Prinz Schamyls Brautwerbung. Richard Henry Savage
feine militärische Schmeichelei — der russische Bär kann mit seinen schweren, plumpen Tatzen ganz artig streicheln, wenn er will.
Ahmed schloss sich dem Gefolge der Generale an und wunderte sich, wie langsam sich die kurzen Dienstpflichten eines Morgens hinschleppen können; die Minuten dehnten sich ihm zu Stunden — welcher Befehl mochte seiner wohl harren?
Aber alles nimmt einmal ein Ende, auch das vormittägliche Exerzieren, und eine halbe Stunde später erquickten sich die vornehmen Befehlshaber in dem nahen Offizierskasino an einem glänzenden Mahl, denn das Recht, ihre Vorgesetzten zu bewirten, wird den eleganten Kasinos in Petersburg in unbeschränktem Masse eingeräumt.
Nach dem Kaffee und den Cigarren erhielt Schamyl, der inmitten der höchsten Generalstabsoffiziere sass, einen Wink von Gurko. Sofort trat er hinzu und nahm in einem ihm von dem General bezeichneten Sessel Platz. Aller Augen waren auf ihn gerichtet.
Der Augenblick der Entscheidung war da!
Gurko befand sich in ausgezeichneter Stimmung; die Speisen und Getränke hatten den kritischen Gastronomen befriedigt und beschwichtigt, denn Gurko war ein ebenso grosser Freund vom Essen als vom Kämpfen — nur dass er im ersteren viel zartfühlender und empfindlicher war.
„Herr Major, ich habe den Befehl erhalten, Sie persönlich zu Fürst Gortschakoff zu senden wegen einer besonderen detachierten Dienstleistung. Es wird am besten sein, Sie begeben sich sofort zu ihm. Mir thut es sehr leid, Sie nicht an der Donau zu haben, aber Sie werden da, wo Sie hingehen, auch genug zu thun bekommen. Wenn Sie nach Armenien gehen, werden wir uns, wie ich hoffe, vielleicht in Konstantinopel wiedersehen. Ihnen, lieber Prinz, wünsche ich von Herzen Glück, denn der Kriegsminister hat mir gesagt, Sie seien zu diesem Dienst ausersehen worden wegen des Vertrauens, das der Kaiser in Ihre Loyalität setzt, und wegen Ihrer genauen Kenntnis des Kaukasus. Noch ein Glas Wein, Herr Major, und dann melden Sie sich sofort!“
Ahmed Schamyl war schon des öfteren einem Gegner auf zehn Schritt gegenübergestanden, und seine Nerven hatten ihm nicht versagt, wenngleich sein Leben von dem Druck eines Fingers abhing — heute aber zitterte das Weinglas in seiner Hand, als er mit dem General anstiess.
Dann erhob er sich, verbeugte sich tief vor dem General, winkte seinen Freunden einen Abschiedsgruss zu und verliess das Gemach.
In seinen Ohren klangen noch immer die Worte nach: „Wegen des Vertrauens, das der Kaiser in Ihre Loyalität setzt, und wegen Ihrer genauen Kenntnis des Kaukasus“.
Grosser Gott! Ein besseres Mittel, um allem lächerlichen Gerede ein Ende zu machen, hätte sich ja gar nicht finden lassen, denn die Worte des grossen Kaisers reichen weit; in der Gesellschaft, in den Klubs und besonders in der Armee ist das Vertrauen des Kaisers wie ein lichter, goldener Stern, der den Weg dessen, dem er leuchtet, weithin erhellt. Der junge Major schwor sich bei seinem Haupt, dass sein Herz und seine Hand dem fürstlichen Gebieter, der seiner noch unerprobten Loyalität so offen vertraute, nie versagen sollten.
Die Kugeln in seiner Pistole wollte er nun für die türkischen Feinde des betagten Zaren Alexander aufbewahren.
Fürst Gortschakoffs Arbeitszimmer im Ministerium der Auswärtigen Angelegenheiten war ein Ort gelehrter Zurückgezogenheit, und Würde und Ruhe herrschten in dieser Halle des Gedankens.
Haufen von Nachschlagebüchern, politische Weltkarten der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft, mit Papieren vollgestopfte Mappen, deren jede ein Staatsgeheimnis enthielt, und die Telegraphendrähte des Zaren, die dies Allerheiligste mit allen Enden der Erde verbanden — das ungefähr waren die Waffen, mit denen hier gekämpft wurde.
Feierlich aussehende Sekretäre, behutsame Wächter und grimmig blickende Schildwachen behüteten die Archive des gewaltigen Reiches der Romanoffs.
An einem mit Papieren bedeckten Tisch sass der alte Gortschakoff und prüfte die Uebersetzung von General Ignatiefs Chiffern....
