Prinz Schamyls Brautwerbung. Richard Henry Savage

Prinz Schamyls Brautwerbung - Richard Henry Savage


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gerettet!“ rief sein Wirt und klatschte in die Hände. Bediente stürzten herbei, und in Zeit von zehn Minuten war Ghazi, der Gardeoffizier, in einen glattrasierten, beturbanten Perser verwandelt.

      „Sind meine Haare dunkel genug gefärbt?“ fragte er.

      „Das weitere wird im Bazar gemacht,“ erwiderte der Diplomat.

      Ein Dutzend flinker Hände hatte die Verkleidung des Prinzen bewerkstelligt, und nun trat auch noch die Gräfin Nadja Vronsky in das geheime Gemach und half den Faltenwurf der weiten Gewänder vollends in Ordnung bringen.

      „Ich habe ganz ausgefüllte, visierte Pässe für die persischen Kaufleute, die nach Hamburg gehen. Iskander, mein armenischer Sekretär, wird für alles sorgen und Sie auf den Dampfer bringen. Geben Sie ihm einen chiffrierten Brief für mich mit.“

      In Nadja Vronskys Augen standen Thränen.

      „Du willst allein gehen?“ stammelte sie.

      „Ja — wenn ich kann,“ erwiderte Ghazi brummig. „Nun gehe aber wieder zu den Dummköpfen da unten und verlasse den Ball so bald als möglich. Mache aber keinen Unsinn und entferne dich mit ermüdeter Miene ganz offen! Fange nicht an zu wimmern und zu winseln, wenn ich fort bin. Du wirst ja bald genug nach Konstantinopel kommen.“

      Gräfin Vronsky barg ihr Gesicht in den Händen, und bittere Thränen tropften zwischen den juwelengeschmückten Fingern durch. Höhnisch gab er ihr zum Abschied noch den Rat: „Jetzt lass aber das Geflenne! Mustapha wird für dich sorgen — sei seiner Wünsche gewärtig. Ich muss jetzt gehen. Zwar werden diese russischen Hunde nicht wagen, das Gesandtschaftshotel zu durchsuchen, aber sie werden wie gewöhnlich ihre schmutzige Spionenrolle spielen und jeden beobachten, der das Haus verlässt.“

      Leidenschaftlich schlang sie ihre Arme um seinen Hals und flüsterte: „Also in Konstantinopel — bald?“

      „Ja, ja,“ erwiderte Ghazi hastig, indem er sie nach der Thüre hindrängte, sie gleichgültig küsste, hinausschob und die Thüre hinter ihr abschloss.

      „So, Mustapha, nun lassen Sie Ihre Diener meine ganze Uniform nebst Mantel vernichten und meinem Kutscher bestellen, ich sei mit einem Freund in den Klub gegangen. Geben Sie mir noch einen guten Dolch! Ja, der ist recht! Morgen, wenn wir Kronstadt im Rücken haben, schicken Sie Dimitri, meinem griechischen Haushofmeister, diesen Ring — er kennt das Zeichen. Nun darf ich mich aber nicht mehr länger aufhalten! — Dies Teufelsweib senden Sie über Wien nach Konstantinopel, aber es hat gar keine Eile. Sie können sie mit jeder Botschaft für mich betrauen.“

      „Wünschen Sie noch etwas?“ fragte der Vertreter des Sultans ängstlich, denn er sehnte sich danach, allein zu sein.

      „Ja, Ihre Feldflasche mit altem Cognac und Cigaretten.“

      „So! Sie werden ja bald zu uns stossen! Wie soll ich hinauskommen? Vielleicht am besten über die Dienerschaftstreppe?“ fragte Ghazi, als er nun völlig bereit war zur Flucht.

      „Osman hier wird Sie sicher geleiten! Verlassen Sie sich ganz auf Iskander. Allah schütze Sie! Brauchen Sie Geld?“

      „Nein!“

      „Gut, Iskander wird Ihnen in Hamburg jeden Betrag verschaffen!“

      Noch ehe die letzten Worte verhallten, war Prinz Ghazi Mohammed Schamyl verschwunden — die kaiserliche Garde hatte einen Offizier verloren.

      Schlaftrunkene Thürsteher, Küchenmägde und das ganze Bedientenpack warf dem Asiaten, der in der Nacht verschwand, nur einen verächtlichen Blick nach: vermutlich ein armseliger Juwelenhändler mit seinem Kram.

      Während Ghazi von seinem Begleiter hinausgeführt wurde, vernahm er noch das Gläserklingen und das muntere Lachen der glänzenden Gesellschaft oben.

      Der Weg des Verräters verlor sich in der Dunkelheit. Nach wenigen Schritten hatte er einen Schlitten erreicht, und eine Stunde später schlief er inmitten der persischen Reisenden, während sein Begleiter Osman den Schlummer des treulosen Mannes bewachte.

