt beruhigt hatte, legte wieder zu, bis er förmlich donnerte.

      Für einen verrückten Moment versuchte Rain, sich zu entsinnen, ob er vielleicht irgendein dramatisches Coming-out geplant hatte. Aber er würde sich bestimmt daran erinnern, wenn er für so etwas bezahlt hätte. Er würde sich an alles erinnern, was mit diesem Mann zu tun hatte.

      Oh. Eine Sekunde später kam Rain sich dumm vor. Wo zum Teufel war denn dieser Gedanke hergekommen?

      »Ein Bier und ein paar Informationen.« Der Fremde sprach mit Cher und lehnte an der Bar, als würde sie ihm gehören. Dann fügte er beinahe wie in einem Nachsatz ein Bitte hinzu.

      Cher nahm eine drohende Haltung ein, aber schenkte ihm ein höfliches, steriles Lächeln. »Klar. Was darf's sein?« Sie ließ den Verschluss einer Bierflasche abspringen und reichte es ihm.

      »Danke«, sagte er zu Cher, was man ihm knapp anerkennen musste. Er schob einen Zehner über den Tresen und winkte das Wechselgeld beiseite, dann trank er von seinem Bier. »Wem gehören die runtergekommenen Lagerhäuser unten am Wasser?« Er deutete auf die Tür, als stünden sie direkt vor der Bar. »Die, die schon fast auseinanderfallen?«

      Rain klappte der Mund auf. Selbst nachdem er ein Leben lang trainiert hatte, seine Reaktionen vor seiner Familie zu verbergen, verblüfften ihn die groben Worte.

      Chers Augenbrauen hoben sich zunehmend. »Die am Hafen?« Man musste ihr zugutehalten, dass ihr Blick kein einziges Mal zu Rain huschte. »Warum?«

      Das gab Rain ein paar Momente, um eine Maske der Ruhe und schwachen Neugier aufzulegen. Als ob das Auftreten des Kerls ihm nicht bereits durch und durch ginge.

      »Ich suche nach billigem Land zum Kaufen.«

      Oh Gott. Ärger ließ Rains Wangen rot anlaufen. Er konnte nicht anders, als etwas dazu zu sagen. »Nichts, das es wert ist, es zu besitzen, ist billig zu haben.«

      Der Fremde wandte sich ihm zu und für einen Moment weiteten sich seine Augen, als er Rain musterte. Ein kurzer Blick von Kopf bis Fuß und wieder zurück zu Rains Gesicht und seine Lippen hoben sich zu einem Lächeln.

      »Wir werden sehen. Und du bist?«

      »Rain.« Er biss sich auf die Unterlippe. Er unterstellt mir besser nicht, dass ich billig bin, dachte er.

      Was noch ärgerlicher war, war die Tatsache, dass ein kleiner Teil von ihm flüsterte, dass ihm das sogar gefallen könnte. Dass es ihm gefallen könnte, von jemandem herumgescheucht zu werden, der so cool und selbstsicher auftrat. Die Kontrolle abgeben und jemandem für ein paar kostbare Stunden sein Vertrauen schenken…

      Nein, sagte Rain sich. Wirf dich nicht jedem Arschloch an den Hals, das dir über den Weg läuft. Es gelang ihm, seinen Zorn an jener Stelle in der Mitte seiner Brust köcheln zu lassen, wo er ihn immer verwahrte, wenn er es nicht herauslassen konnte.

      Manchmal jahrelang.

      Der Typ musterte Rain, während er trank. »Rain, hm? Wie das Wetter?«

      »Kurzform von Rainier.«

      »Wie der Vulkan.« Er grinste. »Ganz naturverbunden also. Genau, wie ich es mag.«

      In Rain sträubte es sich und Hitze stieg ihm in die Wangen. Die Antwort, die ihm auf der Zunge lag, würde ihn vermutlich in größere Schwierigkeiten bringen, als sie es wert war.

