Die Diktatur der Triebe. George Lebelle
„Dabei interessiert uns nicht, wie viel der Bürger bereits zahlt. Jeder muss 50 % mehr zahlen. Natürlich werden wir die einflussreichen Bürger schonen. Wir können ja nicht die Kuh umbringen, die uns Milch gibt.“
Er lachte, die Stadträte feixten. Sie nahmen selbstverständlich an, sie gehörten zu den Einflussreichen.
„Aber“, den Arm hochhebend, dämpfte er die ausgelassene Stimmung, „aber wir müssen uns auch neue Einnahmequellen ausdenken, mit denen wir den Kampf gegen die Aufständischen und Landesverräter finanzieren können. Dabei geht es nicht um eine Apfelbaum- oder Fenstersteuer, wie der zu unserem grööößten Bedauern verstorbene Abgeordnete Karl Löbel unterstellt hat“, er grinste breit, und die Stadträte johlten, „sondern um politische Steuern für die Regierung. Dazu gehören Abgaben, die die finanziellen Möglichkeiten der Unterschicht noch weiter einschränken, also höhere Steuern auf Strom, Gas und Benzin, aber auch auf den Eisenbahn-, Bus- und Straßenbahnverkehr, vor allem aber die Erhöhung der Steuern auf Lebensmittel auf 40 %. Die müssen schon am 20. eines Monats nur noch Geld zur Ernährung übrig haben. Dann kommen auch keine Gedanken mehr nach Revolution auf. Für höhere Mieten hat ja der sogenannte Markt schon früher gesorgt, hahaha.
Sie sehen, liebe Abgeordnete, alles ist im Fluss und auf dem besten Wege. Jetzt müssen wir beten, dass die Terroristen, bestehend aus Linken, Gewerkschaften, Heer und Luftwaffe, geschlagen werden. Wir Finanzexperten werden unseren Teil dazu beitragen, so wahr uns Gott und Allah helfe!“
Seine Rede wurde mit heftigem Trampeln und Faustschlägen auf die Tische bedacht. Eine Diskussion war nicht vorgesehen. Man beschloss, im Ratskeller ausgiebig zu Mittag zu essen und danach die Stadtratssitzung fortzusetzen. Das Menü bestand aus Zwiebelsuppe, Grünkohl mit Schweinebauch, Bratwurst, Blutwurst und Kassler und danach Pflaumen in Rotwein.
„So ein Quatsch, einmal in der Woche ein Gemüsegericht ohne Fleisch vorschreiben zu wollen. Der Mensch ist, was er isst. Da wachsen dem die Tomaten auf dem Kopf und aus den Ohren sprießt der Schnittlauch. Hahaha!“
Der Abgeordnete haute sich auf die Schenkel.
Das gemeinsame Mittagessen erwies sich nicht nur als sehr gemütlich, sondern auch als politisch und effizient. Denn es wurden sechzig halbe Liter Bier getrunken, begleitet von zwanzig großen Korn. Am Abend wusste der Stadtverordnetenvorsteher seiner Frau zu erzählen, man habe wichtige politische Entscheidungen getroffen:
„Punkt 1, Punkt 2 und Punkt 3. Punkt 4 habe ich vergessen. Aber alle waren dafür.“
Torkelnd war er seinem Auto entstiegen. Er wusste, dass die Polizei andere Aufgaben hatte, als brave Bürger an ihrer „freien Fahrt für freie Bürger“ zu hindern.
Um halb zehn lag er im Bett und schnarchte.
Seine Frau, die sich eine Quizsendung im Fernsehen anschaute, war wieder einmal enttäuscht von ihrem Mann. Sie schaltete auf einen Pornosender um und griff sich zwischen die Schenkel.
An dem Fenster, das bis zum Boden reichte, schob sie Vorhang und Gardine beiseite und zog Rock und Schlüpfer aus. Sie setzte sich mit weit gespreizten Schenkeln auf das Sofa. Sie wusste, dass man sie von der gegenüberliegenden Straßenseite gut erkennen konnte. Der Gedanke, jemand würde sie bei ihrem schamlosen Tun beobachten, machte sie hemmungslos lüstern.
Als sie Schritte auf dem gegenüberliegenden Trottoir hörte, richtete sie den Lichtkegel der Stehlampe auf ihren nackten Unterleib.
Nun waren zwei langsam gehende, eher schlendernde Männer zu sehen, die sich offensichtlich unterhielten. Der eine nahm das Licht im Wohnzimmer des Stadtverordneten wahr. Er stieß seinen Kumpel an. Sie sahen eine Frau, die mit der rechten Hand die Schamlippen auseinander spreizte und mit dem linken Zeigefinger immer wieder in ihr Loch stieß.
