Eine Kompanie Soldaten - In der Hölle von Verdun. Alfred Hein

Eine Kompanie Soldaten - In der Hölle von Verdun - Alfred Hein


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Einschläge, die näher kamen, heraus.

      Doch Lindolf dachte: Vorläufig ein Abendspaziergang. Da ist der Friedhof — hier ein Soldatengrab — da eine zerschossene Mühle — dort ein anderes Dorf — letzter Abendsonnenschein — der Mond —

      „Wann kommen wir ins Feuer? In wieviel Stunden?“ fragte Lindolf den Leutnant.

      „In zwei so richtig, in einer kann es schon vereinzelten Zunder geben.“

      Da trank Lutz noch einmal das Leben, das in allen Adern und Nerven so lebensstark wie nie gefühlte Leben in vollen Zügen. Alles erwachte aus der Vergangenheit: Kindheit, Studienzeit, Weihnacht, erste Liebe, Berlin, die Fahrt durch Deutschland, die letzten Tage, und Adelheid. Aber er zürnte ihr nicht. Die Stunde war gross, und eine tiefbeseelte Adelheid erschien ihm gütig in dieser Stunde, wie sie nicht lebte, aber wie er sie träumte, wie er sie brauchte in seiner grossen Not zwischen Leben und Tod. Das verklärte Finale aus der Egmont-Ouvertüre umkreiste ihn — der Schritt der Kameraden um ihn, vorwärts, vorwärts —! Wohin? In die grausigste, die Seele hochtreibendste Mannestat — er blieb stehen und liess seine Kameraden vorbeimarschieren. Er wollte ihre lebendigen Gesichter sehen. Er verbarg diese seelische Wunde mit der Frage nach nichtigen Dingen. Er, der Schweigsame, wurde gesprächig. Er horchte auf seine Stimme und liebte sie, dass sie noch so jung und schön klang in all dem Graus. Und alle waren weich im Herzen und antworteten gern.

      Dann lief er wieder zur Spitze der Kompagnie an des Leutnants Seite. Gerade kam ihnen eine in Ruhestellung ziehende Kompagnie entgegen. Der Leutnant fragte den ersten Vorbeikommenden, es waren 127er — —: „Euer Leutnant?“

      „Hops gegangen. Hier der Vize führt.“

      „Guten Abend,“ grüsste Wynfrith. Der Feldwebel nickte.

      „Wie sieht’s aus, noch immer so lehmig, dass man bis in die Knie stecken bleibt?“

      Der Feldwebel nickte. Die Stimme schien ihm vor Entsetzen zugefroren.

      „Starke Verluste?“

      Der Feldwebel liess wegwerfend die Hand zur Seite fallen. Dann zog er ohne Gruss weiter.

      „Die haben die Nase voll!“ sagte Wynfrith.

      Keiner der 127er antwortete auf die Zurufe aus der zur Front rückenden Kompagnie. Sie dösten geistesabwesend vor sich hin: Ruhe, nur Ruhe!

      Bschirr — ing — —

      Lindolf warf sich hin. Alle Neuen hatten sich, wie sie es auf dem Exerzierplatz gelernt, hingeworfen. Wynfrith sah lächelnd auf den am Boden klebenden Lindolf.

      „Die ist bloss aus Versehen hierher geraten — im übrigen, entweder aufrecht gehen oder gebückt, oder kriechen — aber dies Hinschmeissen nach dem Knall, ist ja Quatsch — hättest ja den Dreck längst weg, Junge —“

      Nun waren aber die Nerven der Kompagnie aufgerührt. Wie spähendes Wild näherten sie sich der Hügelkette, hinter der es schon ganz tüchtig rumorte.

      Das Gelände stieg an.

      „Marschordnung lockern! Aber nicht abreissen! Bernöckel, gehen Sie am Ende mit Unteroffizier Glaser! Nicht abreissen!“

      Die Zwischenräume zwischen den einzelnen Leuten wurden langsam verdreifacht. Die kleine Kompagnie zog eine Riesenschlange durch das nächtige Land.

      Nun gab es keine ebene Strasse mehr. Rings in den Februarkämpfen zertrichterte Wiesen und Aecker. Drahtverhau lag herum. Jetzt sprang Mann für Mann über die alten Gräben, aus denen die Offensive im Februar hervorgebrochen war, und die heute friedlich dalagen, wie es schien, schon mit Moos sich bedeckten —

      Jetzt — auf der Hügelkette — — zwanzig bis dreissig Leuchtkugeln in der Luft, die goldgelben der Franzosen, die weissen der Deutschen, aufblitzende Krater, zum ersten Mal deutlich zu hörendes Maschinengewehrgetacke und Gewehrgeknatter — die Front. Da, wo das grosse Feuerwerk tobte, das war die Höhe 304.

