Eine Kompanie Soldaten - In der Hölle von Verdun. Alfred Hein

Eine Kompanie Soldaten - In der Hölle von Verdun - Alfred Hein


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rechts —“ kommandierte Wynfrith ein wenig lässig. Was soll dieser Betrieb?

      Dann meldete er. Der Graf nahm die Meldung mit der eingefleischten schneidigen Grussgebärde entgegen. Jetzt schnarrte er: „Rührt Euch!“ und schritt von Mann zu Mann.

      „Die neuen vortreten!“

      Unteroffizier Liebetanz, Gefreiter Krauss, Lindolf, Töz, Hirschfeld, Pechtler, und alle die dreissig, die gestern so fröhlich hermarschiert waren, traten mit ernsten Gesichtern vor.

      „Ihr wisst, dass hier grosse Kämpfe im Gange sind. Vielleicht die Entscheidungsschlacht. Ich hoffe, ihr werdet meinem Bataillon wie alle andern hier Ehre machen. Es ist für uns alle eine Auszeichnung, unter den Augen des Kaisersohnes als Oberbefehlshaber zu kämpfen — in Tod und Sieg. Ein Zurück gibt’s nicht. Die Festung muss fallen. Nun — nun —“ er wurde unsicher, er sah verständnislose disziplin-unbewegte Gesichter vor sich, keine Begeisterung — „nun, ich weiss — die Stunde ist ernst — mit Gott für König und Vaterland.“

      Die Kompagnie glotzte unbeweglich geradeaus. „Quatsch nich. Krause,“ flüsterte einer.

      Lutz dachte: Das war arg verfehlt. Das waren falsche Töne. Es geht ja um viel mehr als um König und Vaterland. Es geht um den Sieg über uns selbst. Um die Freiheit schlechthin. Dieser Krieg ist ein Fieber. Wir müssen durch alle Krisen. Alle Völker. Nachher werden wir, die es überstehen, um so fester und lebenssicherer sein.

      „Stillgestanden! Die Augen links!“ kommandierte müde Wynfrith. Graf Böchlarn verabschiedete sich. „Mein Stabsunterstand der gleiche wie in den letzten vier Wochen.“

      Wynfrith grüsste stumm. Der Major ging. Dann wandte sich Wynfrith zu seinen Leuten:

      „Rührt euch. Wir marschieren heut abends 7½ Uhr ab. Feldwebel! Gutes Essen! Für die Neuen: Der Marsch in den Graben dauert 4—5 Stunden. Sturmgepäck. Alles Ueberflüssige hier lassen. Ich hoffe, dass wir alle — möglichst alle — in vier Tagen wieder hier stehen. Die Melder —!“

      Lindolf und Bernöckel sprangen vor.

      „Heisst?“

      „Lindolf, Herr Leutnant.“

      „Bleiben immer an meiner Seite. Keine Angst, Junge. Es ist halb so schlimm, wie es vorher aussieht.“

      „Ich habe keine —“ wollte Lindolf abwehren. Aber er fühlte selbst, wie unecht das klang.

      „Ich weiss, ich weiss. Du willst keine haben. Aber bange zu Mute ist uns allen. Immer wieder. Na —“ Er streckte ihm die Hand hin. „Und Bernöckel, alter Knabe? Noch immer kein Heimatschuss?“

      „Nein, Herr Leutnant.“

      „Wie lange?“

      „Seit Langemarck ununterbrochen draussen — 17 Monate.“

      „Ich auch — von der Marneschlacht bis heute — und man lebt — — —“

      Lindolf wollte seinen Leutnant umarmen.

      „Fresst euch satt, Jungens. Vorn gibt’s vielleicht nichts — Auf Wiedersehn.“

      „Auf Wiedersehn —“

      „Mit dem Leutnant haben wir Schwein, was?“ sagte Lindolf.

      „Ja, er ist besser als mancher andre. Darum pfeifen die Kugeln nicht weniger in seiner Kompagnie,“ sagte gähnend Bernöckel.

      Plötzlich ein Schuss in einem der Quartiere — —

      Alles lief zusammen. Da trug man einen kräftigen rothaarigen Mecklenburger hinaus — beim Gewehrreinigen war dem ungeschickten Hirschfeld ein Schuss losgegangen, er hatte vor der Reinigung zu entladen vergessen —

      „So stirbt man auf dem Felde der Ehre,“ sagte ein Gefreiter in lehmgrauer Uniform, also einer von den Alten der Kompagnie. „Vorn kommt man durch, daun knallt einem solch ein Dussel die Bohne in den Rücken.“

      Hirschfeld stand zitternd mit halb irrem Blick im Winkel. Schon in der Garnison hatte der kleine Jude dauernd Pech. Alle, vom Kompagniechef bis zum kleinsten Flügelmann, sahen ihn schon in Döberitz als minderwertig an. Nur zu Lindolf hatte er Zutrauen.

