Oktober. Walther von Hollander

Oktober - Walther von Hollander


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es wenigstens mit Grazie, mit Charme, oder ihr Leben hat einen Zweck). Viel zu schade war Ilse, um einem solchen Mann den Haushalt und die Kinder in Ordnung zu halten und auf Gesellschaften so hübsch auszusehen und so harmlos zu schwatzen, daß die Kollegen und die Vorgesetzten ihn um seine reizende Frau beneideten.

      „Die Großmutter hat es immer gesagt.“ Weiter war aus Ilse nichts herauszukriegen. Aber Maria kannte ja auch die ungeheure Einförmigkeit ihres Lebens, die schneidigen, alles Lebendige beschneidenden Meinungen des Regierungsrats, die unsinnige Ordnungsliebe, mit der er seine Umgebung plagte (er organisierte den Haushalt wie einen Staat), seine Rechthaberei, seine fertigen Meinungen, denen sich alles im Leben zu fügen hatte.

      Der unmittelbare Anlaß des letzten heftigen Streites war also einerlei. Maria hatte den Regierungsrat ein einziges Mal streiten sehen, käseweiß, leuchtend vor Hohn, bissig wie ein Köter, mit kränkenden Worten auf Ilse einflüsternd. Er nannte es „Haltung bewahren“, daß er nicht schrie.

      Man brauchte sich also nicht über Einzelheiten zu unterhalten. Sie, Maria, wäre längst weggegangen. Aber Ilse wollte sich nicht scheiden lassen. Sie hing an ihren Kindern. Der Mann war ihr treu, wie man das nennt. Daß er sie beleidigte, war kein Scheidungsgrund. Sie mußte es also aushalten. Die einzige Hilfe war, daß sie manchmal weinen konnte.

      Gegen neun kam der Regierungsrat. Ilse hatte sich längst gefaßt. Sie war nett angezogen. Der Tisch war hübsch gedeckt. Die Speisen waren ein bißchen zu zierlich, aber reizend angerichtet. Der Regierungsrat war verhältnismäßig gnädig. Er hatte einen guten Tag im Amt gehabt mit einer huldvollen Anrede durch den Staatssekretär. Er erzählte, daß man seine Arbeit — er arbeitete im Wasserbauamt — allmählich anzuerkennen beginne und die Notwendigkeit der Flußregulierungen, die er erfunden zu haben schien, auch in der breiten Öffentlichkeit einsehe.

      Während sie noch beim Essen waren, meldete das Mädchen den Anruf von Zylvercamp, der dringend Fräulein von Nemesch zu sprechen wünschte.

      Maria ging hinaus. Der Regierungsrat warf erregt die Serviette auf den Tisch und stand auf. Ob es nicht durchzusetzen sei, daß er einmal in seinen vier Wänden ungestört essen könne? Ob ihm Ilse nicht angedeutet habe, daß Maria so gut wie verlobt sei und ob sie es richtig finde, daß eine verlobte junge Dame mitten in der Nacht von ihrem Lehrer, einem recht seltsamen Lehrer anscheinend, angerufen werde?

      Maria stand am Telefon im Gang. Zylvercamp in seinem Schlafzimmer. Er sprach — wie immer, wenn er erregt war — ziemlich hoch. „Ich habe jetzt zwei, nein drei Tage nachgedacht. Ich weiß es jetzt genau, daß ich Sie zum Leben brauche.“

      Maria antwortete nichts.

      „Hören Sie?“ rief Zylvercamp ungeduldig. Maria nickte. Dann sagte sie endlich: „Ja, natürlich höre ich. Aber was soll ich denn tun?“

      Tun? Zylvercamp war dieses Mal auf diese Frage gefaßt. „Was Sie tun sollen?“ rief er. „Nicht davonlaufen sollen Sie zum Beispiel. Mit mir sprechen zum Beispiel. Zu mir kommen. Meine Arbeiten anschauen und Ihre Arbeiten zeigen. Warum kann es denn nicht so bleiben, wie es früher war? Das wäre doch das einzig Vernünftige.“

      Im Augenblick schien ihm das wirklich als das einzig Vernünftige. Man konnte alles so lassen, wie es gewesen war. Sie kam zweimal in der Woche. Sie malte in der einen Ecke des Ateliers, und er in der anderen. Gesprochen wurde fast nichts. Einmal hatten sie sich gegenseitig gemalt, malend. Es war eine wunderbare Zeit gewesen. Sie sollte also gar nichts tun, sie sollte nur wieder da sein. Er brauchte ihre Gegenwart, in der sich arbeiten ließ.

      „Warum soll es also nicht so bleiben, wie es früher war?“ wiederholte er hartnäckig.

      „Das ist ganz und gar unmöglich“, flüsterte Maria.