Damals hielten drei Männer das Geschick Russlands in ihren Händen: der Zar, das Kind der Autokratie, Gortschakoff, der Held unzähliger diplomatischer Scharmützel, der echte Sohn des alten russischen Genius, und Nikolaus Ignatief, ein entschlossener, vorwärtsstrebender Mann, die Verkörperung des feinen, gebildeten Tataren unsres Jahrhunderts — dies war das grosse Triumvirat.
Als ein Diener den Major Schamyl anmeldete, nahm der Fürst ein kleines Kärtchen mit Notizen zur Hand und nickte.
„Nehmen Sie Platz, Herr Major,“ sagte er freundlich, als der junge Offizier eingetreten war.
Ahmeds Pulse flogen, angesichts des pergamentartigen, glatten Gesichtes vor ihm, das so vornehm und fein aussah als das eines alten Marquis, und das einem Manne gehörte, der ihn, ohne zu zucken, dem sicheren Tod entgegenschicken würde.
Der Premierminister betrachtete seinen Gast scharf und begann dann: „Ich wünsche, Herr Major, dass Sie sich bereit machen, sofort nach Odessa zu reisen, denn Sie sind dazu ausersehen worden, in besonderem Auftrag unter General Ignatief in Konstantinopel thätig zu sein. Ein Kanonenboot wird Sie nach dem Bosporus befördern, aber Sie sollen das Schiff nicht verlassen, ehe der General, der von Ihrer Ankunft unterrichtet werden wird, Sie zu sich bescheiden lässt. Dann werden Sie zur Nachtzeit ans Land gehen und sich mit ihm besprechen. Suchen Sie Ihre Persönlichkeit zu verbergen und tragen Sie ja keine Uniform.“
Durch eine Verbeugung erklärte Ahmed, dass er diese Weisungen verstanden hatte.
„Sie bleiben dem Auswärtigen Amt zugeteilt,“ fuhr der Fürst fort, „bis die Feindseligkeiten eröffnet sind. Mein Sekretär wird Ihnen einen für Sie bewilligten Vorschuss in Ihre Wohnung bringen, und für alles Weitere wird General Ignatief sorgen. Selbst hier dürfen Sie mit niemand weder von Ihrem Auftrag, noch von Ihrem Bestimmungsort reden. Völlige Verschwiegenheit ist durchaus nötig. Treffen Sie Ihre Vorbereitungen für eine lange Abwesenheit, denn Sie werden nicht hierher zurückkehren, ehe die Krisis vorüber oder der Krieg zu Ende ist. Weitere Instruktionen wird Ihnen General Ignatief erteilen. Lassen Sie mir Ihre Ankunft in Odessa durch den dortigen kommandierenden General melden, der auch dem Kanonenboot seine weiteren Ordres zustellen wird. — — Wann können Sie abreisen ...?“
Die kalten grauen Augen des Fürsten ruhten dabei forschend auf dem Jüngling.
„Mit dem nächsten Zug, Durchlaucht.“
„Gut,“ erwiderte der alte Premier, indem er aufstand und Ahmed seine Hand reichte. „Prinz Schamyl, der Kaiser schenkt Ihnen sein Vertrauen. Ich hoffe, dass er Ihnen nach Ihrer Rückkehr eine Audienz gewähren wird, und glaube, dass er mit Ihnen zufrieden sein kann. Er hat mir den Auftrag erteilt, Ihnen zu sagen, dass er Sie für einen russischen Offizier und für einen treuen Unterthanen hält. Sie können die Ehre Ihres Hauses getrost seinen Händen anvertrauen.“
Ahmed beugte sich tief über des alten Mannes Hand, dessen Fingerspitzen er mit den Lippen berührte, denn das ausserordentliche Zartgefühl des Premiers hatte sein Herz gewonnen. Dann zog er sich zurück.
Während der junge Krieger mit klirrenden Sporen die Treppe hinuntersprang, liess sich der alte Gortschakoff in seinen Sessel nieder und flüsterte: „Ein tapferer, ritterlicher Bursche! Ach, auch ich bin einmal jung gewesen.“
Die Zeit, wo er die Stütze des grossen Nikolaus gewesen war, tauchte aus dem Nebel der Vergangenheit empor; nun war er auf seine alten Tage der Richelieu eines andern Zaren geworden, für den die Russen in den Kampf ziehen sollten, und abermals sollten die Ufer des Schwarzen Meeres vom Donner der Kanonen erdröhnen.
Seufzend überlegte Gortschakoff, ob nicht am Ende die Raben auf den Leichenfeldern allein einen Gewinn aus diesem Kampf ziehen würden, und mit auf dem Rücken gekreuzten Armen schritt der alte Mann auf eine grosse Wandkarte von Europa zu. Auf dem Punkt, der Konstantinopel bezeichnete, blieb sein Blick haften.
„Ach, England — wenn nur England —“
Ein neuer Besuch wurde gemeldet und sein Sinnen dadurch unterbrochen.
Prinz Schamyl war bereits vergessen — hatte er ihn gleich hinausgesandt auf Leben oder Tod: „Im Namen des Zaren!“
In