Ninas Geschichte. Fríða Á. Sigurðardóttir

Ninas Geschichte - Fríða Á. Sigurðardóttir


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als sie. Brachte sie nur mit ihrem Blick zum Schweigen. Und Stefan sagte nichts. Er sagte nie etwas.

      »Der Tag der Abrechnung ist gekommen«, murmelt Gudridur vor sich hin, aber so leise, daß es niemand hört, nicht einmal Fridmey. Das ist auch gut so, denn sie darf kein schlechtes Wort über ihre junge zukünftige Schwiegermutter hören.

      Ein Boot liegt am Strand. Ein unbekanntes Boot von einem weißen Schoner, der nicht weit vom Land ankert. Und es wird schon dunkel. Die Leute gehen, so schnell sie können, hinter Jakob und dem Bauern Stefan her.

      Plötzlich steht Sunneva zwischen ihnen, als wäre sie aus dem Boden geschossen, ruhig wie immer, die Augen vielleicht ein klein wenig dunkler als gewöhnlich, und mit einer Falte um den Mundwinkel, die Stefan dort noch nie gesehen zu haben glaubt. Sie reicht ihm einen großen, schön gearbeiteten, schmiedeeisernen Schlüssel.

      »Der Speicherschlüssel«, sagt der Bauer Stefan verwundert. »Was ist los?«

      »Nicht gerade viel«, antwortet Sunneva, und die Falte wird tiefer. »Aber ihr schaut vielleicht einmal dort hinein, wenn ihr vorbeigeht«, fügt sie hinzu, dreht sich um und ist verschwunden.

      Die Männer blicken einander an. Es ist eine Erleichterung zu sehen, daß Sunneva wohlauf ist, das ist klar, aber genauso klar ist, daß hier etwas nicht stimmt. Sunneva hat nicht die Angewohnheit, ihnen entgegenzugehen, wenn sie vom Felsen kommen, und noch weniger würde sie eine so seltsame Bitte aussprechen, ginge alles mit rechten Dingen zu. Spannung und böse Vorahnungen erfassen sie, und Fridmey erblaßt; Gudridur aber bekreuzigt sich und bittet den Schöpfer um Schutz und Beistand.

      An der Hauswand legen sie ihre Bürden ab und eilen zum Speicher hinüber, dem stattlichsten Gebäude des Hofes, aus dem der süße Geruch von Trockenfisch dringt, obwohl der Speicher geschlossen und halb leer ist. Dort stehen in guten Jahren Fässer und Bottiche voll mit köstlichem Essen und Getränken, wenngleich man nun nach einem langen Winter wenig davon sieht; auf dem Dachboden gut verschlossene Truhen und daneben ein ansehnlicher Haufen Dorschköpfe, an den Sparren da und dort einige Heilbuttflossen und anderer Trockenfisch, nicht zu vergessen die Streifen vom Haifisch, das Angelzeug und allerlei Tauwerk, sowie andere Gerätschaften. Aber nun ist da offenbar noch mehr als das, was den Magen füllt.

      Die Männer stellen sich vor der Speichertür auf. Fäuste ballen sich und Augen funkeln.

      Der Abend ist ruhig, kaum, daß eine Welle gegen die Steine am Strand spült. In der Stille hört man ein fernes Krächzen, drohend und unheilverkündend, und die Frauen schauen einander mit weit aufgerissenen Augen an.

      Stefan geht zur Tür und macht sich an ihr zu schaffen.

      Alle warten gespannt.

      Die Stille wird länger.

      Wieder hört man ein Krächzen in der Ferne.

      Schließlich reißt Stefan die Tür mit einem Ruck auf, und die Männer heben ihre Fäuste.

      Aber nichts geschieht. Aus dem dunklen Innern des Speichers hört man keinen Ton.

      Die Männer gehen vorsichtig hinein, Stefan als erster, Jakob dicht hinter ihm, dann Thorkell und Einar. Die Frauen folgen mit einigem Abstand.

      Im Dunkeln zeichnen sich drei unförmige Haufen weiter hinten auf dem Fußboden ab.

      »Großer Gott«, schluchzt Gudridur und klammert sich an Fridmey. »Sie hat sie umgebracht!«

      »Haben das Fäßchen geleert«, murmelt Stefan da, und mit einem Mal erhebt sich einer der Haufen blitzschnell vom Boden, wie eine Schlange, die zubeißen will, und Gudridur erschrickt so sehr, daß sie vor Entsetzen fast ohnmächtig wird. Es ist ein hochgewachsener Mann von finsterem Aussehen und zu allem fähig; ein dunkeläugiger Mann mit schwarzen Augenbrauen und einer Adlernase, das Haar ungekämmt und lockig. Seine weißen Zähne blitzen, als er die Leute vom Hof ansieht.

      »Eve«, ruft er plötzlich, wahrscheinlich, um sie zu verfluchen, und Gudridur bekreuzigt sich.

      »Eve«, ruft er abermals und lacht, und seine Stimme klingt triumphierend, als er einen Satz auf Gudridur zu macht, die eilends durch die Tür zurückweicht und Fridmey in die Arme sinkt. Der Mann bleibt stehen und schaut abwechselnd die beiden Frauen an, als ob er etwas durcheinander sei, und blickt dann auf den Bauern Stefan und seine Männer.

