Eine Kompanie Soldaten - In der Hölle von Verdun. Alfred Hein

Eine Kompanie Soldaten - In der Hölle von Verdun - Alfred Hein


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Er lebte wie eine Fliege an der Wand. So klebte er auf seinem Platz im Soldatenzug. Die drei anderen Kameraden im gleichen Abteil spielten Skat, ihn liess man träumen. Sie neckten ihn eine Weile, den Kleinen, das Muttersöhnchen — als er sie aber mit seinen grossen Augen tief ansah, schwiegen sie, und der rüde Pechtler, der zum vierten Male an die Front ging, schenkte ihm einen Apfel. „Nimm, du warst gestern ganz allein, von meiner Braut —“

      Da nahm Lutz den Apfel und spürte, wie instinktiv zwischen ihnen jetzt das Echte und Einzigartige, das Fronterlebnis erwachte: die Kameradschaft.

      Ja, aus Kameradschaft fuhr er an die Front. Warum sie den Heldentod auf dem Felde der Ehre sterben sollten, das wusste er nicht, patriotisch konnte man wohl zu Kaisers Geburtstag im Frieden sein. Aber je näher dem Schuss, umsomehr war nur die Tatsache, dass Menschen auf Menschen aus rätselhaften Ursachen, die die Vaterländer der Welt schufen, losgingen, das die Seele unbegreiflich Ergreifende.

      „Will einer noch von euch siegreich Frankreich schlagen?“ fragte Lutz die Drei.

      „Ich möchte nur eines“, sagte Pechtler wild, „die Hunde, die diesen Schlamassel angerührt haben, antreten lassen und in die Fresse hauen. Es will bloss keiner gewesen sein.“

      „Nun sind wir drinne. Quatsch nicht so laut, es nützt ja doch nichts“, sagte Töz, der Dicke. „Wir fahren jetzt durch meine Heimat, aber ich seh nicht raus, weil ich dann doch vielleicht raus springe — los, spiel weiter —“

      Wittke, der dritte Skatspieler, sah nur finster drein. Sein Bruder war in der vorigen Woche bei den 24ern vor Douaumont gefallen, berichtete ein Brief der Mutter. Er käme nach dem Osten, hatte er gestern, damit die Mutter nicht erneut erschrickt, nach Hause geschrieben, in die Etappe. Wittke spielte mit derbem Schlag seinen Trumpf aus. „Ist ja alles ganz egal!“

      Lutz fühlte, wie er mit diesen fremden derben Gesellen zusammenwuchs und wie ihre rauhe Herzlichkeit ihn umfing. Diese seelische Tuchfühlung, die jetzt begann, sie schuf tief in ihm den Begriff: Volk. Einen namenlosen echten Klang, der mit goldenem Ring sie zusammenhielt, einem Ring, der in die trostlose Fahrt aus den Sternen fiel — — Wir Volk, fühlte Lindolf, wir verlassen uns nicht. Wir halten treu zusammen.

      Das war die richtige Treue. Alle Dichter haben sie falsch besungen, was heisst hier: Mit Gott für König und Vaterland — das Volk marschiert, ihr Herren. Bereitet ihm den Weg zum wirklich grossen und reinen Sieg, zu einem andern Sieg als ihr denkt, sonst wird es über eure Marschallstäbe und Geldsäcke hinwegmarschieren.

      Lutz fühlte, wie dieser Zug in die Zukunft fuhr. Nicht nur zur Front, auch hinan zu den Gestirnen.

      Wenn Deutschland, die Nation, der Kaiser, die Regierung, der Generalstab — merkwürdig, wie hohl und fremd diese Begriffe klangen — wenn diese Kräfte alle wirklich der Freiheit des Volkes dienen wollen, dann wird trotz aller Uebermacht das Deutsche als das Reine und Selbstlose in der Welt siegen.

      Wenn aber Deutschland, dieses amtliche und geldstolze Deutschland, anders will, dann wird das Volk zerbrechen an der Ziellosigkeit seines Kampfes.

      Noch glaubte Lutz an die Uebermacht der guten Kräfte in der Führerschaft des Volkes, obwohl auch in seinem kleinen Lebenskreis als Feldgrauer ihm Ehrgeiz und Geldgier unter dem patriotischen Mäntelchen oft genug und immer öfter begegneten.

      In Limburg an der Lahn gab es Mittagbrot. Graupen mit Rindfleisch, Schrapnällches, wie Szimkat, der Ostpreusse, sagte.

      Da ragte auf sanftem Berg der stille Dom vor einsamer Waldeshöhe, und eine Stadt im Tal, schön wie Dehmels Gedicht:

      Liegt eine Stadt im Tale,

      Ein blasser Tag vergeht.

      Es wird nicht lange dauern mehr,

      Bis weder Mond noch Sterne,

      Nur Nacht am Himmel steht.

