Prinz Schamyls Brautwerbung. Richard Henry Savage

Prinz Schamyls Brautwerbung - Richard Henry Savage


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meinst du das, Paul?“

      „Man sagt,“ erwiderte Platoff, „die Türken wollen uns mit einem allgemeinen Aufstand im Kaukasus in den Rücken fallen, und der Sohn des grossen Schamyl, der dafür zum Oberpascha in Armenien ernannt werden solle, sei zum Befehlshaber der aufständischen Moslems ausersehen.“

      Ahmeds Augen sprühten Funken, als er zischte: „Also behaupten sie, er wolle desertieren und dem Zaren die Treue brechen! So lautet ja wohl die Lüge?“

      „Genau so, Ahmed,“ erwiderte Platoff freundlich; „ich war der Ansicht, dass du es sofort erfahren müssest. Du vertraust mir doch, Prinz?“

      „Bis in den Tod, Paul,“ erwiderte Schamyl, während er mit den leichten Schritten eines Wolfes aus der Ukraine das Zimmer durchmass.

      Schweigen herrschte in dem Gemach, bis die tiefen, dröhnenden Klänge der Riesenglocken der St. Isaakskirche die Stille unterbrachen. Es war ein Festtag, deren zweiundfünfzig im Verein mit ebensovielen Sonntagen eine angenehme Abwechselung in das moskowitische Jahr bringen, was ein Meisterzug der russischen Tyrannei ist.

      Ahmed legte seine Hände auf Pauls Schultern und sagte: „Komm, Platoff, ich will dir vertrauen! Ich bin im Begriff, diesen Mann aufzusuchen, aber ehe ich es thue, will ich dir mein Herz ausschütten, denn ich bedarf deines Rates.“

      „Setze dich, Ahmed, und vertraue mir, was du magst,“ antwortete Paul, den des Prinzen trostloser Blick und der seiner Ehre angethane Schimpf mit tiefstem Mitleid erfüllten, denn beide Söhne Schamyls trugen den Rock des Zaren. Noblesse oblige — ein Schamyl konnte ein Krieger sein, doch ein Verräter und Deserteur — nimmermehr! ...

      Nachdem er eine Weile sinnend das Haupt in die Hand gestützt hatte, richtete Ahmed sich auf und sprach leise wie zu sich selbst: „Ich bin nicht wie ihr andern. Mein Vater war ein grosser Krieger, Priester, Herrscher und offener Empörer. Auf den schimmernden Firsten der stolzen Höhen des unbesiegten Daghestan hatte er das Licht erblickt, und er kämpfte um sein eigenes Land. Während vierzig langer Jahre hallte der Donner der Kanonen und das Krachen der Gewehrsalven durch die lieblichen Thäler Cirkassiens. Viermal trieb er grosse russische Invasionsheere zurück und vernichtete sie beinahe völlig. Als er aber von Gunib herniederstieg und Bariatinsky sein Soldatenwort verpfändete, da wurde die Ehre der Familie mitverpfändet. Zar Nikolaus hat Wort gehalten und Kaiser Alexander ebenfalls. Mein Vater hat wie ein König gelebt, und schliesslich wurde ihm auch noch gestattet, zu gehen und wie ein Prophet auf heiligem Boden zu sterben.“

      Platoff nickte zustimmend.

      „Du weisst, Paul, dass dieser so viel ältere, düstere, rotbärtige Mann und ich nichts miteinander gemein haben. Der Zar hat uns gleich den Söhnen regierender Herrscher erziehen lassen, uns an seinen Hof genommen und uns unser persönliches Vermögen erhalten. Ein Schamyl wenigstens wird treulich unter unsrer Fahne kämpfen! Ich muss die Ehre der Familie retten!“

      Schamyls Augen glühten vor Wut.

      „Gott sei Dank, Ahmed, du sprichst wie ein Mann,“ rief Paul freudigen Herzens.

      „Ich habe meine Mutter nie gekannt,“ fuhr Ahmed in weichem Tone fort; „ein jeder der drei Söhne Schamyls wurde von einer andern Mutter geboren. Manchmal denke ich, dass man ein Geheimnis vor mir bewahre, Paul. Ich bin dunkel wie ein Georgier, und mein Vater hatte helles Haar und helle Augen.

      „Seit Jahren schon hat sich Ghazi fern von mir gehalten und eigentlich sind wir uns seit unsres Vaters Tod ganz fremd geworden. Ich glaube, dass er um das Geheimnis meiner Geburt weiss, mich aber furchtbar hasst und deshalb schweigt. Er hat überhaupt für niemand ein Herz. Mein Vater hatte oft mystische Träume und geriet in wilde Verzückungen und alle seine dunkeln Geheimnisse starben mit ihm. Natürlich hatte er nach türkischer Sitte mehrere Frauen — das wirst du wohl wissen?“

      Platoff nickte bejahend, und Ahmed fuhrt fort: „Vielleicht habe ich meine Loyalität von der schwächeren Seite geerbt — wer weiss, vielleicht von einer russischen Mutter!“

      Träumerisch blickte Ahmed vor sich hin: seine Gedanken flogen in die Ferne, zurück nach dem alten pontischen Reich, wo die stolzen Höhen des Ararat und Kasbek mit ihren riesigen silbernen Firnen bis in den blauen Himmel hineinragen, der auf ihnen zu ruhen scheint.