Die Frau hoffte, die beiden würden bei ihr klingeln. Sie würde sie hereinlassen und so leer melken, dass sie zwei Wochen nicht ejakulieren könnten. Sie keuchte vor Lust.
Aber die beiden Männer gingen weiter.
Sie stellte sich vor, die beiden würden sie jeden Tag besuchen, wenn ihr Mann in der Sitzung des Stadtrats weilte.
Aufgeheizt durch die zahlreichen Kopulationen in dem Film, war ihr Geschlecht angeschwollen und gerötet. Sie rieb und schlug heftig darauf und stöhnte. In dem Film sah sie, wie ein riesiges Glied zwischen nass glänzende Schamlippen fuhr. Sie kreischte und spritzte. Ihr Blick war glasig und sie atmete schwer.
Plötzlich riss sie die Augen auf, weil sich auf der Straße etwas Seltsames bewegte. Sie stürzte zum Fenster und sah eine merkwürdige olivgraue Maschine mit menschenähnlichem Körper marschieren.
Die Maschine drehte den Kopf in alle Richtungen, so als ob sie sich sichern wollte.
Aufgeregt rannte sie in das Schlafzimmer und weckte ihren Mann, indem sie ihn anschrie, er müsse sehen, was da auf der Straße vor sich gehe.
Grummelnd erhob er sich aus dem Bett, noch im Anzug und mit den Schuhen an den Füßen, und schritt rülpsend an das Fenster.
„Oje, wat is dat dann“, lallte er.
Aus dem Schrank im Flur nahm er sein Jagdgewehr, obwohl ihn seine Frau anflehte, er solle wieder ins Bett gehen, er sei ja immer noch betrunken.
Sie konnte „das besoffene Stück“ nicht daran hindern, auf die Straße zu treten und mit dem Gewehr auf die Maschine zu zielen.
Der Roboter erfasste die Situation schneller, als der Betrunkene das Gewehr abfeuern konnte.
Die Frau des Stadtverordneten sah, wie aus dem rechten Arm des Roboters ein weißer Blitz schoss und ihren Mann niederstreckte.
Für den Roboter war das Zielobjekt Gewehr mit dem Sturz des Gewehrträgers eliminiert. Er marschierte weiter in Richtung Heidegrundkaserne, die seit Piepgens Amtsantritt Walhalla-Kaserne hieß.
Die Frau des getöteten Stadtverordnetenvorstehers fühlte sie sich leer, nachdem sie die Leiche ihres Mannes, erledigt durch eine komische Maschine, in den Vorgarten gezogen hatte.
Sie bestellte den Notarzt, der sich insgeheim wunderte, dass keine Giftpfeile den Stadtrat erledigt hatten, sondern massive Verbrennungen im Bereich des Herzens und der Lunge.
Weder der Notarzt, noch die herbeigerufenen Polizisten sahen eine Notwendigkeit, die Todesursache näher zu analysieren. Sie hielten die Aussage der Witwe für „Geschwätz“.
Mittlerweile war es kurz nach drei Uhr in der Nacht und der Roboter war nur noch zwei Kilometer von der Heidegrundkaserne des Heeres entfernt. Am Ortsausgang von Braunlage lud er an einer Tankstelle seine Batterien auf und füllte seine Benzintanks in den Beinen.
Mit leicht schaukelndem Gang bewegte er sich auf der Zufahrtsstraße in Richtung des Haupttores.
Die aus sechs Soldaten bestehende Nachtwache saß vor den Monitoren, deren Kameras die unmittelbare Umgebung des großen Kasernengeländes abtasteten. Der Zufahrtsstraße schenkten sie keine Beachtung. Wer würde sich so exponieren?
„So ein Scheiß, dass wir jetzt zu sechst Nachtwache schieben müssen. Früher haben doch zwei Mann gereicht.“
„Der Major wird schon seine Gründe haben. Das hängt wohl mit den Kämpfen zwischen der Marine und dem Heer und der Luftwaffe zusammen. Vielleicht plant die Marine einen Angriff auf unsere Kaserne.“
„Was? So weit im Binnenland? Das wagen die nie.“
„Seht mal, was ist das denn da draußen?“
„Sieht aus wie ein Roboter.“
„Wie im Film.“
„Die Amis sollen so etwas haben.“
„Wir gehen mal raus und sehen nach, wie das Ding reagiert.“
„Seid vorsichtig, diese Dinger sollen sehr gefährlich sein.“
Die