Frau ohne Welt. Teil 2: Der Krieg gegen das Kind. Bernhard Lassahn

Frau ohne Welt. Teil 2: Der Krieg gegen das Kind - Bernhard Lassahn


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beigebracht hatte (er hatte sie geküsst und außerdem durch die Kleidung im Genitalbereich berührt). Er wurde zu gemeinnütziger Arbeit verurteilt und sollte zudem – später wurde allerdings, nachdem sich das Bundesverfassungsgericht (!) mit dem Fall beschäftigt hatte, anders entschieden – eine DNA-Probe für die Gendatei »Sexualstraftäter« hinterlassen, obwohl er beteuerte, dass das Mädchen einverstanden gewesen sei und das auch so gewollt habe.

      Wie passt das zusammen?

      Schon aus der erwähnten Broschüre von Philipps lässt sich herauslesen, dass hier eine Trennung vorgenommen wird: Frauen und Mädchen dürfen, Männer und Jungs nicht. Es wird nur indirekt, aber deutlich genug erklärt: Das Inzesttabu soll nicht für Mütter gelten; denn es ist eine »patriarchalische Erfindung«, mit der sich der Mann zwischen Mutter und Sohn stellt und so die »innige Verschränkung« von Mutter und Kind stört.

      Wenn ein Junge etwa vier Jahre alt ist, »rivalisiert« er mit dem Vater; in der Situation soll die Mutter vorbeugend eingreifen und ihre Liebe »gerecht aufteilen«, um keinen zu »benachteiligen«. In diesen Broschüren wird über Liebe gesprochen, als ginge es um Nachtisch und als hätte eine Mutter noch nie die Erfahrung gemacht, dass der Appetit und die Geschmäcker verschieden sind. Der erotischen Liebe zwischen den Eltern wird, wenn auch noch die Kinder mitmachen, zwar die Exklusivität genommen, aber das ist, wenn wir den Ratschlägen folgen, nicht so wichtig; die Unterschiede zwischen den Geschlechtern und den Generationen sollen sowieso eingeebnet werden. Spannungen, die sich daraus ergeben, sollen rechtzeitig abgebaut werden, das Kind soll von vornherein kein übermäßiges Interesse an der Sexualität entwickeln – nur ein mäßiges, es soll den Geschlechtsverkehr als etwas »Normales« empfinden. Eltern sollen ein Kind getrost mit ins Bett holen und erklären, dass das, was sie da machen, ein »Spiel« ist. Eines, bei dem das Kind mitspielen darf.

      Mütter sind entschuldigt. Was als patriarchalische Erfindung erkannt und damit gebrandmarkt ist, gilt nicht mehr als Maßgabe für moderne Frauen. Die gelten als mutig, wenn sie sich von Zwängen, die Männer erschaffen haben, lossagen.

      Als »kontroversestes« (aber auch als das »krankhafteste«) Buch des Jahres 2013 wurde der Überraschungserfolg Tampa von Alissa Nutting bezeichnet, ein pornographischer Roman aus der Sicht einer weiblichen Pädophilen – einer Lehrerin, die ihre Schüler verführt und schon in der Nacht vor ihrem ersten Unterrichtstag in einer »erregten Endlosschleife« von Selbstbefriedigungen keinen Schlaf findet. Der Autorin bescherte das Buch Erfolg und mediale Aufmerksamkeit; sie ist eine junge, attraktive Frau, sie darf so etwas schreiben, sie muss sich nicht vor Konsequenzen fürchten. Auch ihre Heldin wäre im richtigen Leben längst nicht so gefährdet, wie es ein Mann wäre. Sie hätte gute Chancen, dass man ihre Übergriffe stillschweigend durchgehen ließe und sie nicht weiter behelligte. Weibliche Pädophile haben ein berühmtes Vorbild: Simone de Beauvoir. Die wurde zwar aus dem Schuldienst entlassen, als aufflog, dass sie Schülerinnen zu Sexspielen verführt hatte, ihrer Bedeutung als Ikone der Frauenbewegung hat es aber nicht geschadet.

      Die Freiheiten, die sich Frauen herausnehmen und ständig weiter ausbauen, finden ihr Gegenstück in der zunehmenden Unfreiheit der Männer, für die neue Straftatbestände geschaffen werden. Sie stehen unter verschärfter Beobachtung, sie sind nur noch geduldet, als wären sie in einer missgünstigen Frauenwelt auf Freigang, sie dürfen sich nicht die kleinsten Ausrutscher leisten und keinesfalls nachts an einer Bar einer neugierigen Journalistin gegenüber die Worte »Tanzkarte« oder »Dirndl« fallenlassen.

      Ein Vater, der in Scheidung lebt, hat nur wenige Möglichkeiten, den Umgang mit seiner dreijährigen Tochter wahrzunehmen. Die nutzt er, so gut er kann. Das Mädchen hat gerade eine Pilzinfektion im Windelbereich; dem Vater wird eine Salbe mitgegeben, mit der er das Kind zweimal täglich einreiben soll. Kurz darauf folgt eine Vorladung beim Jugendamt, der Verein Wildwasser e. V. wirft ihm sexuellen Missbrauch vor.

