Eine Kompanie Soldaten - In der Hölle von Verdun. Alfred Hein

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ich ein dreckiger Hund als ein so komplizierter, vertiefter Idiot sein. Nix für ungut, Kamerad! Los, singen wir!“

      Und sie sangen: In der Heimat, in der Heimat — — —

      Dies Lied ist Gott. Wie sie alle einfältig und rein aussehen, wie sie Natur werden, Kinder Gottes, dachte Lindolf. Und er wurde glücklich und sang und marschierte in den Frühlingsmorgen, noch lebensfroh, in Reih und Glied mit dreissig Kameraden.

      Der Fesselballon der Division, diese dicke gelbe Himmelswurst, stand in Dannevoux und war ihr Richtungspunkt. Näher und näher kam der Ballon, manchmal kreisten Flieger um ihn, dann flogen weisse Schrapnellbälle hinauf von den Fliegerabwehrgeschützen, das ganze sah aus der Ferne aus wie eine Volksbelustigung im Lunapark. Das Getacke der Maschinengewehre von den Flugzeugen, die den Ballon aus Wolkenhöhe zu treffen versuchten, klang schon dünn wie Gänsegeschnatter herüber.

      Die Sinnfälligkeit des maschinenhaften kriegerischen Geschehens entkleidete es allem Heldischen. Ich schiesse, du schiesst, wir schiessen — die Front konjugierte ihr Pensum. Ja, so murmelnd hatte man seine Lektion aufgesagt, Tag für Tag, Jahr für Jahr.

      In Dannevoux, die Erbswurst des Fesselballons hing nun über ihnen, wurden sie noch am gleichen Tag in die zusammenge schossene 12. Kompagnie eingereiht. Sie standen kaum fünf Minuten unter ihren neuen Kameraden, da wussten sie, dass am zweiten Feiertag nachmittags vier Uhr gestürmt werden sollte.

      Nun war die Kompagnie angetreten. Der Feldwebel rief die Namen der Neuen auf, teilte sie den Gruppen oder Sonderfunktionen zu.

      „Lindolf! Sie haben das Einjährige?“

      „Jawohl!“

      „Melder. He, Bernöckel, hier ist der zweite Melder. Wo ist der Leutnant? Nicht da? Sobald Sie den Leutnant sehen, melden Sie sich bei ihm als Gefechtsordonnanz.“

      Töz sagte, als Lindolf an ihm vorbei sich wieder in die Reihe stellte, jetzt neben Bernöckel, dem anderen Melder: „Arme Lucie!“

      Langsam dämmerte es Lindolf auch, dass er einen der gefährlichsten Posten bekommen hatte: Die andern standen, er lief durch den Dreck da vorn.

      Bernöckel sagte gleich: „Na, da wollen wir heut abend Testament machen. Das hat man von seiner Intelligenz.“

      „Wegtreten!“ kommandierte der Feldwebel. Und alles trieb auseinander. Wahllos in das Dorf, in die Gegend, in den Wald hinein. Das Gemurre der Front hörte keiner mehr.

      Bschinng — — —

      „Das war im Dorf“, sagte Bernöckel ruhig. „Schweres Geschütz.“

      „Ob welche tot sind?“

      „Lass doch. Nicht soviel fragen. Immer drücken. Ausser Schussweite. Seit Langemarck hab’ ich die Neese plein! Aber was ist zu machen?“

      Bernöckel war Gefreiter. Im übrigen so etwas, was man einen schlappen Hund mit grosser Schnauze nennt. Berliner. Student im ersten Semester, als der Krieg ausbrach.

      „Ist das eklig — Melder?“ fragte Lindolf.

      „Bin es auch zum ersten Mal, früher oder später kriegt’s den Melder immer, überhaupt da vorn — Junge, Junge, die Blumentöpfe fliegen da in ganzen Plantagen —“

      „Kann man sich gar nicht in acht nehmen? Hat sich gar kein Brauch herausgebildet — so hinlegen — hört man überhaupt die Granaten, die aus der Höhe kommen —?“

      „Quatsch nicht heut schon von dem Dreck, Lindolf. Du wirst alles erleben. Nichts kann man machen. Man hält es aus. Der eine so, der andere so!“

      „Ich habe noch keinen hier draussen kennen gelernt, der so der Typ des mutigen, braven, vaterlandsliebenden Feldsoldaten wäre, wie ihn die Heimat sieht.“

