Eine Kompanie Soldaten - In der Hölle von Verdun. Alfred Hein

Eine Kompanie Soldaten - In der Hölle von Verdun - Alfred Hein


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macht Eroberungen!“ brüllte Wittke aus dem Haufen, der um den grössten Tisch in der Mitte sich lümmelte und räkelte.

      Die Kellnerin sah die Johlenden giftig an. Sie schrie in ihrer Sprache: „Wenn alle so wären wie die beiden Knaben, gäbe es keinen Krieg, ihr Hunde!!“

      Lindolf verstand ungefähr mit seinem Schulfranzösisch, was sie meinte, und sah sie zärtlich an.

      Zwischen dem Tisch Lindolfs und dem grossen Tisch lagerte sich plötzlich etwas wie schlecht verhohlene Feindschaft. Das Weib machte parteiisch, weil es ganz den ureigenen Gefühlen folgend ungerecht Partei ergriff und Vorliebe zeigte.

      Plötzlich aber wurde ans Fenster geklopft und mit einer schmutzigen Gebärde zeigte Pechtler, dass er etwas viel Feineres und Verlockenderes gefunden hätte.

      Einer nach dem andern verschwand so schnell wie möglich, sein Glas hinunterkippend. Dann folgten sie Pechtler mit grossmächtigen Reden, die Begierde im Blick.

      Sie vergassen noch einmal. Die gemeine Lust hielt ihre Sinne völlig befangen.

      Lindolf und der fremde Kamerad und die welke Kellnerin sassen indes stumm zusammen. Die Minuten rannen. Und keiner wusste, warum sie unter solchen Rätseln und Qualen verrannen.

      „Ick — nix mehr — schön!“ sagte wehmütig die Kellnerin.

      „Oh — votre coeur est bon!“ sprach der fremde Kamerad.

      Lutz streichelte die Kellnerin über die Wange. Er streichelte Frankreich. Und irgend etwas sprach ihn bei allem verstandesmässigen Widerlegen schuldig.

      Er hatte mit dem Morden da vorn nichts zu tun.

      Aber er konnte auch nicht feige sein.

      „Komm, Kamerad. ’s ist Zeit! Adieu!“

      „Adieu!“ Die Kellnerin wollte ihnen nachrufen: „Kämpfen Sie glücklich!“ aber das Gefühl: sie sind trotz allem Feinde, hiess sie schweigen. Dennoch war sie unzufrieden mit sich, dass sie schweigen musste. Was ging sie dieser fürchterliche Krieg an?

      7.

      Als die Sechshundert wieder antraten, die meisten fluchend und missmutig, nun langsam und sich ekelnd aus dem Alkohol- und Geschlechtsrausch erwachend, da fanden sie statt des Zuges Trümmer vor. Ja, jeder hatte dumpfe Knalle gehört — also Bomben haben die Franzmänner schon auf ihren Zug geschmissen.

      Nun standen sie da — das Gepäck war futsch. Die Offiziere eilten mit blassen, aufgeregten Gesichtern hin und her. Der Transportführer, ein Hauptmann, der nur den Ersatz heranbringen wollte, ohne viel Feuer zu verspüren, — auch so bekam er das Eiserne Kreuz — telephonierte aufgeregt mit einem Brigade-Adjutanten. Nach einer Weile kam er aus dem lädierten Bahnhofsgebäude heraus:

      „Wir müssen sofort nach Mouzon marschieren! 14 Kilometer! Dort werden wir neue Sachen empfangen. An die Gewehre!“ Die Gewehrpyramiden standen unversehrt jenseits des Bahnhofs. „Ohne Tritt marsch!“

      „Ob Tote sind? Verwundete?“ Ein paar waren freiwillig zur Bewachung des Zuges zurückgeblieben.

      Nein. Keiner tot, keiner verwundet. Sie hatten alle, einschliesslich der Bahnhofsbesatzung, beim Herannahen der Flieger in einem bombensicheren Unterstand Deckung genommen.

      Alle atmeten auf, weil keiner tot war. Denn wenn erst der Tod in die Reihen sich einzufressen beginnt, heute den, morgen den — auch das wird kommen.

      Sie sangen. Auch die bei der Dirne waren, sangen hell und froh. Der Fliegerangriff hatte sie wieder von dem Dreck, den sie in ihre Seele geschüttet, gereinigt. Sie taten die Schweinerei mit einer Handbewegung ab.

      In Mouzon wurden sie mit neuen Tornistern, Spaten, Handgranaten und Mänteln versehen und dann noch in der Nacht erneut in Marsch gesetzt, weil es kein Quartier hier für sie gab. Nach Brieulles. Zwanzig Kilometer.

