Prinz Schamyls Brautwerbung. Richard Henry Savage

Prinz Schamyls Brautwerbung - Richard Henry Savage


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Paul, dem er die Botschaft überbrachte: „Komm sofort! In einer Stunde reise ich ab.“

      Noch ehe Platoffs Schlitten vorfuhr, hatte Ahmed seine Vorbereitungen halb beendet. Ein Sekretär vom Auswärtigen Amt erschien und überreichte ihm zwanzigtausend Rubel mit den Worten: „Diese Summe ist für Ihre persönlichen Bedürfnisse bestimmt, Hoheit; darf ich um eine Empfangsbescheinigung bitten?“

      Als er eben das Zimmer verliess, kam Platoff hereingestürmt, dem Ahmeds glückstrahlende Augen sofort verrieten, dass alles gut stand.

      Als die Freunde sich gesetzt hatten, rief Ahmed: „Paul, mein Leben gehört dem Kaiser! Ich reise sogleich ab, darf dir aber nicht sagen wohin, nur das sollst du wissen, dass es eine ehrenvolle Mission ist, mit der man mich betraut. Meine Pferde lasse ich dir, nimm sie mit ins Feld; Kara, dem Rappen, kannst du dein Leben anvertrauen. Mein Dwornik bleibt vorderhand hier; schicke mir ihn mit meinem Gepäck und meiner Feldausrüstung auf der Wolgabahn nach Wladikawkas, wo er meine weiteren Befehle erwarten soll. Besorge du mir alles und sage ihm, was er zu thun hat.“

      Paul machte grosse Augen, als er die Anweisung betrachtete, die ihm Ahmed für seinen Bankier übergab.

      „Schicke mir meine Briefe nach, wenn ich dir telegraphiere. Aber nun,“ rief Ahmed, mit einem Blick auf seine Uhr, „nun wollen wir uns noch einmal miteinander zu Tisch setzen, denn ich fürchte, wir werden uns erst wiedersehen, wenn der letzte Schuss gefallen ist.“

      Ein Imbiss stand auf dem Tisch, und während die beiden Freunde ihm alle Ehre anthaten, erschien Hassan und fragte: „Werde ich Hoheit begleiten?“

      Ahmed überlegte einen Augenblick, denn seine Instruktion hatte diesen Punkt nicht erwähnt, doch er konnte den Alten ja leicht von Odessa zurückschicken, und so entschloss er sich, ihn mitzunehmen.

      „Bestelle einen Schlitten für dich und das Gepäck,“ erwiderte Schamyl.

      Noch ehe die Herren ihre Flasche Burgunder geleert hatten, war Hassans Schnappsack gepackt, der nichts enthielt als seinen Soldatenmantel, seinen Sattel, die Feldflasche und den Tabaksbeutel, seine Pistolen und den „Chaska“, die er schon zwanzig Jahre im Gebrauch hatte.

      Prinz Schamyl, der schon seinen Anzug gewechselt hatte, machte in einem dunkelgrauen Rock und hohen Stiefeln, in einem schweren Mantel mit Zobelkragen und einem Turban aus Otternpelz ganz den Eindruck eines reichen Reisenden aus guter Familie.

      Seine Banknoten, Karten, Pläne, Pässe und Revolver befanden sich, nebst einigen Büchern zum Zeitvertreib während der langen Eisenbahnfahrt, in einer Reisetasche.

      Nun war es aber Zeit aufzubrechen. Noch ein Glas auf den Weg! Pauls Gedanken beschäftigten sich wieder mit Ghazi, und sie tranken mit bedeutungsvollem Lächeln auf das Wohl der „Rose von Tiflis“.

      Als sie schon im Schlitten sassen, sagte Paul noch: „Ahmed, ich errate deinen Weg — möchte er dich nach Tiflis führen. Sei auf der Hut vor Ghazis abgefeimten Teufeleien und wache über Prinzessin Maritza. Der Herr sei ihr gnädig, wenn sie je in die Hände deines Bruders fällt, dessen Pläne sich in noch unaufgeklärter Weise auch mit ihrer Zukunft befassen.“

      Hastig erwiderte Ahmed: „Ich danke dir, Paul. Du sollst von mir hören. Halte mich stets von allem unterrichtet und wache über meinen Namen.“

      „Das kannst du mir getrost überlassen. Seit heute früh ist deine Stellung allen bekannt, und noch vor Abend weiss jede schöne Frau in St. Petersburg, dass du mit Gurko gefrühstückt hast, und das genügt. Wir brauchen ja keine Zeitungen, solange wir unsre Damen haben.“

      Paul lachte vergnügt, denn sein Freund befand sich ja auf dem Pfad der Ehre.

      Die beiden Freunde glitten flink durch die Menge, und bald waren die Fahrkarten gekauft, denn ein Blick auf Schamyls Pass, der ein spezieller kaiserlicher Pass erster Klasse war, veranlasste den Schalterbeamten, seine schläfrigen Augen weit aufzureissen.