      „Warum? Warum soll die natürlichste Sache von der Welt wohl unmöglich sein?“ schrie Zylvercamp.

      „Die natürlichste Sache von der Welt“, wiederholte Maria leise, „sie ist unmöglich, weil ich Sie liebe, Professor.“

      Zylvercamp bekam ein rasendes Herzklopfen. Das war endlich die Antwort, die er hatte hören wollen. Auf die er gewartet hatte. Aber sie klang nicht so, wie er gehofft hatte, nicht sehnsüchtig, nicht verlangend, nicht liebevoll, sondern beinahe böse. „Ich danke Ihnen“, sagte er, „ich bin unglaublich froh, daß Sie es mir sagen. Aber Ihre Stimme klingt nicht sehr froh.“

      „Warum sollte sie wohl froh klingen?“ fragte Maria.

      „Weil Sie nun wieder zu mir kommen werden“, antwortete Zylvercamp.

      „Ich habe es Ihnen gesagt“, antwortete Maria, „damit ich auf keinen Fall wieder zu Ihnen kommen kann.“

      „Das ist der helle Wahnsinn“, sagte Zylvercamp.

      Maria antwortete nicht mehr. Sie war sogar ein bißchen böse über aller Wehmut. Er wußte ja schließlich genau, daß sie keine Frau war für ein Abenteuer, und soviel sie fühlte, war auch Zylvercamp kein Mann für Abenteuer. Wenn man das aber wußte und wenn man wußte, wie man zueinander stand, was sollte da das Reden nützen?

      Sich verlieben oder lieben mochte Schicksal sein. Was man aber daraus machte, das wenigstens war doch freier Wille.

      „Leben Sie wohl, Zylvercamp“, sagte sie.

      „Unmöglich!“ antwortete Zylvercamp.

      „Unmöglich anders“, schloß sie, „leben Sie wohl.“ Und hängte ein.

      Sie kam in das Speisezimmer zurück, immer noch wanderte der Regierungsrat auf und ab und erzürnte sich. Wie lange wohl würde er noch über die Störung beim Essen reden?

      „Willst du mir nicht vielleicht erklären ...?“ sagte er, als Maria sich wieder hingesetzt hatte.

      „Nein“, sagte Maria.

      „Da ruft dich mitten in der Nacht dieser Zylvercamp an ...“

      Maria stand auf. Sie küßte die Schwester auf die Wange und sagte: „Wir wenigstens sind nicht miteinander verheiratet, Walter.“

      „Ich verstehe nicht, wie dieser Zylvercamp es wagen kann“, sagte Richter hartnäckig.

      „Du mußt es auch nicht verstehen“, schloß Maria. Sie ging schnell hinaus, packte ihre Sachen zusammen und verließ die Wohnung und das Haus.

      Sie war entsetzlich leer und müde. Todmüde. Sie schlenderte ein Stück am Landwehrkanal entlang. Ein erleuchteter Dampfer mit Namen „Wintermärchen“ kam und tutete, erleichtert, daß er seine Ausflügler an Land setzen konnte. Die Elektrischen winselten in den Straßenkehren. Im Tiergarten war es heiß unter sich lichtenden Bäumen. Wenn sie jetzt zehn Minuten weiterging, immer durch Baumschatten, über Wege, auf denen Herbstlaub raschelte und rauschte, dann stand sie vor Zylvercamps Wohnung. Wie oft war sie diesen Weg gegangen, und wie schlimm war es, daß sie ihn nie mehr gehen würde! Sie saß lange auf einer Bank, und mit einemmal weinte sie, weil sie sich völlig verlassen fühlte.

      3

      Um dieselbe Zeit rief Oberleutnant von Wrede von Dresden aus bei Richters an. Ilse war am Apparat. Sie konnte aber natürlich „keine rechte Auskunft“ geben. Sie wußte nur, daß Maria das Gespräch erwartet hatte (sie übertrieb ein wenig und sagte „sehnsüchtig erwartet“), daß sie aber dann doch hatte weggehen müssen. Wohin — warum? wußte sie nicht.

      Sie versuchte noch ein wenig mit Wrede zu plaudern. Man kannte sich ja gut, Wredes Vater lebte auch in Wiesenberg und verkehrte mit dem Großvater, General Schüler. Aber das Gespräch blieb in Verlegenheit stecken. Denn weder Ilse noch Wrede konnten über die Verlobung sprechen.

      Er werde in der nächsten Woche wahrscheinlich nach Berlin kommen, sagte Wrede schließlich, und Ilse antwortete: „Ja ... ach ja, tun Sie das doch.“

      Sie sagte das so froh und erlöst, daß Wrede etwas stutzig wurde. „Ich werde also bestimmt kommen“, sagte er.

      „Sehr schön“, schloß Ilse,


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