      Jakob zittert. Jeder Nerv seines Körpers ist angespannt. Es ist etwas in den Augen dieses Mannes, etwas in seinem Gesichtsausdruck, das in Jakob den heftigen Wunsch weckt, die Fäuste sprechen zu lassen. Er muß seine ganze Selbstbeherrschung aufbieten, um ruhig stehen zu bleiben.

      Der Mann sagt etwas Unverständliches und wendet sich dann seinen Kameraden zu, tritt sie kräftig mit den Füßen. Die murmeln etwas und drehen sich weg. Erst nach zwei weiteren unsanften Tritten kommen sie zu sich, blicken sich entsetzt um und springen dann mit erhobenen Fäusten auf. Der Mann aber winkt sie zurück und plappert wieder etwas, aus dem niemand schlau wird, nicht einmal Stefan, der sich im allgemeinen leidlich verständigen kann mit diesen von weit her gekommenen Leuten. Nur dieses eine Wort, das sie immer wieder hören, erkennen sie: Eve. – Eve. Und jedes Mal, wenn er dieses Wort ausspricht, leuchtet ein Lächeln in seinen Augenwinkeln auf, ein Lächeln, das Jakob noch unangenehmer berührt als alles andere. Ein Lächeln, das nicht zu ertragen ist.

      »Jakob«, sagt der Bauer Stefan scharf. Und Jakob hält inne. Kehrt widerwillig an seinen Platz zurück.

      »Hinaus!« sagt Stefan plötzlich streng. »Hinaus von hier!« Und es liegt Zorn in der Stimme, eine Wucht, eine ungewöhnliche Wucht, die überrascht, die genauso unangemessen ist wie Jakobs Heftigkeit, die noch in der Luft vibriert. Denn schließlich ist hier nichts weiter geschehen, als daß ein Fäßchen Branntwein daran glauben mußte. Das ist natürlich ärgerlich genug, aber was ist es schon gegen die Greuel, die hätten geschehen können?

      Die Menschen sind einiges gewohnt hier im Norden, sie müssen meist selbst sehen, wo sie bleiben, meinen aber auch, daß es so am besten sei, und verlassen sich nur selten auf die Anordnungen einer nicht immer sehr weisen Obrigkeit. Man hat also durchaus Anlaß, sich zu freuen. Trotz allem. Und die höheren Mächte für ihre feste und barmherzige Führung zu preisen. Denn es ist ganz klar, wer hier den kürzeren gezogen hat, und das gegenüber einem einzigen Frauenzimmer. Sicher wird man einen so jämmerlichen Aufenthalt wie das Eingesperrtsein im Speicher am hellichten Frühlingstag nicht so bald vergessen. Eigentlich müßten diese ausländischen Tölpel ihr Gesicht verstecken vor Scham darüber, daß sie sich auf so schmähliche Weise zum Narren halten ließen. Aber dieser Mann da scheint solche Gefühle nicht zu kennen.

      Dennoch zeigt der Nachdruck in Stefans Stimme Wirkung, denn der Mann gibt seinen Leuten ein Zeichen. Aber da hat Jakob schon das Hohnlächeln bemerkt, das in dem Augenblick, in dem er sie ansah, über das dunkle Gesicht huschte, ein Ausdruck der Verachtung in dunklen Augen. Und jetzt kann ihn nichts mehr halten. Koste, was es wolle, der Mann mit dem höhnischen Grinsen und dem eingebildeten Blick soll Blut schmecken. Soll bekommen, was er verdient hat.

      Aber Stefan steht im Weg. Schwer und unerschütterlich steht er da, während die zwei Männer ihre Holzschuhe vom Boden aufheben und hinauseilen, um schnell über den Kies zum Strand hinunterzulaufen, zu ihrem Boot. Der große Mann läßt sich Zeit. Sie sehen, wie er sich am Strand umdreht und zum Haus hinaufschaut; er hebt die Hand, als wolle er jemandem zuwinken, dann steigt er ins Boot und verschwindet hinaus in die Dämmerung.

      Eine Unterhaltung über das, was da eben geschehen ist, will nicht zustande kommen, während die Eierausbeute verteilt wird, ganz gleich, womit begonnen wird. Vielleicht ist es Jakobs Blick, der über allem wacht, scharf und stechend. Die Leute verstummen mitten im Satz, ihr Lächeln verfliegt. Und Stefan kommt nicht darauf zu sprechen. Auch nicht Sunneva. Sie spricht nur über die alltäglichsten Dinge. Und lächelt. Als sei nichts Bewegendes geschehen. Und Stefan stellt keine Fragen.

      Gudridur schnauft laut und macht den Mund auf. Aber den Augen Jakobs entgeht nichts, und die Worte ersterben ihr auf den Lippen. Völlig überrascht starrt sie Jakob an, dann wendet sie sich ab. Nie hätte sie geglaubt, daß er, daß Jakob, der Junge, den sie aufgezogen hat, seit Stefan ihn hierher brachte, nachdem sein Vater


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