Frau ohne Welt. Teil 2: Der Krieg gegen das Kind. Bernhard Lassahn

Frau ohne Welt. Teil 2: Der Krieg gegen das Kind - Bernhard Lassahn


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auf mediale Aufmerksamkeit nutzen und sich in Szene setzen?

      Dass es nicht um das Wohl der Kinder geht, ist offensichtlich. Johann Friedrich Herbart, Nachfolger auf dem Lehrstuhl von Immanuel Kant, gilt als ein Klassiker der Pädagogik. Er gab zu bedenken, dass wir alles, was wir Kindern antun, erst in deren späterem Alter bemerken werden. Ein kluger Gedanke, der nur auf den ersten Blick den Eindruck erweckt, als bringe die Erziehungswissenschaft lediglich Banalitäten hervor – weil es doch jeder sowieso wisse. Inzwischen sollte es tatsächlich jeder wissen: Schäden, die in früher Kindheit entstehen, zeigen sich erst später und können sich ein Leben lang auswirken. Auch dass die Kindheit »irreversibel« ist, wie Herbart betont, sollte hinreichend bekannt sein. Wir können bei Kindern nicht wie bei einem Computer auf »Neustart« gehen, noch mal von vorn anfangen und kurzerhand alle Dateien, die wir nicht mehr wollen, löschen.

      Das heißt in unserem Fall, dass wir das Kindeswohl nicht losgelöst von der späteren Entwicklung beurteilen können. Wer es trotzdem tut, erweist sich als Scharlatan. Studien, die belegen wollen, dass das Kindeswohl nicht gefährdet ist, sind wertlos. Sie können die Problematik überhaupt nicht erfassen, es sei denn, die Forscher wären – wie bei einem Sciencefiction-Film – in eine Zeitmaschine gestiegen und wohlbehalten mit guten Nachrichten zurückgekehrt.

      Wir haben es mit »Experten« vom Schlage einer Bettina Wulff zu tun, einer Anna-Maria Philipps oder einer pädagogischen Blindgängerin wie Prof. Dr. Luise F. Pusch, nach deren Vorgaben sich die Anhänger der »geschlechtergerechten« Sprache richten. Sie machte 1991 anlässlich einer Kindergärtnerinnensynode, bei der ausgerechnet sie als »Expertin« geladen war, den Vorschlag, den »Buben« – wie man in Winterthur sagt, wo das Treffen stattfand –, »Wunden« zuzufügen, falls sie sich »frauenfeindlich« zeigen; denn diese »Verletzungen heilen sowieso wieder zu schnell.«

      Wir sprechen von einem »blutigen Laien«, wenn jemand keine Ahnung hat. Günther Anders hat vorgeschlagen, lieber von »blutigen Experten« zu sprechen, weil es gerade die Fachidioten seien, an deren Fingern Blut klebe. Nicht alle Experten sind Fachidioten, aber viele sind nützliche Idioten.

      Die Deutsche Gesellschaft für Familienplanung, Sexualpädagogik und Sexualberatung – Pro Familia bildet neuerdings Teenager zu sogenannten »Sexperten« aus. Das sind Vierzehn- oder Fünfzehnjährige, die vor Gleichaltrigen über verschiedene Sexualpraktiken referieren und durch ihre jugendlich unbefangene Art dazu beitragen sollen, Hemmungen zu überwinden.

      Ein Experte ist heute nicht etwa jemand, der wissenschaftlich arbeitet und sich auf seinem Fachgebiet besondere Qualifikationen erworben hat, er muss vielmehr in der Lage sein, genau den Moment abzupassen, wenn die Politik dabei ist, ein neues Terrain abzustecken, auf dem sie sich ausbreiten will. Der Experte von heute meldet sich immer dann zur Stelle, wenn neue Opfergruppen erfunden werden und nach neuen Maßnahmen gerufen wird. Er gilt als besonders kritisch – und damit als mutig und glaubwürdig –, wenn er im großen Stil Vorwürfe gegen die gesamte Gesellschaft erhebt und ihr ein schändliches Versagen vorhält, das nicht länger zu ertragen sei. Zum »Beweis« werden dann Betroffene präsentiert, die sich aber oft nicht gut genug darstellen und ihre Nöte nicht richtig formulieren können. Dafür gibt es dann die Experten, die sich dadurch ausweisen, dass sie mit Begriffen, die wir noch nie gehört haben, auftrumpfen und neue Abkürzungen in die Welt setzen – wie LSBTTIQ.

      Was ist das?

      Es ist ein überparteilicher und weltanschaulich nicht gebundener Zusammenschluss von lesbisch-schwul-bisexuell-transsexuell-transgender-intersexuellen und »queeren« Gruppen, Vereinen und Initiativen, LSBTTIQ also. Die Buchstabenkombination erinnert an Zungenbrecher, wie sie Kinder mögen; der Volksmund spricht sie »Lesbo-Titti-Kuh« aus. Um diese Kuh wird bei der Durchführung der »Bildungsplanreform 2015« in Baden-Württemberg ein Tanz veranstaltet, als wäre es der Tanz um das Goldene Kalb: Alles dreht sich um die Lesbo-Titti-Kuh, deren Interessen fächerübergreifend berücksichtigt werden sollen. In Zukunft sollen Lehrkräfte die Schüler an eine neue Sexualethik heranführen, in der sämtliche LSBTTIQ-Lebensstile ohne ethische Beurteilung als gleichermaßen erstrebenswert hingestellt werden. Alle Varianten der Sexualität werden dadurch als neue Norm angesehen und der Ehe zwischen Mann und Frau gleichgestellt.

