Hart's Bay: Wo unsere Zukunft beginnt. E. P. Davies

Hart's Bay: Wo unsere Zukunft beginnt - E. P. Davies


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Mom, was vermutlich das peinlichste Thema war, das sie anschneiden konnte. Selbst ihr musste das klar sein. Es war kein Geheimnis, dass Finn Rains Vorgesetzter war oder dass Rain für Hart & Hart Construction arbeitete – eine Firma, die den beiden Brüdern seines Vaters gehört hatte, die nach der Trennung der Hart-Familie auf der anderen Seite gelandet waren.

      Sorgsam ignorierte er Floyds zunehmend finsteren Blick. »Gut, danke, Mom.« Sein höflicher, distanzierter Tonfall kam ganz von selbst. »Wie sieht es bei dir aus?«

      Zum Glück hatte seine Mom interessante Neuigkeiten aus dem Country Club anzubringen, in dem sie als Sekretärin arbeitete. Bei den Treffen der Frauen kam immer eine Unmenge an Gerüchten auf. Früher hatten Rain und seine Geschwister diese Geschichten geliebt.

      Doch mit der Zeit hatte Rain begriffen, wie sehr sich das Leben ihrer Familie von denen der meisten anderen in der Umgebung unterschied. Diese Geschichten hatten ihn in Verlegenheit gebracht. Nun machten sie ihm nichts mehr aus, aber er bemühte sich auch, Distanz von all dem zu halten.

      Ein Tag harter Arbeit auf einem Dach war viel befriedigender, als darüber zu tratschen, dass eine Aktie um einen Prozentpunkt gefallen war und wie der Aktieninhaber die Investoren zu einem Golfspiel eingeladen hatte, um ihr Vertrauen zurückzugewinnen und…

      »Hmm. Tja, das wäre ein guter Job für einen Hart-Jungen«, sagte Floyd plötzlich und unterbrach damit seine Mom.

      Rain sagte beinahe Höh?, aber das hätte ihm nur einen noch strengeren Blick eingebracht. Stattdessen räusperte er sich und deutete mit schief gelegtem Kopf seine Verwirrung an. »Ich bin mir nicht sicher, was du meinst«, sagte er kühl, auch wenn er sich recht sicher war, was folgen würde.

      »Hedgefonds-Management. Du hast alle wichtigen Verbindungen.« Floyds Blick war kalt. »Eine Schande, dass du sie einfach weggeworfen hast, um auf einer Baustelle zu arbeiten wie ein talentloser Arbeiter.«

      »Dad«, meldete Rains Vater sich stirnrunzelnd zu Wort. »Lass den Jungen seinen Spaß haben.«

      Das war alles, was seine Karriere für ihn war – ein bisschen jugendliches Rebellentum. Als würde er schon wieder zu sich finden, anfangen, Anzüge zu tragen und einen Staat weiter südlich ausufernde Cocktailpartys zu geben.

      Oder sich ein Haus wie diese Villa zuzulegen. Sie lag nah dem stillgelegten Hafen, fünf Minuten zu Fuß vom Marktplatz entfernt. Und von allen Immobilien, die Floyd früher besessen hatte und die nun Rain gehörten, war es bei Weitem am besten instand gehalten worden.

      Die Einrichtung war verschwenderisch. Sie unterschied sich kaum von der in Rains Erinnerung, als ob sie in den späten Achtzigern oder frühen Neunzigern hängen geblieben wäre. Die dicken, von der Decke bis zum Boden reichenden Vorhänge waren bedrückend. Beistelltische aus dunklem Holz und der Esstisch nahmen den ganzen Raum ein. Die Stühle mit ihren Rückenlehnen waren genauso steif und förmlich wie sein Großvater selbst.

      Rains Großmutter war gestorben, bevor er geboren worden war, und laut dem wenigen, was sein Dad ihm erzählt hatte, war Grandpa dadurch hart geworden. Nun war er wie ein Diamant und nur eine Handvoll Menschen konnten sein Ego ankratzen.

      Es war für Rain geradezu ein Schock gewesen, herauszufinden, dass er zu ihnen gehörte.

      »Es stinkt nach einem Mangel an Ehrgeiz«, drängte Floyd. »Rain ist allmählich in einem Alter, in dem sich unsere Geschäftspartner fragen, was er vorhat. Abgesehen davon, aus einer Laune heraus nach Colorado zu verschwinden.« Sein Blick war stählern, als vermutete er mehr, als er sagte.

      Ein kalter Schauer lief Rain über den Rücken. Er hatte seiner Familie nie erzählt, was dort vorgefallen war.

      Er hatte ihnen gesagt, dass er ein Jahr fortgehen wollte, um Kontakte zu knüpfen. Den Kids Honig ums Maul zu schmieren, die ihren Skiurlaub in den Bergen verbrachten. Und das hatte er auch getan. Gerade genug, um sie sich vom Leib zu halten. Aber er hatte sich auch geweigert, ihnen zu sagen, wo er lebte oder was er darüber hinaus trieb.

