Eine Kompanie Soldaten - In der Hölle von Verdun. Alfred Hein

Eine Kompanie Soldaten - In der Hölle von Verdun - Alfred Hein


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trat vor und ging in die Baracke, in der er feldgraue Sachen empfing. Nagelneu. Wie wenn man, ein Kind noch, Geburtstag hätte und einen neuen Anzug bekäme. Geburtstag — — des Todes — vielleicht — — —. Da war die Blechnummer. 394 567. 394 568. 394 569. 394 570. 394 571.

      Von manchen bleibt nicht einmal diese Nummer übrig.

      Mit den Sachen auf dem Arm trat jeder noch einmal an.

      Der Hauptmann sagte, da die Kompagnie sich versammelt hatte, die Erkennungsmarken hingen jedem um den Hals: „Es ist so weit, Jungens. Macht’s gut. Vergesst euren alten Hauptmann nicht, der gern mitkäme, wenn er da draussen mit seinen Gichtknochen nicht im Wege wäre. Feldwebel, Urlaub bis zum Wecken!“ Dann drehte er sich um und verschwand, der alte gute Hauptmann, der bei jedem strammen Exerzierdienst sagte, ehe die Stunde um war: „Es ist genug. Draussen ist alles ganz anders. Jungens, Augen auf, an sich selber glauben, fest zufassen, wenn ihr in Druck seid — na, ihr versteht! Also los — Gewehre zusammensetzen! Fussball ’raus!“

      Das war Klösel beim Exerzieren.

      Und den mussten sie hier lassen?

      „Stillgestanden!“ kommandierte der Feldwebel. Aber er schnauzte nicht die an, die die Füsse nur schlapp zusammenzogen, nicht so: Ruckzuck! und die Wendung! er kommandierte weiter, auch nur mit halblauter Stimme: „Wegtreten!“

      Die Kompagnie drehte sich um sich selbst — und ging auseinander.

      Koesel aber besoff sich, wie es ein guter Hauptmann tut, der an seiner Kompagnie hing. Und nach Verdun — seine Jungens.

      3.

      Die Oberleutnants Zecklien und Mucha sahen dem „Theater“ von fern zu.

      „Dieser schlappe Betrieb bei Koesel. Ich habe ihn mal vierzehn Tage vertreten, den alten Herrn, ich sage Dir, hatten die Jungens ’nen Fussball mit zum Exerzieren. Wir sind doch keine Tommys,“ schnauzte Zecklien, ein hagerer, finsterer Oberlehrer, dem die Uniform so schlecht sass, wie er sich schneidig dünkte.

      „Heda, Lindolf, Sie haben wohl das Grüssen verlernt! Woll’n wohl noch drei Tage in’n Kasten, ehe es rausgeht, was?“

      Der kleine Lindolf war in Gedanken versunken an den Oberleutnants vorbeigegangen, er hatte sie wirklich nicht gesehen, nun stand er stramm, aber in sein gutes offenes Gesicht trat der ganze Hass gegen den Oberleutnant, der ihnen „die Hammelbeine geradezog“, als Klösel krank war.

      „Sehen Sie mich nicht so unverschämt an, Sie Schlappsuse Sie! Weg! Marsch! Marsch! Los! Los! Laufen, laufen!!“ piepste Zecklien.

      „Kanonenfutter,“ sagte Mucha. „Lass sie sein!“ Zecklien wollte schon wieder einen Trupp von Koesel - Leuten anpfeifen. „Lass sie sein, sie gehen bald alle!“

      „Rübenschwein —“ knurrten die Muschkoten hinter Zecklien her. „Woll’n wir den Hund heut nacht verhau’n?“ — „Ach lass den Dreck — wir fahren noch einmal nach Berlin. Hier im Lager ist ja nichts los!“

      Fast alle verliessen noch einmal das Döberitzer Lager. Die letzte Nacht, in Freiheit dressiert — Kinder, es war schon vier Uhr. Dies verfluchte Döberitz, da kann man für seinen Zaster jetzt noch eine Stunde nach Berlin gondeln. Aber die Nacht mussten sie sich um die Ohren schlagen. Nur nicht nachdenken.

      Lutz Lindolf sann die ganze Fahrt lang nach Berlin: Jetzt, wo sie nach Hause gekommen ist, muss ich fort. Die Kameraden, die mit ihm im gleichen Abteil sassen, neckten ihn: „Lindolf, haste Angst?“ Lindolf sah sie an: „Vor der Front?“ Und er lächelte, — was ging ihn heute die Front an — die war weit — noch einen ganzen Tag, der Transport war erst für übermorgen angesetzt — ach, Adelheid — —

      Wenn er die eine Nacht bei Adelheid verbringen dürfte! Mit seiner reinen feierlichen Jungenliebe. Sie anbetend. Wie gern stürbe er dann. Ja, diese Liebesnacht sollte ihn jäh in ihrer aufjubelnden Erfüllung zum Manne machen. Keiner dürfte die unermesslich grossen Gefühle, die mit jedem Schritt zu ihr wuchsen, belächeln. Er fasste in Gedanken zum Seitengewehr, wehe! einer sah in seiner Liebe zu Adelheid nicht die tiefste und schönste Liebe seit Anbeginn.

