Das Erbe sind wir. Michael Meyen

Das Erbe sind wir - Michael Meyen


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wie er heute selbst sagt, und muss dafür bezahlen. »Eines Tages kam der Betriebsdirektor und sagte: Kollegen, das Wehrkreiskommando und die Kreisleitung wollen, dass wir einen von uns für drei Jahre schicken. Man hätte eine Stecknadel fallen hören können. Alle Köpfe drehten sich zu mir«. Da stand er doch, der Abiturient, der so perfekt Parteideutsch sprach. »Keiner hat etwas gesagt. Ich wusste: Ich war gemeint. Mein Vater musste ja auch militärischen Nachwuchs werben. Es hätte sonst schnell geheißen, dass er mit zweierlei Maß misst. Ich wollte außerdem auf Staatskosten studieren«.

      Die Armee war dann der zweite Brocken, viel größer als eine Lehre, die jeden Oberschüler erdet und auch denen gutgetan hätte, die heute in jedem Leitartikel deutlich machen, dass sie ihre Großstadt-Akademiker-Welt nie verlassen haben. Was Wulf Skaun über seinen Wehrdienst erzählt, habe ich so ähnlich zwei Jahrzehnte später selbst erduldet. Ich weiß deshalb, wie es sich anfühlt, wenn man unter hundert jungen Männern der einzige ist, der nach der Entlassung studieren will. Okay: Einen Major, der »schon bei der Wehrmacht« war, gab es Mitte der 1980er-Jahre nicht mehr (mein Major war 26, sah aber aus wie 45), und ich weiß auch nicht, ob wir im ersten halben Jahr »richtig geschliffen« wurden und dadurch »zum Mann geworden« sind. Vermutlich war ich damals viel zu sehr Sportler, um unter einem Lauf vor dem Frühstück zu leiden oder bei irgendwelchen langen Märschen. Aber sonst war vieles wie bei Wulf Skaun. »Die rauen Umgangsformen, diese Fäkalsprache. Ich dachte, das kann nicht Sozialismus sein. Ich habe gedacht, die Partei und der Staat müssen mir später helfen, wenn ich hier gedient habe«.

      Wer auch immer das ist, die Partei und der Staat, sie haben ihren treuen Diener zumindest nicht hängen lassen, auch wenn von heute auf morgen die Regeln geändert wurden für den Zugang zum Studium. Wulf Skaun war 1964 zur Aufnahmeprüfung nach Berlin gefahren, noch vor dem Wehrdienst, und hatte mit Glanz und Gloria bestanden. Der Text, den er dort schreiben musste, wurde öffentlich vorgetragen. In Leipzig angefangen hat er erst fünf Jahre später, mit 24, in einem Alter, in dem mein Sohn sich in München sein Masterzeugnis abgeholt hat, nach zwölf Semestern Soziologie und Politikwissenschaft. »1966 kam ein Schreiben: Wir haben das Volontariat als Bedingung eingeführt. Bewirb dich mal schon«.

      WAS DIE KOMMUNIKATIONSWISSENSCHAFT VOR 30 JAHREN VERLOREN HAT

      Dass Hans Poerschke heute Abend im Zeitgeschichtlichen Forum sprechen darf, vor einem vollen Saal, zunächst ganz allein am Pult und dann in einer Podiumsrunde mit zwei Professoren, die aus dem Westen nach Leipzig kamen, ist eine Sensation. Das sanfte Abschieben in den Altersübergang, die Zumutungen der Evaluation, der Rücktritt in die zweite Reihe selbst bei Kolleginnen wie Sigrid Hoyer, die von Westdeutschen einen Eignungsstempel bekamen: All das ist nur ein Teil der Wahrheit über die Vereinigung der Leipziger Journalistik mit der Kommunikationswissenschaft, die in Mainz bis heute Publizistik heißt. Zu dieser Wahrheit gehört auch, dass es die DDR in dieser akademischen Disziplin


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