      Mittlerweile hatte sich Mustapha Pascha wieder zur Gesellschaft verfügt, wo sich ein Dutzend Kavaliere um die Gräfin Vronsky drängten, die sie zu ihrem Wagen geleiten wollten. Als sie sich von ihrem Wirt verabschiedete, bemerkte dieser liebenswürdig: „Wie ich höre, gnädige Gräfin, hat Ihr treuloser Prinz Sie verlassen und ist zu einer Partie Roulette in den Klub gegangen.“

      Mit Vergnügen vernahmen die umstehenden Kavaliere, dass sich Ghazi Schamyl schon entfernt hatte, denn nun konnten sich die minder bevorzugten Herren unbehindert darum streiten, wer die schöne Göttin geleiten dürfe.

      Noch ehe die ermüdeten Schönen, die das Fest des Diplomaten geziert hatten, ihre Morgenschokolade schlürften, schaukelte Ghazi Schamyl auf den hochgehenden Wogen des Golfes von Finnland. Mit gekreuzten Beinen sass er unter einem Haufen Perser, und seine Finger schlossen sich fest um den Griff des Dolches, so lange noch Leute, die ihn möglicherweise kennen mochten, über das Deck schritten, um das Schiff zu durchsuchen. Er war entschlossen, sich lieber den Tod zu geben, als sich verhaften zu lassen — es war eine schicksalsschwere Stunde!

      Das Beispiel der halberfrorenen Perser, die bis zu den Augen eingewickelt waren wie Mumien und zitternd und ängstlich bei einander hockten, gewährte Ghazi genügenden Vorwand, sein Gesicht ebenfalls zu verhüllen.

      Die Gefahr ging schnell vorüber. Bald lagen die Forts weit hinter dem Schiff, und die stolze Flagge der Romanoffs versank hinter den dichten, wogenden Rauchwolken. Ghazi hatte sein altes Leben, seinen neuen Feind, den er einst Bruder genannt, und seine Ehre weit hinter sich gelassen — ein Deserteur war er schon in diesem Augenblick, und ein Verräter wollte er werden.

      Wohin mochte der Pfad führen, den er betreten hatte?

      Nadja Vronskys thränenfeuchte Wangen ruhten bis spät am Nachmittag auf ihrem Kissen. Ein Diener der türkischen Gesandtschaft brachte einen prächtigen Strauss aus Warmhausblumen, die in dem eisigen Reiche des Zaren geradezu unschätzbar waren. Ein zierliches Briefchen, das der duftigen Sendung beilag, lautete:

      „Alles steht gut. Das Schiff hat Kronstadt im Rücken. Erwarten Sie mich heute abend zu Tisch.“

      Offenbar wünschte der kluge Mustapha abwesend zu sein, falls in der Gesandtschaft nach Ghazi gefragt werden sollte. Des Abends aber zögerte er so lange, dass die tadellos gekleidete Gräfin annahm, es seien gar keine Erkundigungen in der Gesandtschaft eingezogen worden, und sich mit erleichtertem Herzen allein zu Tische setzte.

      Endlich erschien der ruhige Diplomat und flüsterte ihr, während er ihr die Hand küsste, leise zu: „Adjutanten suchten Prinz Ghazi in seinem Haus und im Klub.“

      Gleichwohl lächelte Mustapha milde, denn der Ring hatte seine Schuldigkeit gethan.

      Weder die Wirtin, noch ihr Gast konnten die Blitzesschnelle begreifen, mit der man die Abwesenheit Ghazis entdeckt hatte, denn sie hatten keine Ahnung von Fürst Gortschakoffs Absicht.

      Während diese beiden sich über den Sterlet und den Chablis unterhielten, sassen sich in Ahmed Schamyls Wohnung zwei ernste Männer gegenüber.

      Des Morgens hatte Paul Platoff nicht lange gezögert, sondern war, seinem Entschlusse getreu, sofort zu seinem Bruder Iwan gegangen, der zur nächsten Umgebung des allmächtigen Gortschakoff gehörte.

      So schnell der gewiegte, alte Diplomat auch zu handeln pflegte, so war er doch auch ein geduldiger Zuhörer.

      Kaum erst hatte Platoff mit bedeutend erleichtertem Herzen seine Wohnung erreicht, und schon hatte Fürst Gortschakoff bei einer Tasse Thee und einer Cigarette seinen Plan entworfen: er entdeckte plötzlich, dass es unumgänglich nötig sei, Oberst Ghazi Schamyl in besonderer Mission unter starker Bedeckung nach Taschkent zu schicken.

      „Ich denke, die Bedeckung, die ich ihm mitgebe, wird diesem feigen Schurken schon dafür thun, ans Goldene Horn zu entkommen, vorausgesetzt, dass die Toten nicht mehr laufen können,“ brummte der zornige alte Fürst, als er seinen Kollegen, den Kriegsminister, empfing. Eine Spezialliste besonders zuverlässiger Offiziere wurde durchgesehen,


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