      Jeder dritte Mensch, der ihm auf dem Weg zu Adelheid begegnete, trug Uniform. Dauernd musste er — Unteroffiziere, Offiziere schritten vorbei — die Hand an die Mütze werfen. Ein Mann in Zivil erregte Aufsehen, alle sahen ihm nach. Als wäre es ganz in der Ordnung, dass die Männer sich feldgrau kleideten zum Zeichen, dass sie alle nur noch das Handwerk des Todes kannten. Eine Frau mit zwei Kindern lief ihm nach, klopfte auf seine Schulter: „Adolf?“

      Er wandte sich um.

      „Entschuldigen Sie, ich dachte — Adolf wäre plötzlich zurück — Sie haben ganz die gleiche Figur —“

      An einer Strassenecke war eine Feldküche vom Roten Kreuz aufgefahren und verteilte Suppenbrei an zerlumpte Kinder, abgehärmte Frauen und kopfwackelnde Greise.

      Frauen steckten dort vor dem Fleischerladen erregt die Köpfe zusammen. „Die im Felde haben doch wenigstens zu fressen — schon wieder zehn Pfennig teurer — wenn das so weiter geht —“

      Sie sahen Lutz feindselig an, als wäre er mitschuldig an der alltäglichen Not des ewigen Krieges.

      Kinder kamen jetzt am Abend aus der Schule. Es gab zu wenig Lehrkräfte, da wurde morgens die eine, nachmittags die andere Klasse von den Lehrerinnen und den reklamierten Lehrern schlecht und recht unterrichtet.

      „Voriges Jahr war noch oft siegfrei — dieses Jahr — —“

      „Das letzte Mal: Verdun —“ sagte ein Junge. Werduun — sprach er den Schlachtennamen aus.

      Da sollst du auch hin, nach Werduun — o Adelheid — —

      Aus den Mietskasernen des Ostens holte sein zärtlicher Blick sich ihr Haus heraus — — jetzt sah er schon ihr Fenster — —

      Krieg — Alltagsnot — die graue Strasse am Kottbuser Tor — alles überlichtete sich mit dem Schimmer seiner liebenden Seele —

      Als er an ihrer Eltern Tür klingelte, da hatte er sich in den Traum so eingesponnen, dass er fest an seine Erfüllung glaubte. Für ihn war Berlin nicht die Stadt des letzten Bummels heute nacht, er liebte die lärmende Stadt, weil sie das Allerheiligste für ihn barg.

      Adelheid sass am Klavier, als er ins Zimmer trat. Ihre Mutter rief: „Adelheid, der kleine Lindolf —“

      Adelheid rasselte weiter ihren Schlager herunter, ohne sich umzudrehen. Der Junge will mir doch nicht den Abend verderben, dachte sie.

      „Er ist in Feldgrau, Adelheid“, sagte die Mutter, aber Adelheid spielte weiter. Die Mutter lächelte ihn wie für die ungestüme Tochter um Verzeihung bittend an: „Schade, dass Sie nicht mehr nach Schlesien fahren können, Ihrer Mutter auf Wiedersehn zu sagen —“

      Doch Lindolf starrte nur auf das Mädchen. Die trillerte und steppte ihren Cancan weiter. War das nun der Zauber dieser Abschiedsstunde —?

      Endlich drehte sich Adelheid mit einem übermütigen Schubbs auf dem Drehsessel um, ein paar Mal rundherum, dass die Stirnlocken schütterten und ihre siebzehn Jahre aus den blitzenden braunen Augen in alle Zimmerecken wie hundert Falter verwirbelten:

      „Aber, Lutzchen, deine Uniform ist doch viel zu gross! Du siehst gar nicht schick aus. Weisst du — kannst du dir nicht noch eine schneidige Extrauniform bauen lassen wie Dr. Matzka?“

      „Adelheid, ich komme Abschied —“

      „I was. Soviele Jungens gehen doch täglich raus. Weisst du, sentimental wollen wir nicht sein.“ Sie klingelte. „Ich lasse ’ne Flasche Sekt kommen, dann besaufen wir uns zu dritt.“

      „Zu dritt?“

      „Na, Dr. Matzka kommt heute abend.“

      „Er kommt wohl öfters?“

      „Ja, seit er Unterarzt ist, — siehste, Lutzchen, der versteht’s —“

      „Ja,


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