      Solche Initiativen sollte man nicht leichtfertig als »Lobby-Gruppen« bezeichnen. Sie halten sich nämlich gar nicht erst in der Lobby – also im Vorraum – auf, wo sie darauf warten müssten, irgendwann vorgelassen zu werden. Sie haben längst in der guten Stube der Politik Platz genommen. Sie sind die neuen Günstlinge, die es geschafft haben, die Gunst der Stunde zu nutzen.

      Es hat sich in zweierlei Hinsicht eine »Verantwortungslücke« aufgetan. Zum einen gibt es keine Personen, die Verantwortung übernehmen könnten. Zum anderen erlaubt der Faktor Zeit, auf den Herbart hingewiesen hat, unverantwortliches Handeln. Man kann also in unserem Fall nicht sagen, dass irgendjemandem »die Zeit davonläuft«, vielmehr erlaubt die Zeit allen Tätern und Mittätern davonzulaufen. Erst mitlaufen, dann weglaufen – so machen es die, die es nachher nicht gewesen sein wollen. Wann sollte denn auch der richtige Zeitpunkt für eine kritische Überprüfung der Maßnahmen zur sexuellen Verfügbarmachung der Kinder sein? Wen sollte man dann für die seelischen Verwundungen verantwortlich machen?

      Verantwortungslücken sind brandgefährlich; denn sie erlauben, wie es Günther Anders nennt, die »Möglichkeit zur unbestraften Unmenschlichkeit«, sie locken speziell Leute an, die so eine Chance nutzen wollen, um das auszuleben, was ihnen sonst untersagt wäre. »Schwärmer, wie bist du getäuscht, nimmst du die Menschen für gut!«, sagt Goethe in einer Zeile aus den Xenien.

      Das Gute ist nicht selbstverständlich.

      Das Böse schon. Es gibt einen Bodensatz von Feindseligkeit in jeder Beziehung, der durch besondere Umstände aktiviert werden könnte. Darauf hinzuweisen ist banal und müßig. Um das Schlechte und Böse zu vermeiden, müssen Verantwortungslücken sorgsam beobachtet und nach Möglichkeit geschlossen werden. An die neuen »Aufklärer« und »Befreier«, die oft selber keine Kinder haben und sich fremden Kindern zuwenden, müssen wir besonders hohe Ansprüche stellen, wenn uns das Kindeswohl etwas wert ist.

      Ist es das? Den meisten Eltern gewiss, aber im Streitfall ist es ein Muster ohne Wert. Jugendämter und Gerichte agieren in einem unübersichtlichen Verschiebebahnhof von Zuständigkeiten: Da treten selbstgerechte Vereine und Interessengruppen auf, gelangweilte Richter (die sich hinter Gutachtern verstecken), teure Gutachter (die sich hinter Richtern verstecken), überforderte Prozessbegleiter (die sowieso nicht zuständig sind) und angeberische Rechtsanwälte (die ihr eigenes Geld verdienen wollen). Wenn ein Kind bei diesem grausamen Schauspiel den Eindruck hat, dass alle aus Eigeninteresse über seinen Kopf hinwegreden, dann trügt er nicht.

      Das Kindeswohl ist in diesem Drama so etwas wie ein Joker und eine Karo Sieben zugleich. Einerseits sticht die Karte bei Familienstreitigkeiten, andererseits ist sie nichts wert. Familienrichter wissen, dass sie über das Kindeswohl substantiell nichts wissen können. Sie müssten eigentlich im Zweifel stets im Interesse der Kinder handeln und möglichen Schaden von ihnen abhalten. Doch gerade das tun sie nicht. Sie wissen, dass Scheidungen einem Kind Wunden zufügen; sie wissen, dass die Ausgrenzung eines Elternteils das Kind quält. Sie wissen, dass Prozessverzögerungen dem Kind schaden – und sie wissen, dass es letztlich um Geld geht.

      Auch für die von der Politik abhängigen »Wissenschaftler«, »Experten« und Verfasser von Expertisen ist das Kindeswohl terra incognita. Es wird nicht einmal eine vorläufige Bestandsaufnahme gemacht. Wenn einzelne Studien bekannt werden, die das Elend dokumentieren, werden sie ignoriert. Wer wissen will, wie es Scheidungskindern geht und wie sich Kukkuckskinder fühlen, muss sich an Selbsthilfeorganisationen und private Initiativen wenden. Die Politik beschränkt sich darauf, Schaden anzurichten. Würde sie ihn zur Kenntnis nehmen, dürfte sie nicht mehr so weitermachen.

      Ginge es nach dem Willen der Politik, dürften Kinder bei der Non-Stop-Sex-Party der Erwachsenen mitmachen, wenn sie auf ihre Kindheit verzichten, wenn sie sich sexualisieren und schon im Kindergarten auf ein »vielfältiges« Sexleben vorbereiten lassen. Neuerdings wird behauptet, Kinder hätten ein »Recht« auf Sexualität, es wird aber »vergessen«, dass sie zunächst einmal ein Recht auf Identität haben, ein Recht


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