Frau ohne Welt. Teil 2: Der Krieg gegen das Kind. Bernhard Lassahn

Frau ohne Welt. Teil 2: Der Krieg gegen das Kind - Bernhard Lassahn


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plötzlichem Heben und Werfen des ganzen Körpers verbunden.« Außerdem stellt er fest, »dass die Beine oft steif werden, wobei die Muskeln kontrahiert und hart sind, Schultern und Nacken steif und oft nach vorn gebeugt, der Atem angehalten wird oder keuchend ist, die Augen starr sind oder fest geschlossen, die Hände klammernd, der Mund verzerrt, wobei manchmal die Zunge hervordringt, der ganze Körper oder Teile in spastische Zuckung geraten.« Er erkennt, was er einen Orgasmus nennt, »zuverlässig« an schwerem Atem, am Seufzen, am Schluchzen oder an heftigem Schreien und – besonders bei kleinen Kindern – an Tränenausbrüchen.

      Der Orgasmus, den Kinsey erforschte, war mit Schmerzen verbunden.

      Kinsey war Sadist und Masochist, er hat unzählige Kinder gequält oder quälen lassen, und er hatte sein Vergnügen daran. Er hat sich selbst schwere Verletzungen im Genitalbereich zugefügt, an denen er möglicherweise verstorben ist (offiziell wurden Herzleiden und Lungenentzündung als Todesursache angegeben).

      Woher hatte er seine Versuchspersonen? Einer seiner Zulieferer, der ihn über viele Jahre mit »Material« versorgte, war Friedrich Karl Hugo Viktor von Balluseck, der als Nazioffizier Kreishauptmann von Jędrzejów und verantwortlicher Kommandant des dortigen Ghettos war.

      Markus Roth, der über die Besatzungszeit geschrieben hat, zeigt in seinem Buch Herrenmenschen – die deutschen Kreishauptleute im besetzten Polen (2009), dass keiner der ehemaligen Kreis- und Stadthauptleute später verurteilt wurde, manche sogar in der späteren Bundesrepublik in hohe Ämter gelangen konnten. Diese Herrenmenschen fühlten sich als Auserwählte, die oft eigenmächtig ohne »Befehl von oben« handelten. Sie fühlten sich gesandt, die deutsche »Mission« im Osten zu erfüllen.

      Weit weg von der Heimat, umgeben von einer Bevölkerung, die sie als minderwertig ansahen, konnten sie schalten und walten wie Tyrannen. Sie bereicherten sich, wo immer sie konnten; Frauen und Mädchen – auch Kinder – waren für sie Freiwild. Schon damals war bekannt, dass von Balluseck Kinder sexuell missbrauchte und ihnen drohte: Entweder ich oder die Gaskammer.

      In Jędrzejów überlebte kein einziges jüdisches Kind. Auch nach dem Krieg missbrauchte von Balluseck Kinder, sogar seine eigene Tochter, und zwang sie, ihre sexuellen Erfahrungen aufzuschreiben – für Kinsey. Im Jahre 1957 stand er in Berlin wegen Kindesmissbrauchs vor Gericht und erklärte, dass Kinsey ihn gebeten hätte, solche Berichte zu verfassen.

      In Deutschland wurde über den Fall berichtet, in den USA nicht. Kinsey überstand alle Skandale und Angriffe. An seiner Bedeutung hat sich nichts geändert – nicht dadurch, dass sein Doppelleben aufgeflogen ist, nicht dadurch, dass von kriminellen Machenschaften berichtet wurde, und auch nicht dadurch, dass sich die Ergebnisse seiner Forschungen als von – gelinde gesagt – zweifelhaftem Wert erwiesen haben. Mit dem Film Kinsey – die Wahrheit über Sex (freigegeben ab 12 Jahren) wurde ihm im Jahre 2004 symbolisch ein Denkmal gesetzt. Nach wie vor ist er der berühmte »Dr. Sex«.

      Kinsey hat Kinder so gesehen, wie die Kinder in der Bibliothek »nackte Bücher« gesehen haben: als durch und durch von Sex bestimmte Lebewesen, als sexual beings by birth.

      So sah er Kinder. Wie sah er Frauen?

      Zu seiner Zeit war es nicht leicht, an Daten zu kommen, die die »Wahrheit« über Sex enthüllen konnten. Kinseys besonderes Verdienst wird gerade darin gesehen, dass es ihm trotzdem gelungen sei. Er hatte, wie wir gesehen haben, keine Hemmungen, wenn es darum ging, sich Daten über Jungs zu beschaffen. Bei Daten zu Frauen schon. Mehr noch, in Kinseys Statistiken taucht keine einzige verheiratete Frau auf, die gleichzeitig Mutter ist. Das ist umso erstaunlicher, wenn man bedenkt, dass es in dem von Kinsey gegründeten Institut für Sexualforschung ursprünglich »Ehevorbereitungskurse« geben sollte, also Beratungen für junge Ehen und Familien. Der Soziologe Geoffrey Gorer, einer seiner besonders scharfen Kritiker, schreibt: »Es ist fast nicht zu fassen, aber dennoch wahr: Schwangerschaft, Geburt und Stillen von Kindern sind komplett außer acht gelassen. Für Dr. Kinsey hat Mutterschaft keinerlei Verbindung mit Sexualität.«