      „Hast du noch nie daran gedacht, den alten Sergeanten Hassan einmal gründlich vorzunehmen?“ fragte Paul.

      Ahmed schreckte aus seinen wachen Träumen auf.

      „Vergebens!“ erwiderte er. „Hassan ist ein störrischer alter Mann — halb Heide, halb Moslem. Als er nach meines Vaters Tod von Medina zurückkehrte, trat er in meinen persönlichen Dienst. Ich bin überzeugt, dass er alles weiss, denn er focht zwanzig Jahre lang an meines Vaters Seite; er muss, wie ich glaube, auch meine Mutter gekannt haben, denn auf seinen Armen trug er mich an einen unsrer Zufluchtsorte. Bei dem Jagdausflug, den ich nach meinem Austritt aus dem Kadettenhaus in den Kaukasus unternahm, zeigte er mir wohl den Schauplatz von meines Vaters Thaten, wollte ich ihn aber ausfragen, so brummte der Sergeant: ‚Ich habe auf des Sultans Amulett geschworen!‘ und weiter war nichts aus ihm herauszubringen.“

      „Aber jetzt befindet er sich doch in deiner Gewalt!“ rief Paul lebhaft.

      „Wohl wahr,“ entgegnete Ahmed, „aber er liebt mich und wollte nicht in Ghazis Dienste treten, obwohl er diesem das heilige Amulett übergab, das mein Vater in fünfzig Schlachten getragen hat.

      „Mein Vater und König war ein mystischer Seher. Du kennst ja die düstere Macht, die er über seine Krieger und Gläubigen ausübte. Er hinterliess für Ghazi einige mit arabischen Zeichen beschriebene Papierstreifen, die seine letzten Wünsche enthielten, und sandte ihm das geweihte Amulett, auf das seine Anhänger einstens den schrecklichen Eid der alten Feueranbeter schwuren, und dazu die mündliche Botschaft: ‚Denke daran!‘

      „Ghazi, mein hartherziger Bruder, ist zwanzig Jahre älter als ich, und wenn ich über diese Dinge mit ihm zu sprechen versuchte, so drehte er sich auf dem Absatz herum und rief: ‚Ich habe dir nichts zu sagen!‘ Ich glaube, er jagt einer schattenhaften Krone nach. Der alte Hassan aber ist mir ein treuer Diener gewesen, und es kommt mir sonderbar vor, Paul, dass er noch immer zu mir hält, denn wie du weisst, bin ich nicht mohammedanisch.“

      Bei diesen Worten bekreuzte sich Paul, und Ahmed fuhr fort: „Der alte Hassan ist ein strenggläubiger Mohammedaner und erfüllt den letzten Befehl des sterbenden Propheten Schamyl aufs genaueste; gleichwohl dient er dessen christlichem Sohn und weigert dem Haupt unsres einst königlichen Hauses, dem russisch erzogenen Mohammedaner, dem Prinzen Ghazi, den Gehorsam.

      „Ich bin nur neugierig, lieber Paul,“ schloss Ahmed traurig, „ob mich die mir bestimmte Kugel findet, ehe es mir gelungen ist, dies Geheimnis zu ergründen — der Krieg bricht aus, sobald das Gras auf den Ebenen des Südens zu sprossen beginnt.“

      „Prinz,“ erwiderte Paul Platoff, „deine Verlassenheit schmerzt mich tief, aber für den Augenblick haben wir von deiner Pflicht zu reden. Du musst diesen Knoten lösen! Suche Ghazi auf, sorge wenigstens, dass er den Namen Schamyl nicht entehrt, lass ihn nicht zum Deserteur werden. Denke an deine Pläne, an dein eigenes Kommando, an deine Aussicht, militärischer Oberbefehlshaber im Kaukasus zu werden!

      „Du hast soeben edel und männlich gesprochen, Ahmed Du allein kannst den Namen Sultan Schamyls vor Entehrung schützen; mit diesem Namen hat er dir eine so königliche Erbschaft hinterlassen wie die der Habsburg, der Hohenzollern, ja sogar der Romanoff — die Erbschaft des Ruhms!“

      „Ich danke dir, Paul,“ rief Ahmed, „noch heute abend werde ich Ghazi aufsuchen! — Wo ist er am sichersten zu finden?“

      „Da sitzt gerade der Haken! Der türkische Chargé, Gräfin Nadja Vronsky und Prinz Ghazi Mohammed Schamyl bilden ein Verschwörertriumvirat. Dort kannst du nicht hingehen! Wir hatten eben erst Hauptmann Suleiman zum Frühstück bei uns — bedenke, wie leicht auch du verdächtigt werden könntest — nur nicht allzuviele türkische Beziehungen!“

      „Das ist wahr,“ erwiderte Ahmed finster, „wir leben ja in dem eisigen Lande des Zweifels und des Misstrauens.


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