Eine Kompanie Soldaten - In der Hölle von Verdun. Alfred Hein

Eine Kompanie Soldaten - In der Hölle von Verdun - Alfred Hein


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an Metz vorbei, lassen Sie ihn doch da ein halbes Jahr auf Festung karren, Vize!“

      „Hoho, dann ist der Dreck inzwischen zu Ende, nee, nee, Wittke kommt mit!“

      „Schwefelbande!!“ Nun musste der Vizefeldwebel mitlachen. Der Kasernenhofton zog nicht mehr. Er war unecht geworden.

      „Wir haben hier nur Kaiserprimeln, so eine Zigarette möchte ich auch rauchen,“ deutete Pechtler frech auf die türkische Zigarette Meinards. Was der Hamburger Bierkutscher unter Kaiserprimeln verstand, war wirklich ein pestmässiges Kraut.

      Der „schwarze Spiess“ holte sein Zigarettenkästchen heraus, Pechtler nahm acht Stück, für jeden im Abteil zwei, verteilte sie mit hochnäsiger Grazie und winkte dann Meinard, wie wenn er Kompagniechef wäre: Sie können gehen.

      Alles lachte. Auch der Vizefeldwebel sagte lachend: „Verfluchter Hund, na warte draussen —“

      „Als wie icke, und nochmal draussen? Da können Sie eher — (Pechtler machte eine Weddinggeste) — Herr Feldwebel!!“

      „Halt die Schnauze!“ schrie der Spiess.

      „Na, gehen wir für heute schlafen —“

      „Die Grenze —!“ rief Lutz.

      „Lucie kriegt wieder hysterische Anfälle,“ höhnte Töz.

      „Lass den Jungen, er fährt in den Krieg,“ hänselte Wittke dazu.

      „Schlafen!!“ schrie Pechtler so energisch, dass der schwarze Spiess auch entschwand.

      Als Lutz aufwachte, hate er schon im Halbschlaf gefühlt, dass der Zug seit Stunden hielt. Die Furcht, am Ziele zu sein, zwang ihn unterbewusst, solange wie möglich diesen Schlaf auszudehnen, obwohl er alles andere denn bequem lag — als den Dünnsten und Jüngsten hatten ihn die drei alten robusten Knaben ins Gepäcknetz verfrachtet, während sie Bänke und Gang einnahmen.

      Lutz spürte durch die krampfhaft noch zugehaltenen Augen, wie der Morgen dämmerte. Eine merkwürdige Totenstille lag über dem stehenden Transportzug. Nur Schnarchtöne schwangen durch die stickige Luft.

      Aber schliesslich liessen sich die Augen nicht mehr zuzwingen. Es ist ja doch egal, mit diesem ollen ehrlichen Soldatengefühl zog Lutz den Vorhang ein wenig beiseite: Sedan!

      Zug neben Zug stand auf den Geleisen. Jetzt setzte sich der eigene Zug langsam in Bewegung, fuhr zurück, fuhr wieder vorwärts, man wurde umrangiert. Richtig, hier bog ja die Strecke nach Verdun ab — gen Südosten. — —

      Das also war Sedan. Ein Rangierbahnhof. Mit preussischem Betrieb.

      Was hätte er als Junge darum gegeben, in Sedan gewesen zu sein. Wie oft hatte er am 2. September Hurra geschrien, Gedichte aufgesagt: Nun lasset die Glocken von Turm zu Turm durchs Land frohlocken im Jubelsturm — —

      Heut? Ein Knotenpunkt für Truppentransporte. Nur etwas wie Nationalstolz überkam Lutz jetzt: Wir Sieger im fremden Land! Nein, es war alte Landsknechtsfreude — der Stolz, zu dem stärkeren Volk zu gehören — — er wusste, irgendwie war dieser Geist schlecht und brutal und gross und gut zugleich. Wenn man nur genau wüsste, ob man sich wirklich nur verteidigte, den Feind fernhielt vom eigenen Land — dann geschähe ihm ja recht. — Aber dies Letzte, dies Entscheidende, blieb ewig verworren.

      Der Transportzug zog jetzt so vorsichtig dahin, dass man zu Fuss nebenher laufen konnte. An die Front. Flieger surrten schon in der Luft. Aber noch waren es nur deutsche, die von der Morgenbeobachtung zurückkehrten. Das Schlachtfeld von Sedan, der Ardennerwald lagen im Frieden. Plötzlich war alle Bedrücktheit fort. Lutz stand auf der Weltbühne. Er spielte den Kriegssoldaten zwischen Sedan und Verdun. Das grosse Geschehen holte auch von seiner Seele den heldischen Tribut.