      Willst du's rausfinden? Er wollte so verzweifelt aus den engen Regeln ausbrechen, die sein Leben bestimmten, und den Fremden bitten, eine Nacht lang seine wildesten Träume zu erfüllen.

      Gemessen an ihren Blicken, die sich gefunden und nicht wieder losgelassen hatten, würde seinem Gegenüber diese Idee gefallen. Sprach sein Blick von Ärger oder von Sex?

      Ein leises Husten hinter ihm beförderte ihn zurück in die Wirklichkeit. Verdammt. Justin war hier, genau neben ihm, und beobachtete alles. Er würde nicht zulassen, dass Rain einen Fremden aufriss, oder? Und er hätte recht. Es war nicht daran zu denken, dass niemand sah, wie Rain diesen Mann mit nach Hause nahm. Wenn er es tat, würde bis zum nächsten Morgen jeder in der Stadt wissen, dass er schwul war.

      »Und du bist?«, fügte Rain ein bisschen brüsker hinzu, als er es meinte.

      »Colt.«

      »Wie die Fünfundvierziger?«, hakte Rain nach.

      »Oder das Pferd.« Ein junges, männliches Pferd. »Kann nicht behaupten, dass es nicht zu mir passt.« Colts Augen glänzten unter einem Anflug von Selbstironie. War er bestückt wie ein Pferd? Oder genauso stur wie eins?

      Oh Gott. Rain hätte es besser wissen sollen. Er hätte nicht direkt in die Bar kommen sollen, nachdem er erst scharfgemacht und dann ohne Befriedigung geblieben war. Das war, als würde man hungrig einkaufen gehen. Aber er hatte heute Abend bei Cher auch kein Büfett erwartet.

      Rain grinste. »Tja, mir hat man schon gesagt, dass ich ziemlich explosiv bin. Mach daraus, was du willst.«

      Cher schnaubte und überließ sie sich selbst. »Einer wie der andere«, murmelte sie in sich hinein, während sie wegging.

      »Hey…«, begann Colt und sah ihr nach.

      »Wenn du mehr über die Lagerhäuser wissen willst, bin ich derjenige, mit dem du reden musst.« Rain wollte Colt immer noch nicht mit dem Wissen rüsten, dass sie ihm gehörten, aber er war neugierig, was dessen Absichten anging.

      Immerhin könnte das ein Ausweg aus seinem finanziellen Chaos sein.

      Oder eine Gelegenheit, sein Verhandlungsgeschick zu testen.

      Oder – nur vielleicht – auch bedeutend mehr.

      Colt neigte mit neuem Interesse den Kopf. Er sah Rain wieder an. »Ich bin froh, das zu hören. Ich wollte mit dir reden. Jetzt habe ich eine gute Ausrede.«

      Justin brummte kopfschüttelnd. »Hmm. Ich gehe besser heim. Ich überlasse euch euch selbst.« Er klopfte Rain auf die Schulter, als er aufstand, aber sein Blick war unleugbar neugierig. Und es lag auch eine Spur einer Warnung darin.

      Rain nickte leicht, als er die Wachsamkeit in Justins Augen bemerkte. Er würde vor der ganzen Bar nichts anstellen, von dem er nicht wollte, dass seine Familie sofort davon erfuhr.

      Dann hob er die Hand, um zu winken. »Wir sehen uns, Mann.« Justin ruckte mit dem Kinn und ging nach draußen, sah sich jedoch über die Schulter noch einmal nach ihnen um.

      Sobald er fort war, richtete Colt wieder den Blick auf Rain und hielt ihn damit fest. Als wäre er ein Baum, dessen Wurzeln sich in die Erde wanden, stand Rain unter Colts Aufmerksamkeit reglos da.

      »War das dein Lover?«

      Das löste die Wurzeln. Eine Welle aus Angst und Erregung schwappte über Rain hinweg. Er war sich ziemlich sicher gewesen, dass Colt flirtete, doch die Frage hatte es bestätigt. Was zugleich ein großes Problem war, wenn man bedachte, wo sie sich befanden.


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