      Lutz schlich sich mit seinem Picknapf voll Graupen vom Bahngelände fort den Domberg hinauf. Eine Buche, die leise zu grünen begann, wartete auf ihn. Hier ist gut sein. Hier — immer — so — bleiben — — Wie Hiob am Wege — Spottet nur — Gott sendet den Frühling, der Sommer kommt — — nur hier bleiben dürfen — in Frieden — — —

      Es wird nicht lange dauern mehr — — — nur Nacht am Himmel steht — — — begannen die Verse von neuem zu singen.

      Wenn er jetzt landeinwärts ginge, bis etwas geschah, und statt morgen in der Hölle, vielleicht im Himmel sein, ein Mädchen treffen, das einen liebte und das einen verbarg — —

      Doch da war die Kameradschaft, die Volkstreue, und heilig stand dies Gefühl in der Brust auf und liess ihn zurückgehen, sich einzureihen in das feldgraue Heer.

      Langsam setzte er Schritt vor Schritt, den Domberg hinab. Die goldenen Kreuze der Türme funkelten in der Frühlingssonne. Noch sangen Lerchen. Noch glitt der Wind über die unverletzte Haut. Noch sahen die Augen vom Kampf unverwüstetes deutsches Land.

      5.

      Grau zog der Strom dahin. Ein müder Regen darüber. Kein Mensch winkte aus den Mietskasernen. Zuviele Züge fahren hier täglich vorbei. Mürbe und matte Menschen irgendwie geschäftig auf den Strassen. Man war am Rhein.

      Lutz rief die Kameraden ans Fenster, er wollte begeistert sein: „Der Rhein!! Der Rhein!“ Sie erhoben sich halb widerwillig vom permanenten Skat, sahen missmutig hinaus: „Nu, wenn schon, lass doch den Kanal da unten plätschern —“ sagte Töz. „Luzie, stör uns nicht beim Skat“, drohte er gutmütig, Lutz den Spitznamen anhängend, der ihm nun für den Rest der Fahrt verblieb. „Koch Kaffee mit Rum, Lucie“, lachte Wittke drein.

      Und unter diesem Disput war der Rhein, den sie nicht haben sollen, der schöne, deutsche, an dem man nur leben wollte, vorbei. Lass doch den Kanal — —

      Kanäle — — — Floss das ganze Leben nicht grau in grau durch solche Kanäle? Und aus den Zeitungen fiel ihm das Schlagwort von dem Kanalsystem der Schützengräben ein.

      So fuhr Lutz über den Rhein, den Strom der Sehnsucht. „Es ist ja alles ganz egal“, sagte eben wieder Töz.

      „Du — ich hau ab, ehe die Schweinerei losgeht —“ sagte Pechtler und grinste mit seinem pickligen Bierkutschergesicht.

      „Ja wie, oller Genosse —?“ fragte Wittke.

      „Wir wollen den kleinen Jungen nicht schamrot machen —“ Pechtler flüsterte Wittke grinsend ins Ohr, wie er sich in dem ersten besten französischen Quartier eine gewisse ansteckende Krankheit holen wollte. „Ich sage dir, da gibt es extra Weiber dafür —“ prahlte er laut.

      „Was für Dreck“, dachte Lutz. „Hast du Angst?“ fragte er Pechtler.

      „Was heisst Angst, ich schlag dich tot, wenn du willst, ich hab keine Angst. Von wegen Angst. Aber zum vierten Male — nee — da gehste auch nicht mehr so mutwillig los — du hast ja keine Ahnung, wie’s da zugeht, my boy! Weisste, so ’ne richtige Sache mit Hand und Fuss: so Licht aus! Messer raus! Haut ihm! — ja — aber dies Gehocke im Trommelfeuer, triffts, triffts nicht — na — spiel’n wir weiter — hör nicht zu, keusche Lucie.“ Lutz wurde traurig. Da machte sich dieser starke gesunde Mensch krank, ekelhaft krank, um nicht mehr nach vorn zu müssen.

      „Halt die Fresse, Lucie, über meinen Trick!“ sagte Pechtler.

      „Ich bin dein Kamerad!“ beteuerte Lutz.

      „Bravo, Lindolf, hier sauf eins mit mir, ich dachte, du bist auch so ein Schleimbeutel, der noch die Kugel, die er in’n Bauch kriegt, auskotzt und „Es lebe der Kaiser!“ dabei schreit, na prost —“

      Alle vier fingen an, ihre Rumration zu trinken. Die Nacht nahte. Man wollte schlafen. Wittke aber, der sonst so Schweigsame, war besoffen und sang in einem fort: Ja in Morslede, ja in Morslede, ja in Morslede, schmeckt der Wein so süss — —

      Er gröhlte und plärrte die monotone Melodie, dass der „schwarze Spiess“, Vizefeldwebel Meinard mit der Negerphysiognomie, aus dem Nebenabteil


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