      In Mouzon gab es Kaffee. Er trank Schluck für Schluck mit Andacht. Er brach das Brot sinnbildhaft. Er hörte die Lerche. Blumen pflückte er und nannte sie „Kinder blutgetränkter Erde“. Noch war’s still ringsum. Und wie mild, wie gütig Frankreichs Frühling! Dort drüben bestellten Feldgraue den Acker. Sie sangen heimatliche Lieder. Sie waren Bauern wieder. Wo aber mochten die Menschen sein, die dieses Land Heimat nannten? Vertrieben oder tot? Auch wir vertrieben, auch wir vielleicht tot?

      Immer wieder vertreiben sich die Menschen aus ihrem Paradies, aus der Heimat. Wir sassen zu lange zu Haus.

      Lutz sah sein Gewehr an, das schon scharf geladen war. Der Mann hatte Sehnsucht nach der Waffe.

      Wir Jäger des Lebens. Wir Abenteurer.

      „Na, Lucie —?“ fragte Wittke. „Träumst von Backobst mit Klössen, oller Usinger —?“

      Lutz schüttelte nur mit dem Kopf und gab dem Kameraden die Hand. Klössen — — Klösel — — alter Hauptmann — war das erst vorgestern, da du sagtest: „Macht’s gut!“

      Ich will es gut machen.

      Die Welt soll sich gut machen.

      Was aber ist das Gute?

      Das Wahre.

      Ja, das Wahre — — o zärtlicher Himmel über mir, wo?

      6.

      Da lag, schön wie in einem Ritterspiel, die Bergfeste Dun an der Maas — hier assen sie zu Mittag. Aber als der Zug stillstand, ging ein Murmeln weiter, und es waren nicht mehr die Räder, die da leise und monoton murmelten, es kam von ferne her, und es sprach vom Tod.

      Eine halbe Minute, und schweigend sahen sich alle an. Dann schwatzte man wieder. Und langsam ebbte auch das innere Zittern in den Stimmen ab, bis ein derber Witz explodierte und ein extra lautes Gelächter sich über das spukhafte Murmeln erhob.

      Lutz träumte abseits vor sich hin, wie es seine Art war — Du schönes stolzes Frankreich! sann er in die heroische Maaslandschaft hinein. Und dann wanderten die Gedanken den Weg zur Stadt hinauf entlang und wieder hinab am Fluss dahin — ach, Adelheid, wenn du die wärest, die ich mir träume — du aber ahnst nicht, wie gross und schön und einsam-herrlich das Leben sein kann. —

      Solch liebende Wanderung hier am sanften Strom, horch, Glocken fallen aus der Stadt, sie suchen Gott, für uns, für die Feinde — ich weiss es nicht, aber es ist schön, Tränen habe ich, siehst du, Adelheid, du aber trinkst Sekt mit deinem Unterarzt und ihr sagt vielleicht mitleidig: Der arme kleine Lindolf, wenn er fällt — ein braver Schiesssoldat in seiner Uniform. Sie war ihm viel zu gross, lacht Adelheid.

      „Mal herhören!!“ sagte ein fremder Oberleutnant. „Ihr könnt jetzt in die Stadt gehen, bis fünf Uhr, dann fährt der Zug weiter.“

      „Wohin?“ schrie einer.

      Alles lachte die Antwort. Bis fünf — drei Stunden frei. „Viel boku! Bon fortzionös!“ schrie Töz. „Sind noch Weiber da?“ brüllte Pechtler dazwischen. Und dann zerstob alles in Trupps und Gruppen, die Maashöhe hinauf, wo die Stadt wartete, fast unversehrt, nur wenige Ruinen — doch von ferne murmelte es zu jedem Wort, zu jedem Schritt.

      Die Estaminets waren von den sechshundert Soldaten des Transportzuges im Nu gefüllt.

      Das Kauderwelschen begann.

      „He, Madame, einen — (Nun kam die Schuapsgeste) zum bon choucher!“

      „Oui, Oui!“

      Die Kellnerin, dürr und ausgemergelt, wurde beim Bestellen und Servieren betastet, gezwickt und gedrückt, ein müdes Lächeln, das das Ekeln vor sich selbst und vor der Welt verlernt hat, war auf ihren Lippen erstarrt.

      Einer gab ihr durch Gesten zu verstehn, dass sie verwelkt sei: Malheur! Malheur!

      Alles lachte.

      Sie aber wurde jetzt zornig und stiess mit letztem Feuer hervor: „C’est votre guerre!“

      Dann trat sie zu Lindolf, der mit einem fremden Kameraden aus einer andern Ersatzkompagnie abseits von den Lärmenden sass, und sah ihn fragend an.

      „Kaffee!“

      Sie


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