      Noch blieben zehn Minuten bis zu Abgang des Zuges, und auf dem langen Bahnsteig mischte sich Seufzen und Schluchzen in lustiges Gelächter und harmloses Geplauder. Wäre Schamyl erkannt worden, so hätte seine Verkleidung „en moufti“ alle Zungen in Bewegung gesetzt.

      Der Moskauer Bahnhof in St. Petersburg ist gleich der weiten, weiten Welt ein Ort, wo Wiedersehen und Scheiden, wo Kommen und Gehen, wo Freude und Trauer, wo Glück und Unglück sich in ständigem Wechsel bewegen.

      Schamyl und Platoff gedachten ihrer langjährigen Freundschaft und tauschten liebevolle Blicke. Sie wussten wohl, dass sie vor einem ernsten Kriege standen, dass der Ruhm Russlands in blutigen Kämpfen gewonnen wird, und dass sie, voneinander getrennt, dieser Seifenblase auf den verschiedensten Schlachtfeldern nachjagen würden.

      Immerhin war es „cor unum, viae diversae“.

      Das letzte Glockenzeichen ertönte, mit zitternder Stimme sprach Ahmed: „Paul, wir müssen scheiden! Sollte ich nicht mehr wiederkehren, so vergiss nicht, dass du mein einziger Bruder warst. Nimm meinen letzten Wunsch auf den Weg, denn auch du musst bald ausrücken, sei tapfer, siegreich und glücklich! Kehre heim als General!“

      Platoffs Augen wurden feucht, als ein gellender Pfiff der Lokomotive die Abfahrt verkündigte.

      „Ahmed, mein Freund und mein Bruder! Gott schütze dich! Sei auf der Hut vor Ghazis Verräterei! Ich erwarte Ruhmesthaten von dir! Fürst des Kaukasus, stehe fest zum Zaren!“

      Eine letzte Umarmung! Paul sprang mit dem Zug und stiess an einen Mann, der eben noch hineinsprang; in diesem erkannte Prinz Schamyl, der, als der Fremde vorüberlief, gerade die Thüre zuwarf — Dimitri, den griechischen Erzschurken und Kuppler, den Spion Ghazis!

      Mit einem grellen Pfiff setzte sich der Zug in Bewegung, und Ahmed wagte sich nicht mehr zu zeigen, um Platoff nachzusehen, der sehnsüchtig den verschwindenden Wagen nachstarrte.

      Wer hatte ihm den Griechen auf die Fersen gehetzt? Das war eine Frage, die Ahmed sehr zu denken gab! Kehrte er in geheimem Auftrage des Deserteurs nach der Levante zurück, oder wollte er sich nur der Obrigkeit entziehen?

      Mochte es nun eine Vorsichtsmassregel, eine Art Eingebung oder nur Chikane sein — jedenfalls war es ein Meisterzug des schlauen Mustapha, dass er Dimitri beauftragt hatte, den Cirkassier im geheimen zu beobachten.

      Sobald der ottomanische Jago von der eiligen Abreise Ahmeds benachrichtigt wurde, beschloss er, ihn bis ans Ziel der Reise verfolgen zu lassen.

      Den Anweisungen Gortschakoffs entsprechend, verliess Schamyl seinen Wagen nicht bis Moskau; ein Blick auf seinen Pass hatte den Schaffner veranlasst, für all seine Bedürfnisse zu sorgen und ihn in seiner Abteilung allein zu lassen.

      Alles gehorcht dem Zaren!

      Hassan hatte Befehl, sich seinem Herrn bis Odessa gar nicht zu nähern und auch dort mit dem ungezeichneten Gepäck zu warten, bis nach ihm geschickt würde.

      Als der Zug in Moskau einfuhr, lag diese Stadt in tiefe, eisige Nacht gehüllt, und Ahmed beschloss, im Schutz der Dunkelheit auszusteigen und sich etwas Bewegung zu machen, nachdem er sein Abendessen im Coupé eingenommen hatte. Er wickelte sich gut ein, stieg aus, ging vor den Bahnhof hinaus und sog in vollen Zügen die frische, kalte Winterluft ein. Dann stampfte er eifrig auf und ab, während sich seine Gedanken seinem geheimnisvollen Auftrag zuwendeten.

      Die Glocke ertönte und rief ihn nach dem Zug zurück. Zum Schutz gegen den eisigen Wind bis an die Augen verhüllt, drehte er sich sorglos um, aber als er sich in dem dunklen Durchgang befand, der zum Bahnhof führte, erhielt er plötzlich einen heftigen Stoss vor die Brust. Ein verräterischer Ueberfall, der ihn ins Schwanken brachte. Gleichwohl griff er hastig nach einer dunklen Gestalt, die die lange Strasse ausserhalb des Bahnhofs hinuntereilte. Ahmed wagte nicht, seine Pistole abzuschiessen, weil dadurch seine Identität verraten worden wäre. Noch ganz bestürzt betastete er seine Brust; ja wohl, seine Kleider waren durchschnitten! Eiligst kehrte er in sein Coupé zurück.

      Bei geschlossenen Thüren untersuchte er seinen Rock, er war gerade über dem Herzen durchschnitten! Mit einem bass erstaunten Lächeln zog er seine steife Kriegskarte hervor, deren starkes Leder


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