Prinz Schamyls Brautwerbung. Richard Henry Savage

Prinz Schamyls Brautwerbung - Richard Henry Savage


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kaiserlichen Leibwache gar schön und stattlich aus, und es bedurfte weder der silbernen Kartusche und des von Juwelen strotzenden Dolches, den er im Gürtel trug, noch des „Chaska“ in seiner reichen Scheide und des hübschen astrachanischen Turbans, um den gezähmten Prinzen vom Kaukasus zu kennzeichnen.

      Während Platoff und seine Freunde sich für den Sieg der russischen Waffen im bevorstehenden Krieg verbürgten, träumte sich Ahmed Schamyl in eine bewegte, von den von Tag zu Tag sich näher heranwälzenden Rauchwolken der Schlachtfelder verhüllte Zukunft hinein.

      Der Abschied von dem kleinen Suleiman, dessen Gesandtschaft ihre Pässe so gut wie in der Tasche hatte, war dem ausländischen Krieger des Zaren nahe gegangen.

      Aus ferner Vergangenheit tauchte die Erinnerung an den Tag in ihm auf, wo er sich als neunjähriger Knabe an seinen gewaltigen Vater schmiegte, als dieser stolz herniederschritt von seinem Adlerhorst „Aul Gunib“, um sich dem ritterlichen Fürsten Bariatinsky zu übergeben und damit den dreissigjährigen erbitterten Krieg gegen Russland zu Ende zu bringen.

      Zwischen damals und heute lag die im Pagenkorps und in der Kadettenanstalt verlebte Zeit — lange bevor er gelernt hatte, den geistvollen Hofdamen im Winterpalast leidenschaftliche Worte ins Ohr zu flüstern! — und doch war ihm alles so gegenwärtig, als sei es erst gestern gewesen.

      Dann sah Ahmed Schamyl im Geist die Leiche seines erhabenen Vaters vor den heiligen Altären des grossen Mohammed in Medina aufgebahrt.

      Seine Mutter.... Ach, seine Mutter! Vielleicht zuckte durch die immer näher heraufziehende Kriegswolke einmal ein Strahl des Lichtes und erhellte ihm das Bild der lieblichen Frau, die wie ein wesenloses Schemen, als „weisse Dame“ durch seine Kinderträume zog.

      Trotz der lustigen Kameraden, die ihn umgaben, wurde der Geist des edlen Cirkassiers im Speisesaal seines Regiments von sonderbaren Einbildungen gequält und verfolgt.

      Der Mann, der ihn vor wenigen Minuten verlassen hatte, war seinem Herzen sehr teuer, denn er hatte Suleiman, dessen Vater als Pascha in Erzerum lebte, schon vor Jahren während einer kurzen militärischen Lehrzeit im Kaukasus in Tiflis kennen gelernt, und manch fröhlicher Jagdtag an den Ufern des wogenden Kura, manch glückliche Stunde, in der sie gemeinsam den Sagen Georgiens, Armeniens und Anatoliens gelauscht, hatte eine Freundschaft gefestigt, die sie freudig erneuten, als Suleiman in diplomatischer Sendung als Hauptmann des Generalstabs nach St. Petersburg kam. Und nun hatte ihn sein türkischer Kamerad wiederum verlassen.

      Wohl schlürfte Ahmed Schamyl aus dem Liebesbecher des Regiments, aber sein Herz war schwer, und Suleimans letztes Flüstern klang ihm noch immer in den Ohren.

      „Wir wollen Brüder sein und bleiben, Ahmed — selbst wenn wir uns mit dem Schwert in der Hand, auf dem Schlachtfeld gegenüberstehen sollten!“

      Also mussten sich alte Freunde als junge Feinde gegenübertreten, sobald die Kriegsfahne wehte!

      Suleimans Klinge sollte im Strahl des Halbmondes blitzen, und er, Ahmed, der Sohn eines grossen Herrschers und Propheten, der der Moslem der Moslem gewesen war, musste seine unbändigen Cirkassier unter dem Zeichen des griechischen Kreuzes ins Feld führen und für den Zaren kämpfen!

      Aus diesen Gedanken schreckte ihn die heitere Anrede Paul Platoffs auf, der munter zu ihm sagte: „Speise bei mir, Ahmed, dann wollen wir heute abend die Zigeuner singen hören — es sollen einige neue Schönheiten angekommen sein.“

      Schamyl nahm die Aufforderung gerne an — alles schien ihm besser als die geräuschvolle Kannegiesserei um ihn her.

      Die Unterhaltung wurde nämlich immer leidenschaftlicher und hitziger geführt, und von allen Seiten sprachen die angehenden Generäle aufeinander ein und erörterten und lösten im Handumdrehen alle diplomatischen Schwierigkeiten der aufregenden, ereignisreichen Gegenwart.

