Prinz Schamyls Brautwerbung. Richard Henry Savage
türkischen Spionin hinüberschielte. „Lange vor Ihrer Ankunft dort erklimmt Ghazi die steilen Felsenhöhen Daghestans oder wandert mühselig über die Bergketten von Kasbek, denn dort soll er Zwietracht säen und im geheimen einen Aufstand gegen die russischen Hunde vorbereiten. Wohlbekannt in den Schluchten des Kaukasus und überaus geschickt in der Kunst der Verkleidung, wie er ist, wird es ihm gelingen, unbeachtet durchzuschleichen, aber zu diesem Zwecke muss er sich verschiedenster Verkleidungen bedienen, um den schlauen armenischen Teufel, den Loris Melikoff, zu überlisten, und dabei kann er Sie nicht brauchen. — Ich habe ihn sogar gebeten, nicht nach Tiflis zu gehen, denn Melikoff würde ihn ohne Bedenken standrechtlich erschiessen lassen, falls man ihn erwischte. Sie selbst werden vermutlich nach den Fürstentümern zurückgeschickt werden,“ schloss Mustapha und schielte nach dem im Netze zappelnden Vogel.
„Ich würde vor keiner Gefahr zurückschrecken, wenn ich zu Ghazi nach Armenien gehen könnte. Bitte, machen Sie Ihren Einfluss zu meinen Gunsten geltend, Mustapha,“ bat die bleiche Schönheit den süsslichen, schmeichlerischen Türken.
„Chère Comtesse,“ erwiderte Mustapha in seiner glatten Weise, indem er seinen Stuhl näher zu dem des leidenschaftlich erregten Weibes hinschob, „er wird Sie nicht vermissen, denn er hat auf seines Vaters Amulett geschworen, die schöne Prinzessin Maritza von Tiflis zu bezwingen und in seinen Harem zu führen. Die Familie der Prinzessin befindet sich, wie Sie wohl wissen werden, jetzt im Besitz der ehemaligen Herrschaft Schamyls.... Seien Sie vernünftig, Nadja, toben Sie jetzt nicht.“ Mustapha hielt inne; er hatte sich auch einen Plan zurechtgelegt, wie er die weisse Gräfin Vronsky in seinen eigenen Taubenschlag an den von Myrten beschatteten Ufern von Stambul locken möchte.
„Warum sucht er dies Weib? Sagen Sie mir warum,“ fragte die Gräfin, die sich die Lippen blutig biss.
„Ach, schöne Frau,“ erwiderte Mustapha langsam, indem er seine kecken, dunkeln Augen auf ihren Reizen ruhen liess; „in seinem steinernen Herzen opfert er neben dem Teufel ‚Begierde‘ auch dem Moloch ‚Rache‘. Er schwört, er wolle sie noch zwingen, ihm angesichts seiner Truppen den Steigbügel zu halten, weil sie ihn letzten Winter, während ihres Aufenthaltes hier, verhöhnt und verletzt habe.“
„Und mich hat er betrogen und belogen, der kaltherzige Teufel!“ stiess Nadja Vronsky heiser hervor.
„Ach, schöne Dame, so hat er Sie wohl damals versichert, sein Herz gehöre Ihnen einzig und allein!“
Mustapha lehnte sich lässig zurück und ergötzte sich an ihrer Verzweiflung. Dieser Zwischenfall verlieh der feinen Mahlzeit erst die eigentliche Würze. Das war der Wein des Lebens! „Denken Sie nur an den Herzog im Rigoletto, liebe Nadja; während er das eine Weib mit starkem Arm umfängt, stirbt das andre, verlassene, nebenan und vernimmt noch ihr glückseliges Lachen. — Es ist wirklich kostbar, eine Frau von Welt, wie Sie, so bis ins Herz getroffen zu sehen!“
„Bei dem Gott, der uns erschuf, schwöre ich, dass ich mich zu rächen wissen werde!“ rief das aufgeregte Weib.
„Bah, liebe Gräfin, in Georgien, dem Land der Rosen, gibt es noch gar manche knospende Schönheit.... Die königlich gebauten Georgierinnen sind die schönsten Weiber der Serails.... Nun seien Sie aber vernünftig und folgen Sie meinem Rat: Ghazi ist ein Mensch ohne jedes Gefühl, und Sie sollten einen andern, der Ihnen im Augenblick näher ist als Ghazi, besser verstehen lernen.“
Wohlgefällig blickte Mustapha bei diesen Worten auf sein Ebenbild im Spiegel.