      »Baby da, Lust weg?« So stand es vor einiger Zeit in der Bild-Zeitung. Im Film Harry und Sally werden schon im voraus die möglichen Widrigkeiten eines Zusammenlebens erörtert, ehe die beiden sympathischen Helden am Ende erwartungsgemäß zusammenkommen. Sallys Befürchtungen klingen so, als hätte sie die Bild-Zeitung gelesen: Mit einem Kind könnte das Sexleben aufhören und damit das, was sie als Grundlage des Zusammenlebens, als das Wichtigste in ihrem Leben ansieht, als etwas, was nicht gefährdet oder auch nur vorübergehend zurückgestellt werden dürfe. Ziel aller Sehnsüchte solle sie selber bleiben, ewig jung und kerngesund – eine Attraktion voller sexueller Lockstoffe.

      Eine berauschende Liebesnacht mit ihr soll die »Endstation Sehnsucht« sein, wie der deutsche Titel des Dramas von Tennessee Williams A Streetcar Named Desire lautet (in New Orleans gab es tatsächlich eine Straßenbahnlinie mit der Endhaltestelle »Desire«). Der sexuelle Höhepunkt wäre nicht etwa ein »Unterwegsbahnhof«, wie in ICE-Durchsagen immer die Zwischenstationen genannt werden, sondern schon das Ziel.

      Aber sobald »diese Liebeserwartungen zum primären Motiv des Sichfindens und der Heirat der Ehepartner werden«, mahnte Helmut Schelsky schon 1955 in seinem Werk Soziologie der Sexualität, »muß ein Familienleben (…) diese Ansprüche enttäuschen«. Die »ursprüngliche Gemeinsamkeit der erotischen Erlebniswelt« reiche nicht aus. Sex allein, und sei es noch so »guter Sex«, kann nicht der Klebstoff sein, der eine Ehe zusammenhält. Erst recht nicht, wenn die Bedeutung der sexuellen Erfüllung überstrapaziert wird. Es muss noch etwas hinzukommen; im Alter muss etwas anderes an die Stelle der Sexualität treten können. Wenn es nicht Tradition, Sitte und Gesetz sind, dann ist es für Schelsky die gegenseitige Fürsorge.

      Die Tragik heutiger Liebesbeziehungen liegt darin, dass die Fürsorge für Kinder und die Fürsorge füreinander im Alter von der Gesellschaft immer geringer gewürdigt, die Bedeutung der Sexualität hingegen immer höher veranschlagt wird.

      In dem Lied Have You Ever Really Loved a Woman von Bryan Adams heißt es, dass der schmachtende Liebhaber bereits die ungeborenen Kinder – »unborn children« – in den Augen der Frau erkennt. Es passt eigentlich nicht zu dem Film Don Juan DeMarco, für den der Song geschrieben wurde, denn ein Don Juan (der sowieso nur eine fiktive Figur ist) will nicht eine Frau lieben, sondern möglichst viele besitzen und in deren Augen auch nicht nach ungeborenen Kindern Ausschau halten.

      »Eine Mutter wird geboren, die Frau stirbt?« So dramatisch – wenn auch mit Fragezeichen – wird es in der Rheingold-Studie für die Firma Milupa beschrieben, die der »deutschen Angst vorm Kinderkriegen« auf die Spur kommen will und nachfragt, worin sie denn begründet sei. Da wird erwartungsgemäß die Sorge genannt, dass das »liebe Geld« nicht ausreichen könnte. Doch auch die Angst vor dem Rollenwechsel sei groß. Frauen verhielten sich nach der Geburt eines Kindes wie multiple Persönlichkeiten. »Einerseits möchten sie voll und ganz Mutter sein, andererseits aber auch als Frau keine Veränderungen zulassen und die attraktive Lebenspartnerin bleiben, die selbstständig ihren Weg geht, so als hätte sie gar kein Kind.«

      Da die Frauen nicht willens oder fähig sind, in diesem Konflikt klare Prioritäten zu setzen, heißt das: Das Kind stört. Es ist der Mutter im Weg, die sich von ihrer alten Rolle nicht trennen mag, bei der es in hohem Maße um Sex und um sexuelle Attraktivität ging. Die Schlagzeile aus der Bild-Zeitung kann man auch umdrehen. Dann erkennen wir die heimliche Leitlinie unseres Lebens: »Lust da, Baby weg!« Hauptsache, wir haben unser Vergnügen.

      Wenn man den Schlagerweisheiten glaubt, dann wollen Frauen sowieso »nur spielen«, sie wollen »fun«, wie es bei Cindy Lauper heißt, die fröhlich verkündet, was »girls« in Wirklichkeit wollen, »fun« nämlich, »that’s what they really want«. Sie wollen bloß ihr Vergnügen. Mehr nicht. Jedenfalls in der Freizeit.

      Was wollen sie in der Politik? Auch das Vergnügen. So sieht es auf den ersten Blick aus. Doch wollen sie das wirklich? Die Journalistin Dale O’Leary war nicht nur auf der Weltfrauenkonferenz 1995 in Peking, sie war auch bei den Vorbereitungstreffen, sie hat sich die Referate angehört, sie hat hinter die Kulissen geschaut und hat versucht herauszukriegen, was mit The Gender Agenda – so auch der


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