      „Konferenz in Konstantinopel,“ „Alliierte Mächte,“ „Bismarck“, „Englische Flotte,“ „Balkanpässe,“ „Ignatiefs Politik,“ „Gortschakoffs Forderungen“ — diese abgerissenen Worte klangen aus dem Klappern der Würfel und dem Stimmengewirr an Ahmeds Ohr.

      Schamyl betrachtete durch die Rauchwolken hindurch ernsthaft die Gesichter seiner Kameraden, während sie sich über die ungelöste orientalische Frage stritten. Durch Blut konnte sie vielleicht gelöst werden, ja, aber nicht durch Worte! Er bahnte sich einen Weg durch die befreundete Schar, griff nach Mantel, Säbel und Turban und fuhr mit Platoff in dessen Schlitten nach der Artilleriekaserne.

      Lässig warf sich der trübgestimmte Prinz in der Wohnung seines Freundes auf einen mit köstlichem Pelzwerk bedeckten Diwan und betrachtete sinnend seinen russischen Herzensfreund.

      Aller Wahrscheinlichkeit nach mussten die leichten Batterieen Pauls zur schweren Artillerie der zum Einfall ins feindliche Gebiet bestimmten Donauarmee stossen, denn obwohl nichts Näheres bekannt war, errieten doch die Eingeweihten die Pläne so ungefähr.

      Er selbst, Schamyl, war ja nichts weiter als ein sturmverwehtes Blatt — wohin würde er wohl getrieben werden? Niemand vermochte diese Frage zu beantworten.

      „Ahmed,“ begann Platoff, „ich habe ein ernstes Wort mit dir zu reden. Ich habe heute bei den Galitzins ein Gerücht vernommen, das mich durchaus nicht angenehm berührte.“

      „Nun und ...?“ sagte der Cirkassier langsam, indem er mächtige Wolken aus seinem Tschibuk blies.

      „Es betrifft deinen Bruder, den Prinzen Ghazi,“ fuhr der Artillerist fort.

      Schamyls Stirne umwölkte sich bei diesen Worten; in der Tiefe seines Herzens war er sich der bitteren Wahrheit wohl bewusst, dass er keinen wirklichen Bruder besitze; denn Jamal-Eddin, der Erstgeborene der Söhne des grossen Schamyl, lag tot und begraben unter dem Triebsand der fernen armenischen Wüste. Mit fanatischer Ueberzeugung war er dem Glauben Mohammeds treu geblieben und gestorben, als der frömmste Türke, der je dem aus reinen Höhen zu den Gläubigen herniederklingenden Ruf der Muezzin gelauscht hat. Der junge Gardeoffizier bewahrte indessen nur eine verschwommene Erinnerung an diesen Bruder, denn als ihr kriegerischer Vater im Jahre 1859 von seinem uneinnehmbaren Horst herniederstieg und sein tapferes Schwert für immer in die Scheide stiess, hatte Jamal-Eddin, für den ein goldener Käfig keine Reize hatte, den besiegten Krieger nicht nach Kaluga, seinem Aufenthaltsort im Lande des weissen Zaren, begleitet.

      Gar wohl entsann sich Ahmed noch des glänzenden Hofhaltes, in dessen Mitte der alte Beherrscher des Kaukasus die Zeit seiner Verbannung aus dem romantischen Lande des „fünfunddreissigjährigen Krieges“ verlebte.

      Sechs lange Jahre waren nun vergangen seit dem Tag, wo der stolze gefangene Held beim Zaren als letzte Gunst die Erlaubnis nachsuchte, sich seines hohen Alters wegen nach Arabien begeben und am Grab des Propheten, in der heiligen Stadt, sterben zu dürfen.

      Sein Bruder! Dann handelte es sich also um Ghazi Mohammed, den Gardeoffizier, der nur dem Namen nach sein Bruder war.

      „Was ist mit meinem Bruder?“ fragte der fürstliche Jüngling in kaltem Ton.

      „Mehrere Generalstabsoffiziere waren da und stöhnten über den bevorstehenden Feldzug, weil es ihnen gar schwer ankommt, sich so plötzlich von den lieblichen Sirenen der Gesellschaft und — des Ballettes losreissen zu müssen,“ berichtete Platoff spöttisch. „Es war auch von deinem Bruder die Rede, und ich fing einige Worte auf. Der alte Lazareff sagte, er werde mit keinem Kommando betraut werden.“

      „Und warum nicht?“ fragte Schamyl scharf, indem er in die Höhe fuhr.

      „Weil seine Beziehungen zu der Gräfin Nadja Vronsky allzu bekannt sind.“

      „Nun und ...?“ Schamyls Augen blitzten, als er diese Frage stellte.

      „Ich weiss nicht, wo Vronsky sie aufgelesen haben mag — er ist tot und begraben, der arme Kerl! Aber sie kam irgendwoher aus dem Balkan und soll nun, wie ich höre, die hauptsächlichste Helfershelferin des türkischen Chargé d’affaires bei all seinen Ränken sein — ein ganz gefährliches Frauenzimmer.“

      Wie ein gefangener Tiger schritt Schamyl im Zimmer auf und ab, während


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