      Fluchend und schwitzend kamen sie gegen Morgen dort an. Stumm. Lauter murrte die Front hier. Die Kirche, in der sie untergebracht wurden, hatte zersprungene Fensterscheiben und ein durchlöchertes Dach. Aber sie sahen nicht die Bombenlöcher ringsum, sie gingen hinein, warfen sich in irgendeinen Winkel.

      Als Lutz schon im Halbschlaf war, erkannte er von ungefähr plötzlich, dass er unter dem Taufkessel lag. Richtig, er hatte ja in die Steinmulde da über ihm seine Siebensachen hineingeschmissen. Er sah zur Seite. Da schaute ihn Maria aus dem Altarbild an und zu ihren Füssen kniend, mit dem Helm auf dem Haupte, Jeanne d’ Arc.

      Der Name der Nationalheldin stand auch auf dem unteren Rand des Taufkessels, und beim Schein seiner Taschenlampe entzifferte Lutz, dass die heilige Johanna hier getauft worden ist.

      Leben, Leben, was führst du für seltsame Wege. Die Jungfrau von Orleans, diese Schillerfigur, dieses dichterische Phantasiewesen, das sie immer für Lutz bisher war, hier wurde sie ihm erst lebendig. Er dachte an die erste Aufführung der „Jungfrau von Orleans“ in seinem Leben, als Quartaner sah er sich sitzen in dem kleinen Theater — zu Hause — — ach, wie leicht, wie zauberleicht jene Zeiten — — nun schlief er unter dem Taufkessel der Jungfrau, und in dem heiligen Steinbecken, in dem die Jeaune d’ Arc eine Christin wurde, lag sein Tornister, lag sein Helm.

      Neue Verwirrungen erfüllten Lutzens Seele. Er träumte, dass er die Johanna gefangen hatte und so lange misshandelte, bis sie aussah wie die Kellnerin von Dun.

      Grosses Hallo! Befehle: „Sofort räumen die Kirche! Sachen nicht liegen lassen! Raus! Fliegerangriff!“

      Schlaftrunken griff Lutz nach seinen Sachen, stolperte wie die andern sich puffend und drückend ins Freie.

      Nur ein leises Surren war in der Luft zu hören. Plötzlich vier, fünf Knalle —

      Alle warfen sich zu Boden.

      Doch die Kirche stand. Irgendwo auf den Feldern qualmte es und glimmte.

      Alles trottete wieder zurück.

      „Das fängt ja gut an! Verfluchter Saustall hier!“

      Kein Mensch empfand die Lästerung, die in diesen Worten lag, — gelegen hätte, wenn diese Kirche nicht völlig aussah und vor allem roch wie eine Kaserne.

      Lindolf fand seinen Platz unter dem Taufkessel frei und schlief nun traumlos bis in den lichten Morgen hinein.

      8.

      Die sechshundert Mann Ersatz wurden aufgeteilt. Lindolf kam zur zwölften Kompagnie des Reserve-Infanterieregiments 313 und wurde mit dreissig andern Kameraden nach Dannevoux, wo die Kompagnie lag, in Marsch gesetzt. Unteroffizier Liebetanz führte sie.

      Als sie marschierten, sagte einer: „Heute ist Ostersonnabend.“

      Töz, der sich auch in der Gruppe befand, meinte ein wenig beschämt: „Kinder, da haben wir ja gestern am Karfreitag diese Schweinerei aufgeführt. Es ist wirklich allerhand, dass uns dafür die Bomben nicht den Bauch aufgerissen haben.“

      „Was heisst hier Bauch aufreissen? Wer soll uns denn den Bauch aufreissen?“ ein anderer.

      „Gott — das ist so ein Fabrikat der Reichen und der Herrschsüchtigen als Leuteschreck für uns.“

      „Gott lässt sich missbrauchen, weil er im tiefsten Grunde nicht missbraucht werden kann. Aber er ist da. Nicht für uns, für unsern Eigennutz. Aber in uns,“ sagte Lindolf. Und er spürte, wie aus dem Lerchenjubel, den fröhlichen Wolken, dem blauen Himmel und dem jungen Grün auf den Hügeln und an den Bäumen diese Gedanken hingen, die er aussprach, seltsam reif und weise für ihn selbst. Wenn ich zurückkäme aus dem Mord, ich würde wahrscheinlich zehn Jahre klüger und älter sein, dachte er.

      „Ach du — das ist ja Quatsch. War er vielleicht auch in mir, als ich gestern bei dem Weib in Dun war, he?“

      „Er lässt sich nicht zuschütten. Er kann nicht ersticken. Das Tiefste in euch bleibt unberührt. Ihr habt bloss Angst, in die Tiefe zu dringen. Alles erledigt ihr an der Oberfläche eurer Seelen. Und die Völker sprechen


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