      „So in der schönen, neuen, grauen Felduniform, wat?“ lachte Bernöckel. „Den gibt’s nicht. Selbst unter Offizieren und Unteroffizieren, die sich schustern wollen, stirbt diese Gattung aus, sobald das Kohlenkastenschmeissen da vorne beginnt.“

      „Wenn jetzt das Regiment anträte und jeder seines Eides entbunden würde —“

      „Kein Mensch hätte den Eid geschworen, wenn er ihn an der Front schwören müsste, wenn er wüsste, wie das aussieht, das Feld der Ehre — ja, Hunde, die was für sich selbst mit dem Tod erkaufen wollen — ganz ehrgeizige Hunde — solche gibt’s einige — aber sonst —“ schimpfte Bernöckel.

      „Hör zu,“ sagte Lindolf und sah Bernöckel in die merkwürdig trüben Augen und auf die welke Haut, (der Mann ist ja vollkommen mit den Nerven herunter, dachte er) „hör zu, wenn jeder seines Eides entbunden, gefragt würde: Willst du weiter schiessen? Soll weiter geschossen werden? Hier und drüben? Es gäbe doch nur eine Antwort. Nein!“

      „Natürlich!“ sagte Bernöckel. „Aber nun ist es losgegangen. Wer soll zuerst aufhören. Wir?“

      „Nein.“

      „Die andern, in deren Land wir sitzen?“

      „Sie kämpfen bis zum Aeussersten.“

      „Also?“

      „Der Krieg nimmt nie ein Ende.“

      „Nie — ich glaube es auch fast —“

      „Also warten wir ab, was nun kommt. Für uns.“

      „Warten wir ab.“

      „Wir wollen Kameraden sein“, sagte nach einer Weile Schweigen Lindolf. „Echte Kameraden.“

      „Man kann hier nicht unecht sein. Das ist vielleicht das Grosse. Deswegen hat der sinnlos begonnene Krieg einen Sinn — verstehst du? Das Echte, das Grosse, das, was gestern noch keinen Namen hatte, so stark an Gefühlen uns Ueberwältigende — die Reinigung von Hirn und Herzen hat begonnen — an der Front wachen alle auf. Alle. Das Volk wacht auf, die Völker. Sie werden wissend. Keiner wird sich mehr belügen lassen.“

      „Wenn es so ist, dann will auch ich nach vorn,“ sprach Lindolf und sann und sann — — —

      9.

      Die 12. Kompagnie des Reserve-Infanterie-Regiments 313 wurde mit dem III. Bataillon dieses Regiments westlich der Maas bei der Höhe Toter Mann in Richtung auf das Fort Marre, zusammen mit andern Bataillonen anderer Regimenter, im ganzen etwa anderthalb Brigaden, am zweiten Osterfeiertag nachmittags zum Sturm angesetzt.

      Leutnant Wynfrith, der Führer der 12. Kompagnie, meldete sich beim Major Graf Böchlarn zum Empfang der letzten Instruktionen. „Sie sind die dritte Welle. Angriffszeit 4,13 nachmittags.“

      „Wenn noch solch Schlamm ist wie beim letzten Mal, werden wir schwer vorwärts kommen. Wir finden auch keine Gräben vor, wenn wir nicht bis in die Sperrfortkette dringen.“

      „Ich hoffe, dass das Bataillon so weit kommt —“

      „Das wären zwei Kilometer vorwärts. Wir haben schon um 60 Meter mit hohen Verlusten gekämpft. Ausserdem bekommen wir beim Vorwärtsdringen die Höhe 304 in die Flanke.“

      „Divisionsbefehl: nachzudrücken. Sie wissen, auf dem östlichen Ufer sind Douaumont und Vaux schon vor Monaten gefallen.“

      „Heute würden sie auch nicht mehr fallen. Forts können nur überrumpelt werden. Die Franzosen erwarten uns.“

      „Wir müssen es versuchen, Wynfrith.“

      „Jawohl, Herr Graf!“

      „’s ist gut. Lassen Sie antreten.“

      Leutnant Wynfrith stand tiefernst, aber gelassen mit klarem offenen Blick vor seiner aufgefüllten Kompagnie.

      „Seid ihr in Ordnung einigermassen? Der Herr Major will euch sehen — he, Martens, sehen Sie doch die Kerle nach.“

      Wynfrith sah gelangweilt der kommissigen Untersuchung zu.

      „Alles in Ordnung,“


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