      Eine Beilegung erfolgt in solchen Fällen dann meist außergerichtlich, aber nur, wenn der Verein einen Rückzieher macht und feststellt, dass höchstwahrscheinlich doch kein Missbrauch vorgelegen hat. Das ist beileibe keine Ausnahme; so etwas kommt in Umgangs- und Unterhaltsverfahren derart häufig vor, dass man es den »Salben-Trick« nennt. Solche Tricks, Foulspiele und Verdächtigungen kennzeichnen das gegenwärtige Klima. Junge Männer werden zwar in Kindergärten händeringend als Erzieher gesucht, doch da stehen sie schon mit einem Bein im Gefängnis. Windeln wechseln dürfen sie nur unter Aufsicht.

      Die Arbeitsgemeinschaft Wildwasser lehnte es – zumindest in der Anfangsphase – grundsätzlich ab, mit sexuell missbrauchten Jungen zu arbeiten, und verweigerte ihnen jegliche Hilfe. Zu öffentlichen Vorträgen wurde Männern kein Zutritt gewährt, es gab extra Rausschmeißerinnen, die entschlossen eingriffen, wenn sich einer vorgewagt hatte. Das Thema Missbrauch sollte ein Monopol der Frauen bleiben. Frauen beanspruchen, wie es heißt, die »Deutungshoheit«, Jungs sind grundsätzlich keine Opfer, Mütter sind keine Täter. In Werbeanzeigen von Wildwasser heißt es: »Sexueller Missbrauch schadet Mädchen immer.« Jungs kommen in so einer Sichtweise nicht vor.

      So schadet man speziell Vätern und Jungs und macht allen Kindern Angst vor Männern. Damit rechtfertigen sich weitere Maßnahmen zur Förderung einer »angstfreien« Sexualität. Doch die Angst vor dem Mann ist maßlos, sie ist so überrissen, dass es keine Rettung mehr gibt. Die Kinder lernen früh, dass alle Männer als potentielle Vergewaltiger und als Verbrecher anzusehen sind.

      Da darf ein vierjähriges Kind ausnahmsweise mit dem Scheidungsvater einen Jahrmarkt besuchen. Anschließend trifft beim Jugendamt ein Schreiben ein, das Kind sei verstört gewesen und hätte immer wieder etwas von einem »Würstchen« erzählt, was auf sexuellen Missbrauch schließen lasse. Ein Lehrer sollte eine Schülerin bei einem Wandertag lieber nicht mit Mückencreme einreiben, auch nicht vor Zeugen, es könnte ihn ruinieren. Die Gefahr besteht darin, dass allein die Anwendung der Creme – ohne dass daraus etwas folgt – als Missbrauch gelten kann. Ein Vater, der dabei »erwischt« wird, wie er auf dem Kinderspielplatz die Wollstrumpfhose seiner Tochter zurechtzieht, muss sich, wie Ralf Bönt in Das entehrte Geschlecht berichtet, vor der flugs herbeigerufenen Polizei ausweisen. Kinder – genauer gesagt Mädchen – lernen schon früh, dass die Berührung durch einen Mann traumatische Schäden hinterlassen kann, die sie ein Leben lang begleiten werden und ihnen ein späteres Glück unmöglich machen.

      Katharina Rutschky, die zu den reflektierten Stimmen unter den Feministen gehört, hat es »den Missbrauch mit dem Missbrauch« genannt. In dem Körpersong hört sich das beispielsweise so an: »Mein Körper, der gehört mir allein, / Du bestimmst über dein’ und ich über mein’. / Wenn ich berührt werde, weiß ich, wie’s mir geht!/ Mein Gefühl, das ist echt!/ Mein Gefühl hat immer Recht.« Kinder sollen mit solchen Liedern spielerisch lernen, dass sie ein »Ja-Gefühl« und ein »Nein-Gefühl« haben. Sollten sie jemals ein Nein-Gefühl verspüren, dann, so erklären es die dem Song beigefügten Materialien des Donna-Vita-Verlages mit dem Titel Mein Körper gehört mir, liegt ein Fall von sexuellem Missbrauch vor. Das Gefühl des Kindes entscheidet.

      Damit wird eine primitive Schwarz-Weiß-Sicht auf die hochkomplizierte, sich erst entwickelnde Gefühlswelt des Kindes übertragen, als gäbe es keine Ambivalenzen, kein Vorher und kein Nachher. Als gäbe es nicht etwas, was einem zuerst nicht schmeckt, was man aber nachher umso lieber mag, und als gäbe es nichts, was gut schmeckt, aber in Wirklichkeit giftig ist. Damit wird dem Kind eine eigene Entwicklung, eine allmähliche »Bildung« der Gefühle abgesprochen – früher sprach man sogar von »Herzensbildung«. Die Entwicklung der Sexualität eines Kindes, die noch nicht angefangen hat, wird behandelt, als wäre sie bereits abgeschlossen.

      Woher kommen die Gefühle? Aus dem Inneren.

      Und woher kommt die Bewertung der Gefühle?

      »Mein Gefühl hat immer Recht!«, heißt es in dem Lied, doch auch Lustmörder haben Gefühle. Was Recht ist und was nicht, kann ein Kind nicht aus dem »Bauch heraus« entscheiden, wie es neuerdings die Fernsehkommissarinnen tun und Kandidaten bei Wer wird Millionär?.

      Die Entscheidung ist sowieso schon gefallen. Das Kind hat gelernt, dass es ein Nein-Gefühl haben soll – ja, haben muss –, und unser Beispielkind mit der rutschenden Wollstrumpfhose


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