      Lindolf fragte aber jetzt auch böse: „Warum hast du das getan?“

      „Es ging los —“

      Da sah ihn dieses grossnasige, glotzäugige Gesicht über der ewig verrutschten Halsbinde schräg von unten an: Verlass du mich nicht auch noch —

      Bernöckel schrie: „Verdammter Judenbengel! Das hätte mir passieren sollen — ich hätte dir eine gelangt —“

      Da fing alles zu lachen an über die Unmöglichkeit, sich mit der todbringenden Gewehrkugel im Leib zu rächen.

      Lindolf sagte zu den andern: „Dem wird immer die Kugel an unrechter Stelle losgehen. Es gibt solche Menschen. Er trägt ja selbst am schwersten daran. Er hat eine gute Seele. Es gibt nur nichts Ungeschickteres auf der Welt.“

      Jetzt kam der Feldwebel. Auch der pfiff Hirschfeld an, sprach was von Meldung und Arrest. Und von allen jämmerlich verachtet sass Hirschfeld an einem Pfeiler und weinte bitterlich.

      So war dieser letzte ruhige Nachmittag verstört durch Tod und Begräbnis.

      Doch so gegen fünf Uhr begann man zu saufen und eine sich immer höher steigernde nervöse Heiterkeit in Gang zu bringen.

      Dazu ass man ohne Unterlass. Hastig. Soviel wie möglich. Brot, Zwieback, Fleisch, Nudeln, Schokolade.

      Lindolf hielt sich abseits. Er hockte am Waldrand und sah die Sonne sinken. Er liebte die Birken, die vor ihm in erstem Frühlingsgrün sich im Winde wiegten. Er sah über die Dächer des Soldatendorfes hin, wo nicht ein Zivilist mehr wohnte — Frontland — — —

      Und doch stille Wolken darüber. Und ein Vogellied.

      Er begann zu schreiben: an die Mutter, beruhigend, zuversichtlich, es ist alles halb so schlimm, und an Adelheid: — — Ich weiss, dass du nicht verstehst, worum es hier geht. Nicht um Epauletten und Eiserne Kreuze, es geht um den Aufruhr der Seele. Die Welt fiebert. Wir sind die Bazillenheere, die den Fieberkampf auslösen. Gift und Gegengift, auf dass alle gesunden. Grüss mir Berlin. Ist es noch da? War ich vor einer Woche noch in Deiner Nähe? Ich küsse Dich, heut’ abend geht es nach vorn. Dein Lutz.

      10.

      In lockerer Marschordnung, zu zweien und dreien, zog die 12. Kompagnie R.J.R. 313 gemächlich an die Front. Das Gewehr trug jeder, wie er wollte, die Schritte gingen durcheinander — es war wirklich die berüchtigte Hammelherde des Kasernenfeldwebels, die jetzt auf den Feind losgelassen wurde. Wie lächerlich wäre es aber auch gewesen, mit Gewehr über in Gruppen rechts schwenkt marsch zu marschieren — Lindolf dachte an seinen Hauptmann Koesel, der dem Exerzieren immer vorzeitig ein Ende machte in der richtigen Erkenntnis, es hat ja alles vorne keinen Sinn. Wozu bloss dieser Schliff? Wieviel harte Herzen hat er geschaffen? Rebellen gegen die Exerzierknute. Statt die Seelen vorzubereiten, in Freiheit mutig, für den grossen Kampf. Nun mussten sich die Seelen trotz des widerlichen Kasernenballasts mit all seinen verdriesslichen Schikanen in wenigen Stunden freimachen für den grossen Gang in den Tod. Als dumme Jungens wurden sie in den Garnisonen behandelt, nun verlangte man, dass sie Männer seien.

      Ja, hier schritten Männer. Auch die fast Knaben waren, schritten weise und gelassen. Aber dies geschah trotz des Garnisonexerzierens.

      Leutnant Wynfrith sann vor sich hin. Bernöckel rauchte nervös eine Zigarette nach der andern. Er sah käsebleich aus und hatte sicher Fieber. Zu Hause wäre er im Bett geblieben, so schlecht fühlte er sich, abgekämpft. Doch solange man nicht wirklich umsank, sah alles wie Feigheit aus.

      Sie verliessen das Dorf, die Strasse neigte sich, gerade holte man den Fesselballon ein. — „Na, ihr Etappenschweine, ihr macht Feierabend —“ rief man aus der Kompagnie den Luftschiffern zu, die sich wortlos diese Gemeinheit einsteckten. Was sollten sie viel sagen? Sie wussten, mit ihrem Ballondienst


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