Die weisse Gräfin betrachtete ihn mit eiskaltem Blick und erwiderte in einer das Verderben herausfordernden Laune: „Sie glauben, ich sei in Ihrer Macht, und wünschen mich an Ihren Triumphwagen zu spannen, aber noch bin ich ein Weib, das seinen eigenen Weg geht.“
Gelassen verbeugte sich Mustapha und drehte sich eine Cigarette, während er entgegnete: „Ich kenne Sie als die Anbetungswürdigste Ihres Geschlechtes, aber vielleicht sind Sie ein wenig kurzsichtig. Ich meinerseits gebe mich nie mit Drohungen ab, denn es ist am klügsten, man lässt einem feurigen Renner die Zügel. Sie wünschen Ihren eigenen Weg zu gehen, schöne Frau — thun Sie’s! Ich lade Sie nach Konstantinopel ein, aber Sie ziehen vor ...“
„Meinen eigenen Weg zu gehen!“
Die Stimme der Gräfin klang hart und trocken, als sie diese Worte hervorstiess.
„Und der führt nach Sibirien,“ flüsterte Mustapha freundlich und warf nachlässig einen Brief auf den Tisch. Die Gräfin ergriff das Blatt, das ihren bebenden Händen entfiel, nachdem sie es gelesen hatte.
„Wollen Sie mich preisgeben?“ fragte sie angstvoll.
„Niemals,“ erwiderte Mustapha in vergnügtem Ton und schlürfte ein Gläschen Likör. „Als ich dieses Schreiben vom Auswärtigen Amt erbrach, wusste ich sofort, dass sie einen Sündenbock brauchen, um Ghazis Desertion zu verdecken. Man fragt bei mir an, ob Sie sich unter türkischem Schutz befinden, und als Vronskys kinderlose Witwe können Sie leicht auf die durch Ihre Heirat erworbene Staatszugehörigkeit verzichten.“
Mit väterlichem Wohlwollen betrachtete Mustapha die weisse Gräfin, während er vergnüglich weiterplauderte: „Nicht wahr, schöne Frau, bei jener Ceremonie sind einige kleine Unregelmässigkeiten vorgekommen, als da sind Mangel der kaiserlichen Genehmigung, der griechisch-katholischen Taufe und Ihrer Papiere — nicht wahr?“
Schweigend nickte Nadja mit dem Kopfe.
„Dann sind Sie gerettet, bella figlia. Gortschakoff gibt mir den höflichen Wink, Sie mit einer von mir ausgestellten Legitimation aus dem Lande zu schaffen, weil er ein sofortiges Abbrechen der diplomatischen Beziehungen wegen Ghazi vermeiden will. — Ist es Ihnen recht, so will ich das thun. Die vornehme Welt wird eben an ein Liebesabenteuer des Cirkassiers Schamyl glauben, denn sein rücksichtsloses und kopfloses Wesen ist hier ja zur Genüge bekannt. Man verschwindet — verlebt ein paar glückselige Monate in Italien, am Strand des blauen Mittelmeeres — die Dame bleibt verschwunden — der Reisende kehrt zurück — die Zeit bedeckt die glühende Lava der Liebe mit ihrer Asche — eine alte, uralte Geschichte hierzulande.“
Nadja warf dem spottenden Sybariten einen zornfunkelnden Blick zu, was diesen aber nicht abhielt, in sich hineinzukichern und fortzufahren: „Alle Welt wird glauben, Ihre blauen Augen, schöne Gräfin, hätten den wilden Prinzen seiner Pflicht abspenstig gemacht.“
Bei diesen Worten brach sie in Thränen aus.
„Also machen Sie, dass sie fortkommen,“ sagte er in entschiedenem Ton; „es handelt sich um Ihre Sicherheit, denn falls Sie meinen Schutz ablehnen, werden diese kalten Slaven sich an Ihnen für Ghazis Desertion rächen. Geben Sie Ihre Zugehörigkeit zu Russland zu, so sind Sie verloren. Noch kann ich Sie beschützen, und ich will es auch, vorausgesetzt, dass Sie die Welt mit meinen Augen sehen.“
Behaglich lehnte sich Mustapha in seinen Stuhl zurück — sein Vögelchen ging auf den Leim.
Nadja gedachte der wachsamen, mit Narben bedeckten nubischen Eunuchen, die, den Pallasch in der Hand, die steinernen Thore der moslemitischen Harems bewachen, und wie ein Blitz zuckten ihr die Worte Dantes durch den Kopf:
„Lasciate ogni speranza voi ch’entrate.“
Allein ein Serail am Bosporus ist immerhin nicht mit Sibirien zu vergleichen. Gleichwohl schlug der Vogel noch einmal mit den Flügeln.
„Aber — meine Ehre!“ flüsterte die Gräfin unter neuen Thränengüssen.
„Sapristi, schöne Dame,“ erwiderte Mustapha sorglos, „Ehre ist ein rein relativer Begriff, und Sie werden sich am Bosporus ganz wohl befinden, denn dort herrscht die Schönheit ‚sine qua non‘.“
Drittes Kapitel.
In der Reitschule der Kavallerie. — Zu Gortschakoff befohlen. — Dimitris Geschick. — Am Goldenen Horn.
Zwei Tage, nachdem Nadja Vronsky sich Mustaphas Logik gefügt hatte, stieg sie am Bahnhof mit müdem Schritt aus ihrem Schlitten, um Russland für immer den Rücken zu kehren.
Nur