      Denn er hatte das Jahr bei Des verbracht, unter dessen kontrollierender Fuchtel, gefangen zwischen der Bürde, nach Hart's Bay zurückzukehren und sich von seinen Eltern und seinem Großvater gängeln zu lassen, oder bei Des zu bleiben und stattdessen ihm zu erlauben, sein Leben zu diktieren.

      Am Ende hatte Rain die Familie einer verdorbenen Liebe vorgezogen, die ihm jeden Tag wehtat. Er war nach Hause gekommen und seine Familie hatte getan, als hätte es die kleine Auszeit nie gegeben.

      Als hätte es Des nie gegeben. Die Beziehung war ein Geheimnis, von dem nur Rain wusste. Und was für einen Schwachsinn er hier auch erdulden musste, es war immer noch besser, als es mit diesem Arschloch aufzunehmen.

      »Er ist ehrgeizig.« Sein Vater sprang Rain bei, was ihn sich leicht entspannen ließ. Rain hatte sich gefragt, auf welche Seite er sich schlagen würde. »Immerhin hat der Junge inzwischen Eigentum.«

      Oh, richtig. Sie hatten sich nicht von diesem Thema fernhalten können, nicht wahr? Im Tausch dafür, dass er weder seiner Familie noch der ganzen Stadt erzählte, dass Floyd ein Brandstifter und Arschloch war, hatte er Rain die lang versprochenen Immobilien überschrieben.

      »Und was tut er damit?«, gab Floyd zurück. »Nichts. Er muss etwas unternehmen. Instandhaltung kostet Geld. Mehr, als ein Lakai auf dem Bau je verdienen kann.« Seine Augen glitzerten hässlich.

      »Ich finde einen Weg«, sagte Rain kalt. »Danke für deine Sorge, Grandpa.«

      Seine Mom lächelte zustimmend. »Davon bin ich überzeugt.«

      Floyd fuhr jedoch fort. »Er hat sich Freunde und Kontakte im Instandhaltungswesen gemacht. Ich bin überzeugt, dass er nichts dagegen hätte, mit jemandem wie Justin Nachtschichten einzulegen.«

      Plötzlich legte sich Stille über das förmliche Esszimmer, eine eisige Schneedecke nach dem ersten Antauen, gefolgt vom letzten Frost des Frühlings.

      Die Unterstellung war offensichtlich.

      Rain konnte sich nicht direkt verteidigen und sagen, dass er nichts mit Justin hatte, denn das würde es in ihren Augen nur umso wahrscheinlicher machen, dass er schwul war. Und das musste ein Geheimnis bleiben, wie er stets geahnt hatte.

      »Ich weiß nicht. Justin hat zurzeit ziemlich viel mit seinem Liebesleben um die Ohren«, sagte Rain schulterzuckend und wand sich um das Thema herum, indem er vorgab, Justin würde sich mit jemand anderem treffen. »Ich sehe ihn nicht besonders oft.«

      Die Zustimmung und Erleichterung, die den anderen ins Gesicht geschrieben stand, war ungeschönt und sorgte dafür, dass Rain sich wie ein Stück Scheiße fühlte. Weil er für eine behutsame Reihe Lügen Applaus erhielt. Ich bin nicht mit Justin zusammen bedeutete nicht dasselbe wie Ich bin nicht schwul, was immer sie auch glaubten.

      »Weißt du, im Club gibt es ein Treffen für die Jüngeren«, begann seine Mom erneut und Rain unterdrückte ein Stöhnen.

      »Nein, Mom.«

      »Ich verstehe nicht, warum du dich so dagegen sträubst. Es ist gut für dich, Leute deines Alters mit einer gewissen… Lebenserfahrung zu treffen.«

      Überhaupt keine Lebenserfahrung, meinst du wohl, dachte Rain. Er biss sich auf die Zunge, während er mit seinem Besteck spielte. »Danke, Mom. Ich behalte es im Hinterkopf.« Er sah auf seine Armbanduhr, ohne die Uhrzeit abzulesen. Sie war für seine Ausrede nicht wichtig. »Tut mir leid, euch einfach so sitzen zu lassen, aber ich habe eine geschäftliche Verabredung, zu der ich erscheinen muss.«

      Dad entließ ihn sofort mit einem zufriedenen Lächeln. »Hast du? Das ist fantastisch. Du musst mir bald alles darüber erzählen. Dein Großvater und ich wären begeistert, dir mit unserem Rat zur Seite zu stehen.«

      Eher würde ich einem vollkommen Fremden vertrauen. Rain zwang sich beim Aufstehen zu einem höflichen Lächeln. »Danke. Ich werde es…« Moment, das habe ich gerade erst gesagt. »Ich arbeite daran und sag euch Bescheid.«

      Wie oft konnte er dieselben höflichen Ausweichmanöver einleiten, bevor offensichtlich wurde, was er tat? Rain musste die Initiative


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