      Wynfrith sagte: „Hier bin ich im März selbst vorgegangen mit meiner zwölften. Was, Striese, — du warst ja noch dabei?“

      „Ja, Herr Leutnant. Und morgen wieder?“

      „Ja, morgen wieder.“

      „Wann wird der Dreck ein Ende haben?“

      „Striese, was nutzt das Maulen.“

      „Herr Leutnant, geben Sie mir eine Zigarette.“

      „Hier, Alter.“

      Der Tote Mann, über den die Kompagnie jetzt marschierte, hatte Granatennarben um Narben und war ein einziges Massengrab.

      Wumm — ging plötzlich mit Höllenkrach und wildem, blendendem Blitz vor Lutzens Augen ein Kanonenschuss los.

      „Uns’re Artillerie —“ erklärte Wynfrith, „die über unsere Köpfe hinweg die Franzosen auf 304 beschiesst. Die Front biegt hier rechtwinklig um. Diesen rechten Winkel sollen wir morgen ausplätten mit unserm Angriff.“

      Ausplätten — schön gesagt — dachte Lindolf. Die Batterie machte einen Höllenlärm, die Granaten pfiffen hörbar über die Köpfe der Kompagnie weg — — bsching — tüüü — bsching —

      Wynfrith duckte sich. Alles folgte seinem Beispiel. „Nicht abreissen!!“ Der Leutnant wusste, die ersten Schüsse dehnten die Kompagnie ins Endlose — „Lindolf, zurücklaufen und zählen, gleich wieder herkommen.“

      Lindolf lief die geduckten, zögernd schreitenden Gestalten entlang. Alles war verstummt. Nun kam ihm seine verträumte Musterung der Gesichter vorhin — ist es erst eine Stunde her? — zugute. Er sah — ja das war Bernöckels blasses Gesicht — alle waren noch zusammen.

      „Sag dem Leutnant, Gefreiter Kirsten ist verwundet. Ist bereits abgehauen. Schulterschuss.“

      So, so, dachte Lindolf, einer verwundet.

      Bsching — bsching — in dichter Aufeinanderfolge, wahllos hie und da, ferner und näher, sausten die Granaten in die zerspritzende Erde.

      „Oh —“ stöhnte einer neben Lindolf nieder. Es war also in der Nähe eingeschlagen. Lutz lief zum Leutnant. Da starb einer — er aber meldete ganz ruhig: „Kompagnie ist vollzählig. Gefreiter Kirsten verwundet. Eben einer gefallen neben mir ...“

      „Ja, gut“, sagte Wynfrith. Nichts von Feuertaufe, Heldentod. Wie lächerlich solche Ausdrücke — — —

      Die Kompagnie ging Schrit für Schritt vor. Das war ein Heldengang ohne Beispiel aus der Geschichte. Seit Jahr und Tag traten jede Nacht ohne Pathos und Trara Kompagnien um Kompagnien bei Freund und Feind diesen Gang durch Eisen und Tod an. Stählerne Männer. Aber nicht solche, wie sie bei Sedanfeiern gepriesen werden. Ernste Soldaten. Sehr ernste. Das war kein frischer fröhlicher Krieg. Das Morden tobte. Dennoch hielten die Herzen stand. Bis in den Tod.

      Wofür? Das fragte keiner mehr. Man dachte nur: Gut, dass diese Verwüstung der Landschaft in Feindesland geschah. O ferne Heimat, lebst du noch —? Ihr wisst ja nicht. Kein Heldenlied, kein Armeebericht, keine Auszeichnung kann deutlich machen, was hier geschieht.

      Unter den vorsichtigen langsamen Schritten der geduckt Vorwärtsdringenden knirschte zermürbtes Gestein.

      „Wir sind gleich im Laufgraben, dies hier ist Béthincourt — gewesen,“ sagte der Leutnant.

      Und nun sprang jeder in den Graben hinein. Ganz nahe Maschinengewehrgetacke. Die Kugeln pfiffen irgendwo hier vorbei. Granateneinschläge waren ringsum und schon weit hinten im durchmarschierten Gelände.

      Mitten drin.

      „Lindolf — zählen — dann nachkommen — oben laufen — im Graben kommen Sie nicht durch —“

      Und Lindolf zählte zum zweiten Male die Kompagnie. 51, 52, 53 — abgerissen. Wo ist der nächste?

      Er schrie in den Höllenlärm: „Hallo! Bernöckel!“ Da tauchte aus dem Boden ein Schipper auf und holte mit dem Spaten


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